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Melinda Fremerey / Tobias Hentze / Galina Kolev-Schaefer / Samina Sultan IW-Policy Paper Nr. 11 28. Oktober 2024 Zwischen Schuldentragfähigkeit und Investitionsbedarf

Über die letzten 30 Jahre hat sich in der Europäischen Union (EU) ein komplexes Geflecht an nationalen und supranationalen Fiskalregeln mit dem Ziel nachhaltiger öffentlicher Finanzen herausgebildet.

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Zwischen Schuldentragfähigkeit und Investitionsbedarf
Melinda Fremerey / Tobias Hentze / Galina Kolev-Schaefer / Samina Sultan IW-Policy Paper Nr. 11 28. Oktober 2024

Zwischen Schuldentragfähigkeit und Investitionsbedarf

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Über die letzten 30 Jahre hat sich in der Europäischen Union (EU) ein komplexes Geflecht an nationalen und supranationalen Fiskalregeln mit dem Ziel nachhaltiger öffentlicher Finanzen herausgebildet.

Derweil haben die staatlichen Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskriegs in der Ukraine die Staatsschulden in einigen Mitgliedstaaten erheblich ansteigen lassen. Mit dem Inkrafttreten der reformierten europäischen Fiskalregeln in diesem Frühjahr ergibt sich ein erhöhter Handlungsdruck für die nationalen Haushaltsverhandlungen; zumal nun auch stärker mittelfristige Risiken, wie demografisch bedingte Kosten, in der Schuldentragfähigkeitsanalyse der Europäischen Kommission berücksichtigt werden. Dies ist prinzipiell zu begrüßen. Diskussionswürdig sind dabei zwei Aspekte: Erstens kann der Grenzwert für den Schuldenstand von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit Blick auf die anstehende Transformation zu Fehlsteuerungen führen; eine Investitionsklausel gibt es nicht. Zweitens sind die Annahmen in Teilen sehr strikt. So ist zwar die Annahme einer konstanten Fiskalpolitik mit Blick auf die Handhabbarkeit der Simulationsrechnungen nachvollziehbar. Zudem kann dadurch die politische Notwendigkeit für Fiskalreformen offengelegt werden. Jedoch kann dies im Ergebnis auch dazu führen, dass der Pfad der Nettoprimärausgaben eher flach, also mit hohen Risikoabschlägen, angesetzt wird. Gleichzeitig erfordert die Transformation erhebliche Investitionen. In Deutschland verschärft sich diese Lage durch den Investitionsstau, der die Attraktivität des Standorts schmälert. Die strenge Regelung der Schuldenbremse setzt dem Bund und den Ländern derzeit enge Grenzen, um diesen Bedarf zu erfüllen.

Ein Vergleich der europäischen und deutschen Fiskalregeln ergibt, dass die beiden Regelwerke nur bedingt aufeinander abgestimmt sind. So bedienen sich zwar beide fixer Grenzwerte – Nettokreditaufnahme bei der Schuldenbremse, Defizit und Schuldenstandsquote bei den EU-Fiskalregeln –, jedoch sind die Instrumente zur Steuerung der Zielwerte sowie die jeweiligen Anknüpfungspunkte unterschiedlich. Im Ergebnis können sich die beiden Regelwerke zwar ähneln, aber im Zeitverlauf auch unterschiedlich restriktiv wirken. Ohne eine bessere Koordination besteht die Gefahr der politischen Instrumentalisierung, indem je nach politischer Vorstellung das restriktivere oder weniger restriktive Regelwerk als Referenz verwendet wird. Daher wäre eine bessere Abstimmung ratsam. Zudem wäre es sinnvoll, sowohl bei der deutschen Schuldenbremse als auch bei den EU-Fiskalregeln weitergehende Flexibilitätsklauseln für Investitionen einzufügen.

Daher wird mittels Simulationsrechnungen für Deutschland der Frage nachgegangen, inwieweit kreditfinanzierte Investitionen des Staates die wirtschaftliche Dynamik stimulieren können, ohne das Ziel nachhaltiger Staatsfinanzen zu gefährden. Dabei zeigt sich, dass durch zusätzliche Investitionen des Staates in Höhe von 15 bis 60 Milliarden Euro pro Jahr über die nächsten zehn Jahre die Wirtschaftskraft steigen würde. So würde das BIP nach zehn Jahren je nach Szenario im Vergleich zum Basisszenario um 0,2 bis 0,8 Prozent höher liegen. Zusätzlich steigern die Staatsinvestitionen nachhaltig das Produktionspotenzial der gesamten Volkswirtschaft – sowohl direkt als auch indirekt über ihren stimulierenden Effekt auf die private Investitionstätigkeit. Die zusätzlich generierten Einkommen steigern wiederum die Staatseinnahmen kumuliert um 29 bis 114 Milliarden Euro über zehn Jahre, so dass sich ein Teil der gestiegenen Staatsausgaben über die bessere wirtschaftliche Entwicklung refinanziert. Je nach Szenario steigt die Schuldenstandsquote nach zehn Jahren um 2,2 bis 8,9 Prozentpunkte im Vergleich zum Basisszenario. Die Vergangenheit zeigt, dass für Deutschland kein größeres Risiko für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen erwachsen dürfte, auch wenn der Schuldenstand den europäischen Grenzwert von 60 Prozent des BIP (geringfügig) übersteigt. Im Rahmen der nun anstehenden Haushaltskonsultationen zwischen der Europäischen Kommission und der Bundesregierung sollten solche Erkenntnisse Berücksichtigung finden.

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