Mit den beiden Nachtragshaushalten werden die Investitionen des Bundes im Jahr 2020 um 33,2 Mrd. Euro deutlich auf 71,3 Mrd. Euro ansteigen. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch: bei einem großen Teil der zusätzlichen Investitionen handelt es sich um Darlehen, Beteiligungen oder Zuschüsse für Auslandsinvestitionen. Abzüglich dieser Posten bleibt lediglich ein Anstieg der Investitionen von 10,6 Mrd. Euro übrig.
Kein Wumms bei öffentlichen Investitionen
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Mit den beiden Nachtragshaushalten werden die Investitionen des Bundes im Jahr 2020 um 33,2 Mrd. Euro deutlich auf 71,3 Mrd. Euro ansteigen. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch: bei einem großen Teil der zusätzlichen Investitionen handelt es sich um Darlehen, Beteiligungen oder Zuschüsse für Auslandsinvestitionen. Abzüglich dieser Posten bleibt lediglich ein Anstieg der Investitionen von 10,6 Mrd. Euro übrig.
Investitionen können das Produktionspotenzial erhöhen und für die Entstehung von Einkommen und Beschäftigung in der Zukunft sorgen. Sie gelten als wachstumswirksam und stehen dadurch im besonderen Fokus bei Debatten zur Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft. In diesem Kontext haben verschiedene Studien Deutschland umfangreiche Investitionsbedarfe attestiert (BMWi, 2020). So fordern Bardt et al. (2019) im Rahmen eines Deutschland-Fonds zusätzliche Ausgaben von mindestens 457 Mrd. Euro über die nächsten 10 Jahre in transformativen Bereichen wie Dekarbonisierung, Kommunikationsnetze, Digitalisierung, öffentliche Infrastruktur oder Bildung. Zur Bereitstellung eines bedarfsgerechten öffentlichen Kapitalstocks müsste der Staat also jährlich 45,7 Mrd. Euro zusätzlich zu den bereits vorhandenen öffentlichen Investitionen in die Hand nehmen. Massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur fordern inzwischen übergreifend auch Industrie, Politik und Gewerkschaften.
Somit gilt zu klären, inwiefern eine zunehmende Investitionsdynamik des Bundes erkennbar ist und ob diese ausreichen, um die Diskrepanz zu den geforderten Mehrausgaben von etwa 45 Mrd. Euro pro Jahr zu schließen.
Ein Blick in die amtliche Statistik lässt tatsächlich auf den ersten Blick eine zunehmende öffentliche Investitionsdynamik seit dem Tiefstand der nominalen Bruttoanlageinvestitionen von 2014 erkennen. Die jährlichen gesamtstaatlichen Investitionsausgaben lagen im Jahr 2019 bei 85,7 Mrd. Euro und somit etwa 24 Mrd. Euro höher als noch 5 Jahre zuvor (Destatis, 2020). Dies entspricht einer nominalen jährlichen Wachstumsrate von etwa 7 Prozent. Bei dieser Betrachtung ist aber nicht zu vergessen, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im selben Zeitraum parallel angestiegen ist. Gemessen als Anteil des Bruttoinlandsprodukts lagen die Bruttoanlageinvestitionen des Staates 2019 bei 2,5 Prozent. Zum Vergleich: in den 1990er Jahren lag der Anteil bei über 3 Prozent, in den 2000er Jahren bei lediglich 2,1 Prozent.
In der Finanzstatistik des Bundeshaushalts ist ebenfalls eine zunehmende Dynamik bei den investiven Ausgaben zu erkennen. So sind die Investitionsausgaben auf Bundesebene zwischen 2014 und 2019 insgesamt um rund 9 Mrd. Euro auf 38,1 Mrd. Euro im Jahr 2019 gestiegen (BMF, 2020a). Noch deutlicher wird diese Dynamik sichtbar in den aktuellen Sollplanungen des Bundes (Abbildung). Vergleicht man das Jahr 2019, indem der Deutschland-Fonds durch Bardt et al. (2019) vorgeschlagen wurde, und die aktuellen Sollzahlen für 2020 und 2021, ergibt sich auf den ersten Blick durchaus eine beachtliche Zunahme bei den investiven Ausgaben. Geplant hat der Bund investive Ausgaben von insgesamt 71,3 Mrd. Euro im Jahr 2020 und somit etwa 33 Mrd. Euro mehr als noch im vergangenen Jahr.
Dabei ist zu bedenken, dass hier die investiven Ausgaben aus den beiden Nachtragshaushalten für 2020 mit enthalten sind. Allein das Konjunkturpaket vom Juni 2020 umfasst sogenannte „Zukunftsausgaben” in Höhe von 50 Mrd. Euro, die sich allerdings über mehrere Jahre strecken. Diese Sondereffekte schwächen sich dann auch in der Haushaltsplanung 2021 wieder ab. Hier plant der Bund insgesamt noch 55,2 Mrd. Euro zu investieren.
Diese auf den ersten Blick beachtliche Erhöhung entpuppt sich aber bei näherer Betrachtung als Mogelpackung. Nahezu die Hälfte der Investitionen des Bundes im Jahr 2020 setzen sich aus dem Erwerb von Beteiligungen, Darlehen, Inanspruchnahme aus Gewährleistungen oder Zuschüssen für Investitionen im Ausland zusammen. In den zusätzlichen Investitionen 2020 (gegenüber 2019) in Höhe von 33,2 Mrd. Euro sind beispielsweise eine Eigenkapitalerhöhung der Deutschen Bahn AG zur Kompensation von Folgeschäden der Coronapandemie (5 Mrd. Euro), ein Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit (9,3 Mrd. Euro) oder eine Erhöhung der Inanspruchnahme von Gewährleistungen (6,4 Mrd. Euro) enthalten. Der Anteil von Bau- und Sachinvestitionen, Zuweisungen sowie Zuschüssen für Investitionen im Inland beträgt lediglich 55 Prozent. In diesen Bereichen investiert der Bund 2020 nur 10,6 Mrd. mehr als im Vorjahr. Damit schrumpft das auf den ersten Blick beachtliche Plus bei den Investitionen des Bundes auf ein Drittel der ursprünglichen Summe zusammen. Hinzu kommt, dass von den geplanten 71,3 Mrd. Euro im Jahr 2020 bis September bisher nur rund 25 Mrd. Euro abgeflossen sind (BMF, 2020b).
Auch in den folgenden Jahren sind keine größeren Sprünge geplant (Deutscher Bundestag, 2020). 2021 liegen die Investitionen in den oben genannten Bereichen um 8,4 Mrd. Euro über dem Wert von 2019. Vergleicht man den Finanzplan des Vorjahres mit dem aktuellen, so ergeben sich für 2022 und 2023 Mehrinvestitionen von jeweils 8,2 Mrd. Euro – Ausgabenkategorien wie Beteiligungen, Darlehen etc. inklusive. Zum Vergleich: der im Vorjahr von Bardt et al. (2019) attestierte zusätzliche gesamtstaatliche Investitionsbedarf liegt bei 45,7 Mrd. Euro jährlich. Wieviel hiervon vom Bund getragen werden sollte, ist eine politische Entscheidung. Historisch betrachtet lag der Anteil der Investitionsausgaben auf Bundesebene in der vergangenen Dekade durchschnittlich bei etwa 1/3 der gesamtstaatlichen Investitionen. Daraus folgt, dass die Diskrepanz nicht direkt zu den 45 Mrd. anzusetzen ist, sondern darunter liegen sollte. Es unterstreicht weiterhin die bedeutsame Rolle von Ländern und Kommunen bei der öffentlichen Investitionstätigkeit.
Im Rahmen des Zukunftspakets werden bis zum Jahresende 2020 noch Zuweisungen an den Energie- und Klimafonds (EKF) in Höhe von 26,2 Mrd. Euro abgehen, die innerhalb des Kernhaushalts zunächst nicht als Investitionen verbucht werden (BMF, 2020c). Der Wirtschaftsplan dieses Sondervermögens sieht unter anderem Investitionen von 7 Mrd. Euro für die Wasserstoffstrategie vor. Betrachtet man diese Zuweisung an den EKF genauer, sind auch hier klare Abstriche zu machen. So sind allein 11 Mrd. Euro als Zuschüsse zur Entlastung beim Strompreis eingeplant. Im zweiten Nachtragshaushalt werden im EKF insgesamt 9,3 Milliarden zusätzliche Investitionen ausgewiesen – allerdings verteilt auf mehr als 10 Jahre. Für 2020 sind hierbei 740 Mio. vorgesehen, davon 500 Mio. Euro Zuschüsse für den Kauf von Elektroautos. Allerdings können auch weitere Anteile des EKF für Investitionen verwendet werden, beispielsweise im Rahmen der Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Elektromobilität.
Es bleibt festzuhalten, dass öffentliche Investitionen auf Bundesebene einerseits an Dynamik seit 2014 gewonnen haben, andererseits aber noch nicht die 2019 festgestellten Bedarfe abdecken können. Auch die starken Ausgabenerhöhungen im Rahmen der Corona-Maßnahmen scheinen hier keinen entscheidenden Wendepunkt gebracht zu haben. Diese Sondereffekte bei den Mehrausgaben des Bundes schwächen sich bereits 2021 wieder deutlich ab. Das Sondervermögen des EKF stellt grundsätzlich einen erfolgsversprechenden Ansatz dar, Investitionen auch längerfristig zu erhöhen. Dessen effektive Umsetzung bleibt aber noch abzuwarten. Selbst wenn liegen gebliebene staatliche Mittel zügig verbaut würden, ist der aufgezeigte Investitionsbedarf bisher nicht gedeckt. Ein richtiger „Wumms” bei den öffentlichen Investitionen hat (noch) nicht stattgefunden.
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