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Bergmann, Knut / Borgstedt, Silke / Diermeier, Matthias / Niehues, Judith IW-Kurzbericht Nr. 67 22. September 2021 Klimaschutz und Parteipräferenz: Einigkeit in der Sache, Unterschiede in den Maßnahmen

Eine deutliche Mehrheit der Menschen ordnet Klimaschutzmaßnahmen eine sehr hohe Bedeutung zu. Gleichwohl zeigt sich in der konkreten Ausgestaltung Konfliktpotenzial für mögliche Koalitionsverhandlungen.

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Klimaschutz und Parteipräferenz: Einigkeit in der Sache, Unterschiede in den Maßnahmen
Bergmann, Knut / Borgstedt, Silke / Diermeier, Matthias / Niehues, Judith IW-Kurzbericht Nr. 67 22. September 2021

Klimaschutz und Parteipräferenz: Einigkeit in der Sache, Unterschiede in den Maßnahmen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Eine deutliche Mehrheit der Menschen ordnet Klimaschutzmaßnahmen eine sehr hohe Bedeutung zu. Gleichwohl zeigt sich in der konkreten Ausgestaltung Konfliktpotenzial für mögliche Koalitionsverhandlungen.

Während mehr als zwei Drittel der Grünen-Anhänger den Wegfall von Industrie-Arbeitsplätzen im Zuge des Klimaschutzes für akzeptabel halten, sind 65 Prozent der FDP-Anhänger nicht bereit, diese „Nebenwirkung“ in Kauf zu nehmen.

Klimaschutz: Im Vorfeld der Bundestagswahl haben das SINUS-Institut und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gemeinsam eine Befragung zur politischen Stimmung in verschiedenen Themenbereichen durchgeführt. Die Befragung von 2.000 Personen durch das Meinungsforschungsinstitut YouGov wurde im Zeitraum 17. August bis zum 22. August durchgeführt und ist repräsentativ für die Wahlberechtigten in Deutschland. Es zeigt sich ein breiter Konsens zur Bedeutung des Klimaschutzes: 80 Prozent der Befragten stimmen „voll und ganz“ oder „eher“ zu, dass es auf lange Sicht günstiger ist, die Wirtschaft schon heute klimafreundlicher umzubauen, als dies erst in ein paar Jahren zu tun (Grafik). 70 Prozent der Befragten teilen zudem die Ansicht, dass heute der Konsum eingeschränkt werden muss, damit zukünftige Generationen so gut leben können wie heutige. Nur ein Fünftel ist explizit dagegen, Kurzstreckenflüge zu verbieten, wenn die entsprechende Strecke in weniger als 3 Stunden mit dem Zug zurückgelegt werden kann („Stimme überhaupt nicht zu“, „Stimme eher nicht zu“; Abweichung zur Grafik durch die Antwortmöglichkeit „Weiß nicht“).

Mit Blick auf die empfundene Verantwortung im Kontext des Klimawandels deuten die Befragungsergebnisse auf eine ausgeprägte „Zeigefinger-Mentalität“ hin: Eine große Mehrheit ist der Ansicht, die Wirtschaft (71 Prozent), der Staat (64 Prozent) und die anderen Bürger (62 Prozent) würden zu wenig tun, um die Klimakrise zu bewältigen. Lediglich das eigene Tun zur Bewältigung der Klimakrise sieht knapp die Hälfte der Befragten nicht kritisch. Die Differenz zwischen Befragten, die das Handeln ihrer Mitbürger als besonders bedenklich empfinden, sich selbst aber weniger in die Pflicht nehmen wollen, hat über Parteigrenzen Bestand. Unter den Anhängern der Grünen ist der Blick auf alle Akteure besonders kritisch (jeweils über 90 Prozent sind der Meinung, die Wirtschaft und der Staat würde zu wenig tun), aber sie gehen gleichzeitig auch mit sich selbst härter ins Gericht als die Anhänger der übrigen Parteien: Zwei Drittel der Grünen-Anhänger schätzen ihren persönlichen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise als zu gering ein – gegenüber einem Drittel unter den Anhängern der CDU/CSU.

Eine Differenzierung der klimapolitischen Einstellungen nach Parteipräferenz offenbart zudem das Konfliktpotenzial möglicher Koalitionsverhandlungen. Während Anhänger der Grünen erwartungsgemäß die höchsten Zustimmungswerte zu klimapolitischen Maßnahmen aufweisen, stehen die Anhänger der FDP diesen Einstellungen fast antagonistisch gegenüber. Während mehr als zwei Drittel der Grünen-Anhänger beispielsweise den Wegfall von Arbeitsplätzen in der Industrie für akzeptabel halten, stimmen knapp 65 Prozent der FDP-Sympathisanten diesem eher oder gar nicht zu. Eine große Mehrheit der Befragten geht sowieso nicht davon aus, dass die Bekämpfung des Klimawandels „unserer Wirtschaft“ schadet. Interessanterweise teilen auch viele Unternehmen diese Perspektive: Wie eine Befragung im Rahmen des IW-Zukunftspanels zeigt, entgegnen 72 Prozent der mehr als 1.000 befragten Unternehmen auf die Frage nach den Auswirkungen des EU-Ziels der Klimaneutralität in 2050 (sogenannter „Green Deal“), dass sie ihr Geschäftsmodell erfolgreich anpassen können (Demary et al. 2021).

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In der Sinus-IW-Befragung erlangt auch die Aussage „Neue Gesetze, die im Widerspruch zu allgemeinen Klimaschutzzielen stehen, sollten nicht beschlossen werden dürfen“ große Zustimmung – eine entsprechende Forderung war von grüner Seite im Wahlkampf erhoben worden. Mit Ausnahme der AfD findet ein Verbot von klimaschädlichen Gesetzen in allen Parteianhängerschaften eine Mehrheit. Selbst einer Schwarz-Grün-(Gelben) Koalition würde eine gesetzliche Klimaschutz-Vorfahrt aus Wählersicht zumindest grundsätzlich nicht im Wege stehen. Unter den Befürwortern der Grünen erfreut sich die Forderung mit knapp 90 Prozent Zustimmung einer besonderen Beliebtheit.  

Wenig überraschend stehen AfD-Anhänger Maßnahmen zum Klimaschutz noch einmal deutlich skeptischer gegenüber – sie werden aber teilweise sogar noch von denjenigen übertroffen, die nicht wählen gehen möchten. Auch diejenigen, die noch nicht wissen, ob und wen sie wählen möchten, weisen unterdurchschnittliche Zustimmungswerte zu den klimapolitischen Eingriffen auf.

Um noch genauer zu verstehen, was die Bevölkerung mit Blick auf die künftigen Herausforderungen und Weichenstellungen bewegt, wurde als weitere Erklärungsperspektive der Ansatz der Sinus-Milieus in die Erhebung integriert. Die Sinus-Milieus® gruppieren Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Die Milieuperspektive ersetzt die Untersuchung soziodemografischer Merkmale nicht, sondern ergänzt und verfeinert sie, indem die Dimension der Wertorientierungen, Lebensstile und ästhetischen Präferenzen zusätzlich zu schichtspezifischen Merkmalen integriert wird.

Über den Milieuansatz ist es möglich, Einblicke in Motive und Verhaltensweisen der Bevölkerung zu gewinnen, um sie so besser erreichen und „mitnehmen“ zu können (https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus).

Die Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz ist zwar grundsätzlich für alle Teile der Gesellschaft relevant. Mit Blick auf entsprechende Handlungskonsequenzen und Anforderungen an Staat und Wirtschaft zeigt sich jedoch eine Konfliktlinie innerhalb der Gesellschaft, d.h. eine soziokulturelle Bruchkante, entlang derer die Veränderungsbereitschaft für grundlegende Transformationsprozesse abzulesen ist.

Einerseits wird eine stärkere Verbreitung des nachhaltigen Denkens in der Gesellschaft deutlich: Klimapolitik ist längst nicht mehr Themen-Monopol im postmateriellen Milieu-Segment, in dem man sich seit jeher Werten wir Umweltschutz, Diversität und Emanzipation verschreibt. Längst benennen auch wirtschaftsliberale Milieus wie die Performer oder die lifestyle-orientierte Bohème des expeditiven Milieus Umwelt- und Klimaschutz mehrheitlich als wichtigstes politisches Thema.

Gleichzeitig sorgt das Thema in der Mitte und in traditionellen Milieus für Verunsicherung, in Teilen des hedonistischen Segments und im prekären Milieu trifft es sogar auf klare Ablehnung. In all diesen Milieus steht die eigene zukünftige Versorgungssicherheit im Vordergrund, die angesichts möglicher neuer Verteilungskämpfe (z.B. Wegfall bestimmter Jobs, verringerte Teilhabechancen in punkto Mobilität) bedroht erscheint. Entsprechend ist in diesen Milieus das Thema Rente/Altersversorgung vergleichsweise prioritär.

Kurz vor der Bundestagswahl erweist sich unsere Gesellschaft als gespalten. Neue Leitwerte sind zunehmend etabliert, denn Nachhaltigkeit wird in immer mehr Milieus akzeptiert oder explizit gefordert. Zudem avanciert Resilienz zum neuen Distinktionsmerkmal: Veränderungsfähigkeit und agiles Krisenmanagement werden zu Kernkompetenzen – und stärken den Einfluss neuer Leitmilieus. Diese Gruppen sind aber gleichzeitig in ihrem Wahlverhalten verunsichert und zu hohen Anteilen noch unentschlossen, wie sie wählen werden – im Unterschied zu konservativ-traditionellen Milieus.

Auf der anderen Seite besteht Sorge angesichts der Wohlstandssicherung und Teilhabemöglichkeit in denjenigen Milieus, die sich weniger gut ausgestattet mit ökonomischen oder bildungsbezogenen Ressourcen sehen. Die sozio-kulturelle Dynamik geht dabei aktuell von der Mitte der Gesellschaft aus. Während der statusorientierte Teil der bürgerlichen Mitte Aufstieg und Allianzen in der Oberschicht sucht, reift im sozio-ökonomisch weniger gut aufgestellten Teil der bürgerlichen Mitte ein Hang zur Systemkritik heran. Hier sehen sich viele als kulturell marginalisiert und die eigenen Vorstellungen in der etablierten Politik als entwertet. Sie fordern eine Abkehr von Klimaschutz-Priorisierung, „Gendersternchen“ und Digitalisierungs-Imperativen – und wünschen sich eine Veränderung der aktuellen Debatten, damit alles so bleibt wie es ist.

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