1. Digitalisierung K1
  2. Dekarbonisierung K2
  3. Demografie K3
  4. De-Globalisierung K4
  5. Klimaschutz und Handel K5
  6. Digitalisierung und China K6
  7. Fachkräfte für die Dekarbonisierung K7
  8. Handlungsempfehlungen K8
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Vera Demary / Jürgen Matthes / Axel Plünnecke / Thilo Schaefer IW-Studie

Gleichzeitig: Wie vier Disruptionen die deutsche Wirtschaft verändern

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Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Deutschland steht vor großen strukturellen Herausforderungen. Die Corona-Pandemie dominiert seit dem Frühjahr 2020 das politische wie wirtschaftliche Handeln. Darüber hinaus gibt es Entwicklungen, die Wirtschaft, Gesellschaft und Staat schon seit einiger Zeit beeinflussen und dies mittel- bis langfristig weiter tun werden: Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demografie und De-Globalisierung.

Diese IW-Studie beschäftigt sich mit diesen vier disruptiv wirkenden Trends. Sie geht auf die konkreten Problemlagen ein, arbeitet ihre Schnittstellen heraus und leitet daraus Handlungsempfehlungen für die Politik ab. Dabei stützt sie sich auch auf eine Unternehmensbefragung im Rahmen des IW-Zukunftspanels.
 

SO GROß DIE HERAUSFORDERUNGEN AUCH SIND: UNTERM STRICH ERGEBEN SICH VIELE CHANCEN.
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Digitalisierung | K1

1.0

Digitalisierung

Die Digitalisierung ist eine Herausforderung, die alle betrifft: die Unternehmen, den Staat und die Gesellschaft insgesamt. In der Wirtschaft gibt es große Unterschiede beim Stand der Digitalisierung – besonders fortgeschritten sind große Unternehmen, Unternehmen in Süddeutschland und solche in städtischen Ballungsräumen.

DIGITALE GESCHÄFTSCHANCEN BIETEN SICH DEUTSCHEN UNTERNEHMEN IM BUSINESS-TO-BUSINESS-BEREICH.

Die Informations- und Kommunikationsbranche ist Vorreiter sowie Treiber der Digitalisierung in anderen Branchen und liefert die erforderliche Technologie. Der Fahrzeugbau, der Maschinenbau und die Elektroindustrie sind bereits überdurchschnittlich stark digitalisiert. Andere Branchen – wie etwa der Handel, Verkehr und Logistik sowie der Tourismus – bleiben hingegen hinter dem Durchschnitt zurück und haben besonders viel Verbesserungspotenzial.

Dabei ist sich ein Großteil der Unternehmen der Relevanz der Digitalisierung durchaus bewusst: Rund zwei Drittel der für diese Studie befragten Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen schätzen die Bedeutung der Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren für ihr Unternehmen als sehr oder eher groß ein.

Zu den Hemmnissen der Digitalisierung zählt neben rechtlichen Grauzonen und fehlenden Experten vor allem die Unklarheit über den Nutzen, der beispielsweise mit datengetriebenen Geschäftsmodellen einhergeht. Das hiesige Umfeld der Unternehmen, gekennzeichnet durch eine oftmals immer noch nicht zufriedenstellende digitale Infrastruktur sowie ein im internationalen Vergleich unterentwickeltes E-Government, hemmt die weitere Digitalisierung ebenfalls.

Außerdem erhöhen digitale Plattformen aus den USA und China den Wettbewerbsdruck und die Dynamik von Märkten. Im B2C-Segment (Business-to-Consumer) haben Deutschland und Europa dem wenig entgegenzusetzen. Es ist daher umso wichtiger, mit erhöhtem Tempo in der Digitalisierung der Unternehmen und bei der Entwicklung datenbasierter Geschäftsmodelle voranzuschreiten. Hier bietet insbesondere der B2B-Bereich (Business-to-Business) großes unternehmerisches Potenzial.

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(© kamisoka| iStock)

Dekarbonisierung | K2

2.0

Dekarbonisierung

Die Verschärfung der Klimaziele durch den Green Deal der EU-Kommission erhöht den Druck auf die deutsche Wirtschaft. Die erforderliche Reduktion der Treibhausgasemissionen kann nur gelingen, wenn statt fossiler Brennstoffe erneuerbare Energien ein­gesetzt und emissions­intensive Produktionsverfahren von klimafreundlichen Technologien abgelöst werden können. 

Die Dekarbonisierung erfordert eine umfangreiche Transfor­mation, die Auswirkungen auf die meisten Bereiche wirtschaftlicher Aktivität hat.

MIT DEM GREEN DEAL HAT DIE EU DIE DEKARBONISIERUNG DER EUROPÄISCHEN VOLKSWIRTSCHAFTEN EINGELEITET.

In der Industrie können die erheblichen Prozessemissionen häufig nur durch einen Wechsel der Produktionstechnologie vermieden werden. Wo das gelingt, kann erneuerbar erzeugter Strom direkt eingesetzt oder indirekt in Form strombasierter Energieträger, beispielsweise als durch Elektrolyse gewonnener (grüner) Wasserstoff, genutzt werden. Es gibt allerdings auch Bereiche mit unvermeid­baren Emissionen, die eine Speicherung oder anderweitige Nutzung von Kohlendioxid (CO2) erforderlich machen. 

Im Verkehrssektor und beim Heizen von Gebäuden ist ebenfalls der Wechsel des Energieträgers der Schlüssel zur Vermeidung von Emissionen. Dazu kann erneuerbar erzeugter Strom entweder direkt oder indirekt genutzt werden. Beispiele sind batterieelektrische Fahrzeuge und der Einbau von Wärmepumpen oder aber strombasierte flüssige oder gasförmige Energieträger, die den CO2-Gehalt der Kraft- und Brennstoffe reduzieren.

Voraussetzung für die technologische Transformation in allen genannten Bereichen ist die verlässliche Verfügbarkeit großer Mengen erneuerbar erzeugten Stroms. Dazu muss sowohl der Ausbau der Produktion im Inland als auch der Import aus dem Ausland deutlich vorangetrieben werden. Die Kosten für den inländischen Ausbau, die bislang von den Stromverbrauchern getragen werden, aber auch die Kosten für eine Umwandlung von Strom in transportierbare flüssige oder gasförmige Energieträger beschränken bisher die Wettbewerbsfähigkeit der klimafreundlichen Alternativen zu den fossilen Energieträgern. 

Um die Transformation zu bewältigen, bedarf es deshalb nicht nur einer Neuausrichtung der regulatorischen Rahmenbedingungen, sondern auch erheblicher finanzieller Mittel, die sowohl Investitionen als auch die betriebswirtschaftliche Rentabilität klimafreundlicher Geschäftsmodelle ermöglichen.

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(© Dmytro Varavin| iStock)

Demografie | K3

3.0

Demografie

Der demografische Wandel wird in den kommenden zehn bis 20 Jahren zu einem erheblichen Rückgang des Fachkräfteangebots in Deutschland führen. Grundsätzlich können die dämpfenden Wirkungen dieser Engpässe auf die Wachstumsdynamik in Deutschland durch eine Stärkung der Arbeitsproduktivität und damit der Totalen Faktorproduktivität ausgeglichen werden. Dafür wären jedoch zusätzliche Innovationsimpulse notwendig.

Innovationen hängen neben den Forschungs­ausgaben und Neugründungen von der Verfüg­barkeit vor allem von Fachkräften im MINT-Bereich ab (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Für diese ist mit steigenden demografischen Ersatzbedarfen zu rechnen. Das bedeutet, dass ein für zusätzliche Inno­vations­impulse notwendiges höheres Angebot an MINT-Kräften nicht in ausreichendem Maße zu erwar­ten ist. 

Bereits in der Vergangenheit war die Fachkräfteexpansion in innovations- und exportstarken Branchen nur möglich, weil die Potenziale von Älteren, Frauen und Zuwanderern stärker genutzt werden konnten. Die große Bedeutung der Zuwanderung zeigt sich dabei auch in einem stark ansteigenden Anteil der Erfinderinnen und Erfinder mit ausländischen Wurzeln an allen Patentanmeldungen in Deutschland.

FACHKRÄFTESICHERUNG ZÄHLT FÜR DEUTSCHE UNTERNEHMEN ZU DEN TOP-THEMEN DER NÄCHSTEN JAHRE.

In über zwei Dritteln der befragten Unternehmen hat die Fachkräftesicherung in den kommenden fünf Jahren einen eher großen oder sehr großen Stellenwert für die Sicherung ihres Geschäftsmodells. Um die Veränderungsprozesse erfolgreich bewältigen zu können, setzen die befragten Unternehmen auf zusätzliche Investitionen des Staates in Bildung, höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) und die Gewinnung qualifizierter Zuwanderer. Während höhere FuE-Ausgaben und mehr qualifizierte Zuwanderung eher für Unternehmen mit Fachkräfteengpässen von hoher Bedeutung sind, sind Maßnahmen zur Stärkung von Bildung und Forschung auch für Unternehmen sehr wichtig, die große Herausforderungen im Klimaschutz, in der Digitalisierung und im globalen Wettbewerb sehen. 

Bei Bildung, Zuwanderung und Forschung schafft die Corona-Krise neue Probleme: Schulschließungen verschlechtern die Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. Der Übergang zur beruflichen Bildung und der Abschluss des Studiums werden erschwert. Die in den letzten Jahren gestiegene qualifizierte Zuwanderung ist während der Corona-Krise zurückgegangen. Ferner verschiebt ein Teil der Unternehmen Innovationsprojekte oder kürzt geplante Budgets für Forschung und Entwicklung.

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(© goodpic | iStock)

De-Globalisierung | K4

4.0

De-Globalisierung

Die deutsche Wirtschaft setzt mehr als viele andere vergleichbare Volkswirtschaften auf den Export. In der Exportorientierung liegen große Chancen, zuletzt aber auch zunehmend Risiken, etwa weil die Abhängigkeit von der globalen Nachfrage zunimmt. 

Seit 2008 sind gravierende Krisen sehr viel häufiger als erwartet eingetreten: die globale Finanzmarktkrise, die Euro-Schuldenkrise, die Russland-Krise, der Brexit, De-Globalisierungstendenzen, der Trump’sche Protektionismus, die verschärften geopolitischen Rivalitäten und die Krise der Welthandelsorganisation (WTO).

Der deutsche Außenhandel steht für 88 Prozent des BIP – ein sehr hoher Wert IM VERGLEICH Grosser OECD-Länder.

Diese Entwicklungen haben das deutsche Exportmodell erheblich unter Druck gesetzt und die ökonomische Unsicherheit stark erhöht. Sie gingen einher mit einem deutlichen Anstieg der weltweiten Handelsbarrieren gegenüber deutschen Exporten. Es waren so viele der deutschen Haupthandelspartner gleichzeitig oder nacheinander betroffen, dass auch die breite Diversifizierung der Exportziele nicht mehr ausreichend abfedernd wirkte. In der Folge stockte der Exportmotor in den 2010er Jahren deutlich gegenüber der Zeit zwischen 2000 und 2008.

Mittelfristig droht das deutsche Exportmodell durch Protektionismus und Abkoppelungstendenzen noch mehr unter Druck zu geraten. Denn so entstehen große Anreize für deutsche Unternehmen, Exportmärkte zunehmend durch Produktion vor Ort zu bedienen. Vor allem China setzt gezielt Anreize, dass ausländische Firmen Beschäftigung, Wertschöpfung und sogar Forschung dort ansiedeln statt im eigenen Land. 

Die hohe deutsche Exportorientierung macht besonders anfällig für Verlagerungen von Betriebsstätten auf Kosten des Standorts Deutschland. Da China stärker auf Selbstversorgung setzt, könnte sich ein starker Produktionsfokus auf China aber als problematisch erweisen, wenn deutsche Firmen längerfristig aus China verdrängt werden sollten.

Hinzu kommt der steigende Konkurrenzdruck durch die aufstrebende Wirtschaftsmacht China, sei es durch technologisches Aufholen oder durch staatliche Subventionen und Wettbewerbsverzerrungen. Diese Kombination kann mittelfristig den Wohlstand in Deutschland gefährden. 

Für deutsche Industrieunternehmen ist die Konkurrenz durch chinesische Firmen inzwischen bereits ein größeres Problem als der Protektionismus. Dabei vermuten vor allem diejenigen Firmen, die die chinesische Konkurrenz spüren, dass die Wettbewerbsvorteile Chinas eher durch Subventionen als durch Innovationen entstehen. Daher unter­stützen sie mit großer Mehrheit eine robustere Handels- und Investitionspolitik gegenüber China.

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(© Sven Loeffler| iStock)

Klimaschutz und komparative Vorteile der deutschen Wirtschaft | K5

5.0

Klimaschutz und komparative Vorteile der deutschen Wirtschaft

Ob Energie- und Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft oder nachhaltige Mobilität: Ein breiter Blick auf grüne Technologien verdeutlicht das enorme Potenzial in einem in Zukunft weltweit stark wachsenden Markt. Neben Europa investieren die USA, Japan und China massiv in Klimaschutztechnologien. 

Kann die Wertschöpfungs- und Beschäftigungsbasis in Deutschland im Zuge des globalen Wettbewerbs von diesem enormen Marktwachstum profitieren – oder wird sie da­­durch in Teilen gefährdet? Diese Frage untersucht Kapitel 5 mit einem syste­matischen Ansatz.

Rund 70 Prozent der deutschen Unternehmen erwarten durch den Klimaschutz neue Absatz­chancen. Rund jeder siebte Industriebetrieb glaubt hingegen, sein gefährdetes Geschäftsmodell nicht anpassen zu können. Zudem war die Performance deutscher Exporte und Spezialisierungsvorteile bei enger definierten Klimaschutzgütern – vor allem Gütern für die Gewinnung erneuerbarer Energien – in jüngerer Vergangenheit eher ernüchternd. China hat hier zumeist stark aufgeholt. 

Zur Jahrtausendwende und danach sah man bei vielen dieser Güter noch gute Zukunftsperspektiven für Deutschland. Hersteller wurden oft mit umfangreichen Subventionen unterstützt. Von dieser Förderung haben jedoch gerade bei der Solarenergie vor allem chinesische Unternehmen profitiert. Nach anfänglicher Expansion schrumpfte die deutsche Wertschöpfung deutlich. Der Aufstieg chinesischer Anbieter ist sowohl auf die Standar­disierbarkeit der Solarmodulproduktion als auch auf Subventionen in China zurückzuführen. Beide Faktoren beeinflussen die komparativen Vorteile. Damit zeigt sich, dass die Klimaschutzpolitik die spezifischen Wettbewerbschancen in den Blick nehmen muss.