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Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 40 3. April 2020 Luftfahrt: Branche in existenzieller Krise

Wirtschaftszweige mit Publikumsverkehr haben aufgrund des Corona-bedingten Shutdowns quasi über Nacht ihr gesamtes Geschäft verloren. Hierzu zählt die Luftfahrtbranche, die zudem unter umfangreichen Reisebeschränkungen leidet. Das Flugangebot vieler Airlines wurde um 90 bis 95 Prozent zusammengestrichen.

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Branche in existenzieller Krise
Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 40 3. April 2020

Luftfahrt: Branche in existenzieller Krise

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Wirtschaftszweige mit Publikumsverkehr haben aufgrund des Corona-bedingten Shutdowns quasi über Nacht ihr gesamtes Geschäft verloren. Hierzu zählt die Luftfahrtbranche, die zudem unter umfangreichen Reisebeschränkungen leidet. Das Flugangebot vieler Airlines wurde um 90 bis 95 Prozent zusammengestrichen.

Mit der anhaltenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schockstarre speziell in Europa und Nordamerika stellt sich die Frage, wie lange die betroffenen Unternehmen der Luftfahrtbranche dies finanziell durchhalten können, und welche Hilfsmaßnahmen sinnvoll sind. Bereits in den letzten Jahren mussten diverse Fluggesellschaften Insolvenz anmelden, da sie im sehr wettbewerbsintensiven Flugreisemarkt Verluste einflogen. Hierzu zählten z.B. Air Berlin und Germania in Deutschland sowie jüngst Flybe im Vereinigten Königreich, die schon vor der Insolvenz mit der ersten virusbedingten Reduktion des Flugverkehrs Anfang März 2020 in Schwierigkeiten war. Weitere Fluglinien sind hoch verschuldet, weil sie seit Jahren keine Gewinne machen oder ihre Flotte stark ausgebaut haben. Zur ersten Kategorie gehört z.B. Alitalia, deren Wiederverstaatlichung in der aktuellen Krise durch die italienische Regierung bereits angekündigt wurde. In die zweite Gruppe fällt Norwegian, die ohne Hilfe der norwegischen Regierung akut insolvenzbedroht sein dürfte. Gefährdet erscheint auch die gerade erst von der polnischen LOT übernommene Charterlinie Condor.

In Deutschland ist der Luftverkehrsmarkt durch die Insolvenzen von Air Berlin 2017 und Germania 2019 bereits vor der Corona-Krise bereinigt worden. Die Lufthansa-Gruppe (LHG) ist der dominierende Carrier. Zudem ist sie mit den Töchtern Swiss, Austrian Airlines, Brussels Airlines, Air Dolomiti und Eurowings nach Passagierkilometern und Flotte die größte europäische Airline. Der innerdeutsche Markt wird von der LHG sowie den Billigfluglinien Easyjet und Ryanair dominiert. Diese drei Gesellschaften sind finanzstark und nicht akut insolvenzgefährdet. Trotzdem können sie einen anhaltenden Totalausfall des Geschäfts nicht lange überstehen und benötigen Staatshilfen, wenn der Shutdown über mehrere Wochen fortbesteht. Der Weltluftverband IATA schätzt, dass die Liquiditätsreserven der Fluglinien im Durchschnitt nur 2 bis 3 Monate reichen (IATA, 2020a).

Liquiditätshilfen kaum ausreichend

Die Gewinnsituation der Fluggesellschaften weltweit war im letzten Quartal 2019 besser als im Vorjahreszeitraum. Jedoch konnten mit 3,4 Milliarden US-Dollar nur nordamerikanische Airlines hohe Gewinne verbuchen. Alle europäischen Gesellschaften zusammen kamen lediglich auf einen Quartalsgewinn von 390 Millionen US-Dollar (IATA, 2020b). Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass der Reiseverkehr sich nach Aufhebung der aktuellen Beschränkungen nicht zügig normalisiert, sondern über Monate, eventuell sogar Jahre gedämpft bleibt. Auch nach dem Shutdown wäre es dann angesichts der schon im Normalbetrieb geringen Margen unmöglich, von den Regierungen gewährte Liquiditätshilfen zurückzuzahlen.

Der Welt-Luftfahrtverband IATA und die drei globalen Verbünde Oneworld, Skyteam und Star Alliance mit zusammen 60 Airlines fordern staatliche Hilfen und Maßnahmen, „um die beispiellosen Herausforderungen zu mildern, denen sich die globale Luftfahrtindustrie angesichts der Covid-19-Pandemie gegenübersieht“ (Airliners, 2020). Die IATA nannte zuletzt einen Betrag von 200 Milliarden US-Dollar als notwendige Soforthilfe für die globalen Airlines (IATA, 2020a).

Hilfen für den Luftverkehrssektor sollten daher langfristig angelegt sein und eine Kombination aus Liquiditätshilfen, Zuschüssen und gegebenenfalls Beteiligungen umfassen. Gleichzeitig muss aber nach der akuten Krise der Erhalt von Überkapazitäten vermieden werden.

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Verstaatlichung wirft ordnungspolitische Fragen auf

Diskutiert wird nun in Deutschland und anderen Ländern auch eine Verstaatlichung oder zumindest staatliche Beteiligung im Luftverkehrssektor. In ihrem „Schutzschirm“ für größere Unternehmen - im Umfang von bis zu 600 Milliarden Euro - sieht die Bundesregierung neben rückzahlbaren Liquiditätshilfen die Möglichkeit von Beteiligungen vor (BMWi, 2020). Hierfür sind Kreditermächtigungen über 100 Milliarden Euro geplant. Dieses Instrument wurde infolge der Finanzkrise 2009 in Deutschland wie andernorts bereits im Bankensektor genutzt. Die LHG könnte ein Kandidat hierfür sein, wenn die Verkehrseinschränkungen andauern und eine Insolvenz in den Bereich des Möglichen rückt. Problematisch ist allerdings, dass Staatsbeteiligungen potenziell stark wettbewerbsverzerrend wirken und zu einem Subventionswettlauf zwischen den Staaten führen könnten. Alitalia ist z.B. bereits mehrfach durch staatliche Hilfen vor der Insolvenz bewahrt worden, wodurch eine Kapazitätsbereinigung auf dem italienischen Luftverkehrsmarkt verhindert wurde.

Zu beachten ist auch, dass eine Verteuerung von Flugreisen aus klimapolitischen Erwägungen, wie sie die Bundesregierung (2019) beschlossen hat, und eine Subventionierung der Airlines über Staatshilfen sich langfristig konterkarieren. Der Staat läuft Gefahr, dass er die ab April im Rahmen des „Klimapakets“ noch erhöhte Luftverkehrssteuer, die die Branche mit circa 1,5 Milliarden Euro p.A. belasten dürfte, direkt wieder für den Erhalt teilverstaatlichter Gesellschaften aufwenden muss. Es gilt daher, nach Ende der Corona-Krise strikten Beihilferegeln möglichst schnell wieder Geltung zu verschaffen. Dies muss in internationaler Abstimmung geschehen, um den Druck zu einem Subventionswettlauf zu vermindern. Eigenkapitalbeteiligungen sollten nur vorrübergehender Natur sein. Andernfalls drohen die großen wettbewerbsökonomischen Vorteile, die aus der Deregulierung und Privatisierung des Sektors seit den 1970er Jahren entstanden sind (Viscusi et al., 2005), in Folge der aktuellen pandemiebedingten Krise zu erodieren.

Übernahme durch internationale Investoren nicht möglich

Um einen Aspekt braucht sich der Luftfahrtsektor weniger Sorgen machen als andere Branchen: Finanzinvestoren oder ausländische Konkurrenten können die krisenbedingt gedrückten Börsenkurse kaum nutzen, um Airlines wie die LHG aufzukaufen. Allenfalls Minderheitsbeteiligungen sind möglich. Denn das internationale Luftverkehrsrecht knüpft die Landerechte in anderen Staaten an die „Nationalität“ der Airlines, d.h. die Eigentümermehrheit von 50 Prozent plus eine Aktie der Stimmrechte muss aus dem jeweiligen Staat des rechtlichen Sitzes stammen. In den USA beträgt die maximale Beteiligungshöhe ausländischer Investoren aufgrund nationaler Bestimmungen sogar nur 25 Prozent (ALPA, 2020). Auch eine Übernahme großer europäischer Airlines durch Konkurrenten aus der gleichen Region ist schwer vorstellbar, da sie von den Kartellbehörden nicht genehmigt würde. Krisenbedingt fehlen Wettbewerbern dafür zudem die Mittel.

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