Die transatlantischen Handelsbeziehungen haben sich unter der Biden-Administration – trotz verbleibender Konflikte – sehr deutlich verbessert. In der Folge sind die USA als Exportpartner mit einem Ausfuhranteil von fast 10 Prozent im ersten Halbjahr 2022 für Deutschland noch wichtiger geworden, während Chinas Bedeutung zuletzt abnahm.
Handelsbeziehungen zu den USA: Das Glas ist mehr als halb voll
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die transatlantischen Handelsbeziehungen haben sich unter der Biden-Administration – trotz verbleibender Konflikte – sehr deutlich verbessert. In der Folge sind die USA als Exportpartner mit einem Ausfuhranteil von fast 10 Prozent im ersten Halbjahr 2022 für Deutschland noch wichtiger geworden, während Chinas Bedeutung zuletzt abnahm.
Die zukünftige Handelspolitik zwischen der EU und den USA wie auch die Ausrichtung der transatlantischen Partner gegenüber China wird der neue Handels- und Technologierat maßgeblich mitbestimmen. Ein Jahr nach dem ersten Treffen in Pittsburgh ist es Zeit für eine kurze Bilanz.
Vor einem Jahr, am 29. September 2021, trafen sich Vertreter von EU und USA zum ersten Mal zum Handels- und Technologierat (Trade and Technology Council – TTC), der auf Vorschlag Brüssels mit der Biden-Administration vereinbart und neu eingerichtet wurde. Mitte Mai fand ein zweites Treffen statt, das dritte ist für Ende 2022 avisiert. Momentan wird in zehn Arbeitsgruppen intensiv an dessen Vorbereitung gearbeitet, weil erstmals konkrete Ergebnisse geliefert und wichtige Kooperationsprojekte vereinbart werden sollen. Beispielsweise geht es um die Setzung internationaler technischer Produktstandards, da China hier immer offensiver agiert, während sich die EU und die USA bislang zuweilen gegenseitig blockiert haben. Für eine in Zukunft effizientere Koordination zwischen EU und USA wird ein strategischer Standard-Informationsmechanismus ins Leben gerufen. Zudem ist ein gemeinsames Vorgehen vorgesehen bei der Umsetzung der OECD-Vorgaben für Anwendungen Künstlicher Intelligenz. Wichtig ist auch die Kooperation dabei, die Resilienz der Lieferketten zu erhöhen und vor allem die teils starke Abhängigkeit von China zu mindern, etwa bei Seltenen Erden oder Solarmodulen (s. auch Reinsch/Benson, 2022).
Parallel zu den TTC-Verhandlungen hat sich der Handel mit den USA dynamisch entwickelt. Noch nie seit Anfang des Jahrtausends waren die USA als wichtigster Exportpartner Deutschlands so bedeutsam wie zuletzt. Der Anteil der USA an der deutschen Warenausfuhr stieg im ersten Halbjahr 2022 auf 9,7 Prozent, nachdem er in den Vorjahren relativ konstant bei knapp 9 Prozent lag. Dagegen nahm der Exportanteil Chinas deutlich ab, auf zuletzt nur noch 7,1 Prozent. China rutschte damit von Rang 2 in den beiden Vorjahren auf Rang 4 ab, während die USA ihre Spitzenposition weiter ausbauen konnten. Ohnehin ist die gesamte (auch investive) Wirtschaftsverflechtung Deutschlands mit den USA viel bedeutsamer als die mit China (Kolev, 2021).
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Ursachen für die gute Exportentwicklung
Zu dieser Reorientierung und dynamischen Exportentwicklung dürften mehrere Faktoren beigetragen haben:
- Die Schwäche des chinesischen Marktes – vor allem angesichts der strikten Null-Corona-Politik und der anhaltenden Schwäche des chinesischen Immobilienmarktes, der für China eine hohe Bedeutung als Wachstumsmotor hat (Beer, 2022).
- Eine mögliche Umorientierung deutscher Firmen, die ihre Exportabhängigkeit von China reduzieren wollen und sich wieder stärker nach Westen orientieren. Dies gilt beispielsweise für den deutschen Maschinenbau (FAZ, 2022).
- Die umfangreichen Fiskalprogramme der Biden-Administration seit dem Jahr 2021. Allein der American Rescue Plan vom März 2021 mit einem Volumen von effektiv rund 1,7 Billionen US-Dollar hat die US-Konjunktur so stark angekurbelt, dass davon auch die deutsche Wirtschaft erheblich profitieren konnte (vbw, 2022). Einiges von der zusätzlichen Nachfrage nach deutschen Exporten dürfte sich erst in diesem Jahr manifestiert haben. Hinzu kommt noch der im Herbst 2021 beschlossene Infrastructure Investment and Jobs Act mit einem Volumen von rund 550 Milliarden an zusätzlichen Geldern über die nächsten zehn Jahre, auch wenn hiervon vermutlich noch wenig umgesetzt werden konnte.
- Die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar im Verlauf der letzten Monate macht deutsche Exporte in den USA tendenziell günstiger, allerdings dauert es meist mehrere Monate, bis sich dieser Effekt in der Handelsstatistik zeigt.
- Die Aussetzung der gegenseitigen Strafzölle im Airbus-Boeing-Handelsstreit im Frühjahr 2021, der zuvor jahrelang schwelte. Von diesem lange Zeit größten transatlantischen Konflikt war ein großes beidseitiges Handelsvolumen von 11,5 Milliarden US-Dollar betroffen. Die Strafzölle sind für fünf Jahre ausgesetzt. In dieser Zeit versuchen beide Seiten, in einer Arbeitsgruppe eine Übereinkunft zu erzielen, wie beide Seiten in Zukunft mit Subventionen für den Bau großer ziviler Flugzeuge umgehen wollen.
- Die Aussetzung des Handelskonflikts um Stahl- und Aluminiumzölle, welche die Trump-Administration unter der fragwürdigen Berufung auf nationale Sicherheitsbedenken auch gegen die EU als NATO-Verbündeten verhängt hatte. Die USA erheben diese Zölle seit Anfang 2022 nicht mehr auf EU-Einfuhrkontingente, die sich an den Importvolumina der jüngeren Vergangenheit orientieren. Für darüber hinausgehende Importmengen gelten die Zölle allerdings weiter. Die EU hat ihrerseits Strafzölle auf US-Produkte ausgesetzt, die sie als Gegenreaktion verhängt und avisiert hatte. Ohne diese (wegen der Importkontingente nicht unproblematischen) Einigung wären insgesamt über 12 Milliarden US-Dollar an Warenwerten auf beiden Seiten von Strafzöllen betroffen gewesen. Auch in diesem Fall haben sich beide Seiten geeinigt, nach einer Lösung zu suchen und ein globales Arrangement zur Produktion von nachhaltigem Stahl und Aluminium zu schaffen.
Bei den vertagten Disputen ist eine Einigung nicht leicht, weil es nicht nur um bilaterale Fragen geht, sondern China in beiden Bereichen eine wichtige Rolle spielt oder spielen wird. Die chinesische Regierung unterstützt ihre Firmen mit umfangreichen Subventionen, nicht nur in der zivilen Luftfahrt (wie die EU und die USA es auch tun), sondern auch bei Stahl und Aluminium. Hier drücken große chinesische Überkapazitäten die Weltmarktpreise und hatten die USA dazu veranlasst, die besagten Stahlzölle gegenüber sehr vielen Staaten zu verhängen, da sich Chinas Marktverzerrungen im Weltmarkt letztlich indirekt verbreitet haben. Wegen dieser schwierigen Gemengelage zeugt es von großer transatlantischer Kooperationsbereitschaft, die genannten bilateralen Streitigkeiten auf Eis zu legen, auch wenn die Probleme damit noch nicht gelöst sind. Positiv ist auch eine Grundsatzeinigung bei einem anderen zuvor lange währenden Konflikt zu werten: eine Rahmenvereinbarung zum Datenschutz (Privacy Shield).
Neue Handelskonflikte
Darüber hinaus gibt es jedoch neue Konfliktfelder. So hat sich die Biden-Administration zum Ziel gesetzt, die Globalisierung fairer zu gestalten und die amerikanische Industriebasis zu stärken. Denn die sogenannten Swing-States im mittleren Westen der USA mit ihrer traditionell großen, aber stark geschwächten Industriebasis sind sehr wichtig für den Ausgang von Wahlen in den USA. Unter dem Slogan „Made in America“ agiert die Biden-Administration in für die EU problematischer und letztlich protektionistischer Weise:
- So wurden und werden die sogenannten Buy-American-Vorschriften verschärft, nach denen der US-Staat bei öffentlichen Ausschreibungen sicherstellen will, dass die gekauften Güter zum großen Teil aus den USA stammen. Die Vorleistungsanteile, ab denen sich ein Gut als US-Produkt qualifiziert, werden in den nächsten Jahren von 55 Prozent auf 75 Prozent erhöht. Zudem sollen Ausnahmemöglichkeiten strenger gehandhabt werden. Auch das Infrastrukturpaket soll überwiegend nur heimischer US-Produktion zugutekommen. Dies alles gilt für EU-Firmen jedoch nur eingeschränkt, weil ein WTO-Abkommen sie grundsätzlich von den Buy-American-Vorschriften ausnimmt. Doch auch von dieser Ausnahme gibt es wiederum Ausnahmen (vbw, 2022). Letztlich betrifft die Verschärfung vor allem einzelne europäische Firmen, die sich auf Exporte an den US-Staat spezialisieren oder die Zulieferer von derart spezialisierten Firmen in den USA sind. Doch insgesamt dürften die Folgen überschaubar bleiben, denn EU-Firmen sind überwiegend auf den Privatsektor in den USA ausgerichtet. Und US-Tochterunternehmen von EU-Firmen sollten auch weiterhin bei öffentlichen Beschaffungen zum Zug kommen können, weil sie die meisten Vorleistungen in der Regel aus den USA beziehen (vbw, 2022).
- Für Verstimmung sorgen aktuell Bestimmungen zur steuerlichen Förderung von E-Autos in dem grundsätzlich beschlossenen Inflation Reduction Act, auch wenn die genauen Umsetzungsrichtlinien dieses umfangreichen Fiskalpakets noch ausstehen. Bislang ist vorgesehen, dass Autos, die aus der EU in die USA exportiert werden, von der Förderung wohl ausgeschlossen sein würden. Zudem gibt es im Zeitverlauf strikter werdende Vorschriften zur Verwendung von Autobatterien, deren Bauteile zu einem immer geringer werdenden Teil aus China stammen dürften. Möglicherweise verstößt das diskriminierende Vorgehen der USA sogar gegen die Regeln der Welthandelsorganisation. In Deutschland jedenfalls können auch ausländische Anbieter von den Kaufprämien für E-Autos profitieren.
- Ein neuer Konflikt droht zudem durch das EU-Vorhaben, den Green Deal mit einem Grenzausgleichsmechanismus abzusichern (Kolev at al., 2021).
TTC als große langfristige Chance
Diese Konfliktthemen trüben die ansonsten recht positive Bilanz. Sie spielen sicherlich auch im TTC hinter den Kulissen eine gewisse Rolle, auch wenn der Zukunftsfokus des TTC gerade verhindern will, dass man sich mit bestehenden Streitthemen blockiert. Es geht im TTC vor allem darum, künftige Handelshemmnisse zu vermeiden, etwa wenn es um die technischen Vorgaben für Ladestationen von E-Autos geht oder um die Subventionierung der Halbleiterindustrie. Auch sollen in einzelnen Bereichen Zulassungsverfahren für Produkte gegenseitig anerkannt werden, wenn hier vergleichbare Regeln gelten. Auch kleine Erfolge können dabei wichtig sein, weil die Biden-Administration sich aus den genannten innenpolitischen Gründen wohl nicht auf ein umfassendes Freihandelsabkommen einlassen wird.
Der TTC verfolgt noch ein weiteres sehr wichtiges Ziel. Man will in den zehn Arbeitsgruppen durch den regelmäßigen und intensiven Austausch auf oberen und unteren handelspolitischen Ebenen ein besseres Verständnis füreinander schaffen – und vor allem ein Vertrauen, das über die aktuelle Administration hinaus erhalten bleibt. Die Kooperation im Zuge der gemeinsamen Exportverbote gegenüber Russland nach der Ukraine-Invasion haben hier schon viel bewirkt. Darauf soll jetzt mit konkreten Projekten aufgebaut werden. Denn ein sehr wichtiges strategisches Ziel des TTC ist es, auch den Republikanern im US-Kongress zu zeigen, dass die transatlantische Kooperation unverzichtbar ist in einer Welt zunehmender geopolitischer Konflikte. Wenn das gelingt, könnte der TTC die Biden-Administration und möglicherweise auch eine Rückkehr Donald Trumps in das Präsidentenamt überdauern. Zu hoffen wäre es.
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