Deutschland und Europa müssen sich in der Handels- und Investitionspolitik gegenüber China langfristig neu positionieren. Nur dann kann es gelingen, Wettbewerbsverzerrungen und andere negative Auswirkungen des Staatskapitalismus abzumildern.
Auf Augenhöhe mit Peking
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Deutschland und Europa müssen sich in der Handels- und Investitionspolitik gegenüber China langfristig neu positionieren. Nur dann kann es gelingen, Wettbewerbsverzerrungen und andere negative Auswirkungen des Staatskapitalismus abzumildern.
China ist heute nicht nur Partner, sondern durch den unter Xi Jingping forcierten Staatskapitalismus auch Systemwettbewerber. Die Hoffnung auf Wandel durch Handel hat sich nicht erfüllt, wie der wachsende Einfluss der Kommunistischen Partei zeigt.
Auch außenpolitisch hat die chinesische Führung Vertrauen verspielt – sei es mit einer aggressiveren Strategie in ihrem geografischen Umfeld, mit der auf einseitige Vorteile ausgerichteten Belt-and-Road-Initiative oder mit der 17+1-Initiative. Ein kooperatives Miteinander hat auch gelitten durch die aggressive Rohstoffstrategie Chinas und Drohungen mit willkürlichen Sanktionen gegen deutsche Autohersteller im Falle eines Beteiligungsverbots von Huawei am 5G-Netz.
Gefahren durch Wettbewerbsverzerrungen
Bis vor einigen Jahren wurde China aus europäischer Perspektive fast ausschließlich als wachsender Absatzmarkt und zugleich als kostengünstiger Produktionsstandort angesehen. Diese Sichtweise hat weiterhin ihre Berechtigung. Aber inzwischen sind chinesische Unternehmen auch zu ernsten Wettbewerbern geworden. Dabei stellt sich die Frage, wie sehr die Erfolge chinesischer Konkurrenten auf Wettbewerbsverzerrungen beruhen.
Wenn der steigende Konkurrenzdruck aus China auf fairen Wettbewerbsbedingungen beruhen würde, wäre es allein Aufgabe der europäischen Unternehmen und Wirtschaftspolitik, sich mit Innovationen, Bildung und angebotsorientierten Reformen dafür zu rüsten. Denn in der Tat investiert China viel in Bildung und Forschung und kann auf natürliche Kosten- und Größenvorteile bauen.
Doch der chinesische Staat vergibt umfangreiche Subventionen für industriepolitische Zwecke und verzerrt damit den Wettbewerb. Die Förderung ist komplex und intransparent. Sie umfasst die intensive Nutzung von Staatsunternehmen, vielfältige Finanzhilfen auch für private Firmen von strategischer Bedeutung, die Subventionierung von Produktionsfaktoren (wie verbilligte Firmengrundstücke) und vorgelagerter Inputs wie Energie, Rohstoffe und Metalle, großzügige Exportkredite, vielfältige Steuervorteile sowie niedrige Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards. Die zentral gesteuerte Industriepolitik führt immer wieder zu erheblichen Überkapazitäten, etwa im Stahlsektor oder bei Solarpanels, mit denen subventionierte chinesische Unternehmen auf den Weltmarkt drängen, die Preise drücken und effiziente europäische Unternehmen auszubooten drohen.
Diese negativen Auswirkungen auf den Weltmarkt sind deshalb problematisch, weil die chinesische Wirtschaft so riesig ist und weiter wächst, die staatlichen Interventionen und die Relevanz der Staatsunternehmen aber nicht geringer werden, sondern zunehmen. Zudem holt China bei Innovationen rapide auf – auch aufgrund eines forcierten Technologietransfers in diesem Bereich. Mit der durch massive Staatshilfen unterstützten „Made in China 2025“-Strategie will die Volksrepublik in naher Zukunft in Sektoren vorankommen, in denen viele europäische Unternehmen ihre Spezialisierungsvorteile haben. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Entwicklungen den Wohlstand in Europa mittelfristig gefährden. So lässt sich in theoretischen Außenhandelsmodellen zeigen, dass ein schnelles technologisches Aufholen Chinas zu gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten in fortgeschrittenen Industrieländern führen kann. Die zunehmenden Wettbewerbsverzerrungen verschärfen diese Sorge weiter.
Enttäuschende Verhandlungen
Daher muss es das Ziel der EU und Deutschlands sein, Peking von einer kooperativen Partnerschaft und einem Abbau der Wettbewerbsverzerrungen zu überzeugen. Dies geschähe am besten im Rahmen multilateraler Verhandlungen in der WTO. Die EU hat gemeinsam mit den USA und Japan weitreichende Vorschläge für Reformen der WTO-Regeln zu Industriesubventionen gemacht; hier sollte die EU noch stärker versuchen, Koalitionspartner zu finden. Doch eine Zustimmung Chinas zu konstruktiven Verhandlungen über die Einhegung von Industriesubventionen zeichnet sich nicht ab; angesichts des Konsensprinzips in der WTO erweist sich dieser Weg deshalb als schwer gangbar.
Parallel verhandelt die EU über ein bilaterales Investitionsabkommen mit China. Dabei geht es Brüssel vor allem um eine Verbesserung des bislang eingeschränkten Marktzugangs in China (Reziprozität), jedoch auch um Wettbewerbsverzerrungen. Die Priorisierung sollte allerdings umgekehrt sein, da mehr Reziprozität nur schwer justiziabel sein dürfte und das gravierendere Problem der Wettbewerbsverzerrungen nicht löst. Zwar hat China dieses Jahr, wohl auch aufgrund des Handelskriegs mit den USA, mit einem neuen Investitionsgesetz für gewisse Verbesserungen beim Marktzugang gesorgt; doch diese sind vage gehalten und möglicherweise nur begrenzt rechtlich einklagbar. Insgesamt bleiben die bislang in Aussicht gestellten Zugeständnisse Chinas gegenüber der EU deutlich hinter den Erwartungen der Europäer zurück. Brüssel sollte nicht zu stark auf einen Abschluss noch in diesem Jahr drängen, weil das die EU zu einem Bittsteller machen und ihre Verhandlungsposition schwächen würde.
Die EU muss robuster auftreten
Angesichts der enttäuschenden Entwicklungen bei den multi- und bilateralen Verhandlungen mit China wird deutlich, dass Peking sich ohne mehr Verhandlungsdruck beim Thema Wettbewerbsverzerrungen nicht bewegen wird. Daher sollte die EU auch unilateral vorgehen – wie die USA, aber mit anderen Methoden. Zum einen, um für den Fall zunehmender negativer Wettbewerbseffekte auf dem Weltmarkt rechtzeitig handlungsfähig zu sein und bereits jetzt stärkere Schutzinstrumente zu entwickeln. Und zum anderen, um den Verhandlungsdruck auf China zu erhöhen in der Hoffnung, damit doch noch bei den Gesprächen in Brüssel oder Genf zu einem Durchbruch zu kommen.
Für eine entsprechende Positionierung braucht es Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten. Dabei spielt Deutschland neben Frankreich eine zentrale Rolle. Die deutsche Politik sollte sich von dieser strategischen Neupositionierung nicht durch einseitige Zugeständnisse Chinas an bestimmte deutsche Unternehmen abbringen lassen, mit denen Peking die europäischen Partner auseinander zu dividieren versucht.
Bei einem robusteren Auftreten ist entscheidend: Wenn es nicht gelingt, China zu mehr Kooperation zu bringen, geht es bei neuen Schutzinstrumenten nicht um Protektionismus, sondern um die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen.
Die EU hat verschiedene Handlungsoptionen: mehr WTO-Klagen gegen chinesische Subventionen und Marktverzerrungen, eine stärkere Nutzung der verfügbaren Handelsschutzinstrumente sowie eine Erweiterung des Schutzinstrumentenkastens.
Mit Blick auf die im Rahmen der WTO-Regeln verfügbaren Handelsschutzinstrumente nutzt die EU Antidumping- und vor allem Antisubventionsmaßnahmen relativ wenig – viel seltener und mit niedrigeren Zöllen als die USA. Hier gibt es noch Handlungsspielraum, etwa durch vereinfachte Verfahrensvorschriften, noch mehr Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der Verfahrensdurchführung, Selbstinitiierungen durch die Kommission, eine weitere Lockerung der Regel des niedrigeren Zolls sowie durch eine stärkere Marktbeobachtung. Mit diesen Maßnahmen gilt es zu verhindern, dass europäische Unternehmen durch chinesische Wettbewerbsverzerrungen schon stark geschwächt werden, bevor Handelsschutzinstrumente greifen – wie es bei Solarpanels der Fall war.
Mit einer Erweiterung der handels- und investitionspolitischen Instrumente sollte die EU nicht nur neue Schutzmöglichkeiten entwickeln, sondern auch den Verhandlungsdruck auf China erhöhen. Wichtige Ansatzpunkte dabei sind:
- Das International Procurement Instrument (IPI), mit dem das öffentliche Auftragswesen der EU für geschlossene Drittstaaten wie China schwerer zugänglich gemacht werden kann, sollte von den Mitgliedstaaten in einer leicht überarbeiteten Form zügig beschlossen werden. Die Bundesregierung sollte diese Initiative endlich unterstützen.
- Ein wettbewerbspolitisch verankertes Level-Playing-Field-Instrument (LPFI) ist notwendig, um auf dem Binnenmarkt Wettbewerbsverzerrungen durch chinesische Unternehmen einhegen zu können, falls diese mit künstlich niedrigen Preisen effiziente europäische Unternehmen aus dem Markt zu drängen drohen.
- Die Prüf- und Eingriffsmöglichkeiten bei Unternehmensübernahmen sollten auch in Deutschland erweitert werden, um einen Abfluss an sensiblem technologischen Know-how zu verhindern. Die neue EU-Verordnung zu Screening von Auslandsinvestitionen ermöglicht zu Recht größere Ausnahmemöglichkeiten von der Kapitalverkehrsfreiheit für Drittstaaten.
Mit diesem robusteren Vorgehen sollte die EU China signalisieren, dass ihre Geduld zu Ende geht. Es ist allerdings fraglich, ob ein auf diese Weise erhöhter Verhandlungsdruck Peking zum Einlenken bewegen kann. Denn selbst der massive Druck des US-Handelskriegs hat bislang zu keinen nennenswerten chinesischen Zugeständnissen beim Thema Wettbewerbsverzerrungen geführt. Möglicherweise ist ein Einlenken Chinas auch gar nicht zu erwarten, da das komplexe Subventionssystem ein inhärentes Element des Staatskapitalismus ist, der sich für die Volksrepublik als erfolgreich erwiesen hat.
Somit stellt sich die entscheidende Frage, ob die EU und die USA China dazu bringen können, sich mit einer Einhegung der Wettbewerbsverzerrungen kooperativer zu verhalten, oder ob China die anderen Player zwingt, weniger kooperativ zu handeln. Von der Antwort auf diese Frage dürfte die Zukunft des multilateralen Handelssystems abhängen.
Hindernisse für ein robusteres Auftreten
Ein robusteres Auftreten gegenüber China hat aber auch Nachteile für die EU. Zum Beispiel würden mehr Antisubventionsmaßnahmen und das IPI die Preise der betroffenen Güter in der EU steigen lassen. Eine Verschärfung der Prüfmöglichkeiten bei Unternehmensübernahmen würde zu mehr Bürokratie führen, bei Untersagungen Eigentumsrechte einschränken und möglicherweise Investoren abschrecken. Zudem besteht die Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen und eines interessengetriebenen Missbrauchs neuer Schutzinstrumente, dem entgegengewirkt werden muss.
Eine Welt mit andauernden Wettbewerbsverzerrungen durch China und mehr europäischen Schutzmaßnahmen wird komplizierter. Die Politik steht vor schwierigen Entscheidungen, um das Verhältnis von Kosten und Nutzen abzuwägen.
Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft von China?
Angesichts drohender Vergeltungsmaßnahmen durch China stellt sich die Frage, ob eine zu große Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft die Handlungsfähigkeit der deutschen Politik einschränkt. Dies könnten die hohen Umsatzanteile einiger großer deutscher Unternehmen in China von 20 Prozent und mehr nahezulegen. Doch es besteht ein wichtiger Unterschied zur deutschen Wirtschaft insgesamt. Zwar ist China für Deutschland mit einem Anteil von rund 7 Prozent das drittwichtigste Ausfuhrland. Die deutschen Warenexporte sind aber breit diversifiziert, entsprechend gehen 93 Prozent nicht nach China.
Letztlich ist entscheidend, wie viel Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland direkt und indirekt auf Vorleistungsstufen von Exporten nach China beruhen. Deutsche Wertschöpfungsexporte nach China machen nur rund 3 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung insgesamt aus. Der Anteil deutscher Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt vom Export nach China abhängen, lag 2015 bei 2,3 Prozent. Diese Anteile sind im internationalen Vergleich zwar recht hoch, trotzdem entfallen gut 97 Prozent der deutschen Wertschöpfung und Arbeitsplätze auf andere Quellen. Somit besteht kein Anlass zu überzogener Sorge.
China ist für einige Branchen und Unternehmen zum mit Abstand wichtigsten Absatzmarkt geworden. Allerdings wird der Absatz in China auch durch Produktion vor Ort bedient – in der Automobilindustrie ist dies ganz überwiegend der Fall. In Zukunft wird die Produktion vor Ort wahrscheinlich noch weiter steigen. Auch dürfte ein erheblicher Teil der in China erzielten Gewinne in die weitere Expansion dort fließen und nicht in Investitionen in Deutschland. Daten der Deutschen Bundesbank zeigen, dass im Zeitraum 2010 bis 2019 über 40 Milliarden Euro an Gewinnen in China reinvestiert wurden. Daher stellt sich die Frage, wie weit der Standort Deutschland noch von der Produktion in China profitiert.
Drei Leitlinien für europäische Wirtschaftspolitik
Ein robusteres Auftreten wird wie aufgezeigt zu mehr Zielkonflikten führen. Die Politik wird in Zukunft immer wieder fallweise entscheiden müssen, ob handelspolitische Schutzmaßnahmen gegenüber China ergriffen werden sollen oder nicht. Dafür werden hier drei wichtige allgemeine Leitlinien aufgestellt:
1. Die Wahrung der Standort-Interessen mit Blick auf heimische Produktion und Arbeitsplätze sollte das vorrangige Ziel sein. In der Regel sind die Standort-Interessen auf einer Linie mit den Interessen von europäischen Produzenten in China. Aber es kann auch zu Konflikten kommen. Etwa wenn einige deutsche Unternehmen mit Produktion in China so abhängig von China werden, dass darunter die Handlungsfähigkeit der deutschen Politik leidet. Oder wenn im Rahmen des bilateralen Investitionsabkommens im Interesse der Produzenten der Marktzugang in China priorisiert wird, anstatt die chinesischen Wettbewerbsverzerrungen vorrangig anzugehen, die Arbeitsplätze in Deutschland gefährden. Die Politik muss solche Konfliktlagen in Zukunft stärker in den Blick nehmen und im Zweifel die Standortinteressen priorisieren.
2. Die Politik sollte Produzenteninteressen stärker gewichten. Bei der Entscheidung über Schutzmaßnahmen besteht immer ein Zielkonflikt zwischen den zu schützenden Produzenten und den europäischen Verwendern des zu schützenden Gutes, deren Kosten sich erhöhen würden. Es wäre fragwürdig, die Verwenderinteressen zu stark zu gewichten, wenn chinesische Subventionen deren Kosten nur künstlich und wettbewerbswidrig verringern, gleichzeitig aber eigentlich effizient produzierende Unternehmen und Arbeitsplätze in Europa gefährden. Um die wirtschaftliche Basis in Europa zu sichern, sollten daher Produzenteninteressen im Zweifel stärker priorisiert werden.
3. Die Politik muss langfristiger denken und handeln. Chinas Regierung agiert strategisch und auf lange Sicht. Demokratische Marktwirtschaften tendieren hingegen zu einer Kurzfristorientierung. Das gilt für die Politik angesichts von Wahlzyklen und ständiger demoskopischer Begleitung ebenso wie für börsennotierte Unternehmen angesichts der Quartalsberichterstattung. Zukunftssicherung kann auf der Strecke bleiben, wenn die dazu nötigen Maßnahmen kurzfristig hohe Kosten verursachen. Mit Blick auf China begünstigt der Fokus auf kurzfristige Gewinnmöglichkeiten eine große Abhängigkeit und die Bereitschaft zu einem Technologietransfer, obwohl dieser sich längerfristig durch eine wachsende chinesische Konkurrenz negativ auf das Unternehmen auswirken könnte. Die Politik steht vor der großen Herausforderung, dieser Kurzfristorientierung entgegenzuwirken.
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