Die deutsche Pharmaindustrie setzte in der ersten Hälfte des Jahres 2021 den positiven Trend fort, der sich bereits Ende des Vorjahres abzeichnete. Angesichts der steigenden Produktion und Umsätze der hiesigen Pharmahersteller stellt sich die Frage, inwieweit die Corona-Pandemie ein möglicher Treiber der gesamten Branchenentwicklung sein kann.
Guter Start ins Jahr 2021: Corona als Branchen-Booster?
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die deutsche Pharmaindustrie setzte in der ersten Hälfte des Jahres 2021 den positiven Trend fort, der sich bereits Ende des Vorjahres abzeichnete. Angesichts der steigenden Produktion und Umsätze der hiesigen Pharmahersteller stellt sich die Frage, inwieweit die Corona-Pandemie ein möglicher Treiber der gesamten Branchenentwicklung sein kann.
Die Pharmaindustrie blieb im Verlauf der Corona-Pandemie von massiven Einbrüchen weitgehend verschont. Ökonomische Entwicklungen der Branche zeigten bereits seit dem 3. Quartal 2020 einen positiven Trend, der einen möglichen Zusammenhang mit der angelaufenen inländischen Produktion von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 vermuten ließ (Schumacher/Kirchhoff, 2021). Die Entwicklung der Branchenindikatoren in der ersten Jahreshälfte 2021 stärkt diese Annahme (Abbildung). Nach einem moderaten Anstieg im 4. Quartal 2020 legte das Wachstum in der Pharmaindustrie vor allem im ersten Quartal 2021 nochmals deutlich zu.
- Der Auftragseingangsindex verzeichnete im 1. Quartal 2021 im Vergleich zum vorhergehenden Quartal einen Anstieg von 5,4 Prozent – resultierend aus einem ausländischen Nachfrageschub im März dieses Jahres, welcher das starke Ergebnis im März des Vorjahres übertraf (Kirchhoff/Schumacher, 2021). Das 2. Quartal 2021 zeigte sich gegenüber dem Jahresstart schwächer, getrieben durch einen im Vergleich schwachen April. Insgesamt sanken die Auftragseingänge gegenüber dem Vorquartal um 5,7 Prozent. Im Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes lagen die entsprechenden Wachstumsraten bei 2,7 Prozent respektive 2,9 Prozent in den beiden ersten Quartalen.
- Der Produktionsindex der Pharmaindustrie legte im 1. Quartal 2021 kalender- und saisonbereinigt um 3,7 Prozent zu, im 2. Quartal 2021 trotz eines ebenfalls im Vergleich eher schwachen Aprils um weitere 2,4 Prozent. Die Industrieproduktion flachte sich mit Eintritt in die Lockdown-Phase Ende letzten Jahres bis an den aktuellen Rand hingegen ab. Zeigten sich im 1. Quartal keine Veränderungen zur Vorperiode, weist das 2. Quartal einen Rückgang von 1,3 Prozent auf.
- Auch beim Umsatzindex geht die „Schere“ zwischen der Pharmabranche und dem Verarbeitenden Gewerbe zunehmend auf. Der Umsatzindex der pharmazeutischen Industrie legte im 1. Quartal 2021 gegenüber dem jeweiligen Vorquartal um 5,1 Prozent zu, im 2. Quartal verzeichnete er einen leichten Rückgang um 1,1 Prozent. Für das Verarbeitende Gewerbe begann das Jahr 2021 mit einem Rückgang von 0,3 Prozent. Im 2. Quartal setzte sich die schwache Entwicklung mit einem Minus von 1,9 Prozent im Vergleich zum Jahresstart fort.
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Die positive ökonomische Entwicklung der Pharmaindustrie fällt mit der Dynamik der weltweit anlaufenden Impfkampagne gegen Sars-CoV-2 zusammen. Allein die EU hat vertraglich garantierte Abnahmevereinbarungen in Milliardenhöhe mit den Herstellern der aktuell zugelassenen Impfstoffe getroffen. So werden von BioNTech/Pfizer bis 2023 mehr als 2 Milliarden Impfdosen an die EU geliefert (Europäische Kommission, 2021). Das von BioNTech betriebene Impfstoffwerk in Marburg spielt hierbei eine bedeutende Rolle, wird dieses doch bis Ende 2021 eine Produktionskapazität von bis zu einer Milliarde Impfstoffdosen erreicht haben (Ärzteblatt, 2021). Sowohl Impfstoffproduzenten als auch ihre Zulieferer nutzen die vorhandene Infrastruktur sowie das Know-how in Deutschland und haben ihre Produktion hierzulande bereits aus- oder aufgebaut respektive planen dies in kurzer bis mittlerer Frist (Kirchhoff, 2021; vfa, 2021). Neben Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 sind zudem mehrere Medikamente zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen zugelassen – auch hier sind in Deutschland ansässige Pharmaunternehmen an der Entwicklung beteiligt (vfa, 2021a).
Die Vermutung liegt nahe, dass das Engagement deutscher Pharmaunternehmen in der Bewältigung der Corona-Pandemie die Branchenentwicklung maßgeblich beeinflusst. Denn Deutschland ist nicht nur ein wichtiger Baustein bei der weltweiten Corona-Impfstoff- und Medikamentenentwicklung, sondern hat sich zudem als bedeutender Produktionsstandort der auf der
mRNA-Technologie beruhenden Corona-Impfstoffe etabliert.
Doch nicht alle Pharmaunternehmen scheinen gleichermaßen von einem Covid-Effekt zu profitieren. Eine erste Auswertung bislang veröffentlichter Geschäftsberichte von 22 börsennotierten innovativen pharmazeutischen Unternehmen verdeutlicht, dass die Umsatzerlöse der Unternehmen, die in Deutschland an der Erforschung, Entwicklung und Produktion der Corona-Impfstoffe und Covid-Medikamente mitwirken, im 1. Halbjahr 2021 durchschnittlich rund ein Fünftel höher lagen als der entsprechende Vorjahreswert. Die an diesem Prozess nicht beteiligten Unternehmen verbuchten im selben Betrachtungszeitraum hingegen in der Regel sinkende Umsatzerlöse.
Diese divergierende Entwicklung verwundert nicht: In den Absatzzahlen der Arztpraxen, Kliniken und Apotheken zeigte sich in den ersten sechs Monaten des aktuellen Jahres ein im Vergleich zu anderen Jahren niedrigerer Bedarf an Pharmazeutika. Zum einen blieben aufgrund der im Winter 2020 ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der dritten Corona-Welle die sonst üblichen Grippe- und Erkältungskrankheiten weitgehend aus. Zum anderen wurden erneut stationäre Behandlungen depriorisiert. Vermutet wird zudem, dass Menschen aus Angst vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 seltener einen Arzt aufsuchten (RKI, 2021). Folglich lag der Absatz von Arzneimitteln auf dem Markt für frei verkäufliche Arzneimittel in diesem Zeitraum 9,6 Prozent unterhalb des entsprechenden Vorjahreswertes. Auf dem Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel betrug das Minus 1,4 Prozent, auf dem Krankenhausmarkt ging der Absatz um 3,6 Prozent zurück (IQVIA, 2021).
Im weiteren Verlauf des Jahres ist allerdings zu erwarten, dass sich die positive ökonomische Entwicklung der pharmazeutischen Industrie weiter verstetigt. Zum einen dürfte es zu einem weiteren Corona-Schub kommen, der von den hohen Produktions- und Umsatzerwartungen der in der Impfstoffproduktion tätigen Unternehmen getragen wird. Zum anderen ist zu hoffen, dass sich mit dem global fortschreitenden Impffortschritt auch der Absatz freier und verschreibungspflichtiger Arzneimittel im ambulanten und stationären Bereich wieder erholen wird. Doch auch wenn sich das reguläre Geschäft pharmazeutischer Unternehmen mit einer Entspannung der pandemischen Lage verbessern wird, bleibt für eine langfristige Stabilisierung der Branche die grundlegende Aufgabe der Anpassung regulatorischer Rahmenbedingungen mit dem Ziel, den Standort Deutschland auch zukünftig als attraktiven Forschungs- und Produktionsstandort sowie als Absatzmarkt für pharmazeutische Unternehmen zu positionieren.
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