Kontaktbeschränkungen, Einreisestopp, Quarantäneregeln, Reisewarnungen, Lockdown: Die Corona-Maßnahmen haben den Tourismus zwei Jahre lang in die Mangel genommen und zu massiven Umsatzausfällen geführt. Gastronomie, Beherbergungsbetriebe und andere Tourismusunternehmen haben die Herausforderung angenommen – und vielfach mit digitalen Lösungen reagiert.
Über 40 Prozent Umsatzrückgang: Ohne Digitalisierung wäre es dem Tourismus in der Pandemie noch schlechter ergangen
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Kontaktbeschränkungen, Einreisestopp, Quarantäneregeln, Reisewarnungen, Lockdown: Die Corona-Maßnahmen haben den Tourismus zwei Jahre lang in die Mangel genommen und zu massiven Umsatzausfällen geführt. Gastronomie, Beherbergungsbetriebe und andere Tourismusunternehmen haben die Herausforderung angenommen – und vielfach mit digitalen Lösungen reagiert.
Die vergangenen 24 Monate waren schwierig für Unternehmen aus der Branchengruppe Tourismus (Beherbergung, Gastronomie, Reisebüros und -veranstalter sowie Reservierungsdienstleister). Sich häufig verändernde Maßnahmen zu Kontakt- und Reisebeschränkungen sowie Quarantänebestimmungen erschwerten das tägliche Geschäft, machten es zeitweise unmöglich.
Das hat zu massiven Umsatzausfällen geführt. Die genannte Branchengruppe verzeichnete 2020 im Durchschnitt 45 Prozent weniger Umsätze als noch 2019. Auch 2021 waren es durchschnittlich noch 42 Prozent weniger als 2019 (eigene Berechnungen auf Basis von Destatis, 2022a; 2022b; 2022c; 2022d). Dies ist eine konservative Schätzung, denn die Umsätze waren vor der Pandemie kontinuierlich gewachsen – und wären 2020 und 2021 vermutlich höher ausgefallen als 2019.
Tatsächlich wären die Umsatzausfälle noch höher gewesen, wenn die Unternehmen der Branchengruppe nicht die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt und digitale Prozesse eingeführt und neue digitale Geschäftsideen auf den Weg gebracht hätten. Denn diese haben in vielen Fällen erst ermöglicht, überhaupt Umsätze zu generieren. Ohne diese Lösungen hätte der Tourismus in vielen Fällen zumindest zeitweise gar keine Kundschaft erreicht.
In welchem Ausmaß Unternehmen der Tourismus-Branchengruppe digitaler geworden sind, zeigt der Digitalisierungsindex 2021 (Büchel/Engels, 2022). In dem Index, der den Status quo und die Entwicklung der deutschen Wirtschaft in Bezug auf die Digitalisierung abbildet, verzeichnet der Tourismus 2021 im Branchenvergleich die mit Abstand stärkste Zunahme im Vergleich zur Vorjahreserhebung.
Der Indexwert der Branche steigt von 64,3 Punkten im Jahr 2020 auf 84,4 Punkte 2021. Weil sich die meisten Indikatoren, die in den Index 2020 einfließen, auf das Jahr 2019 und früher oder allenfalls auf die Frühphase der Pandemie 2020 beziehen, kann der Indexwert 2020 als Vor-Pandemie-Wert betrachtet werden. Der Indexwert 2021 beinhaltet einen Großteil der Effekte der Corona-Pandemie.
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Im Vergleich zu vielen anderen Branchen ist der Tourismus weniger digital (Branchendurchschnitt 2021: 105,1), was auch in der Natur der touristischen Geschäftsmodelle und Produkte liegt, die nicht beliebig digitalisierbar sind. In welchen Geschäftsbereichen der Tourismus digitaler geworden ist, zeigt die Entwicklung der Indexkategorien (Abbildung). Die Punktwerte der Kategorien Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle steigen (zum Vergleich: Der Branchendurchschnitt 2020 lag je Kategorie bei 100).
Digitalere Prozesse
Insbesondere die Geschäftsprozesse der Unternehmen in der Tourismus-Branchengruppe sind digitaler geworden. Dies hat zwei Gründe: Einerseits steigt der Anteil der Unternehmen mit stark digitalisierten Prozessen von 19,9 auf 26,8 Prozent. Zahlreiche Unternehmen haben digitale Prozesse eingeführt, um durch die Corona-Pandemie zu kommen. Unter anderem war die digitale Gästedatenerfassung in der Gastronomie nötig, um die Kontaktverfolgung zu gewährleisten und damit überhaupt erst legal öffnen zu können. 32 Prozent der Betriebe haben Prozesse digitalisiert, um die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln zu gewährleisten (Deutsche Telekom, 2021). Neben digitalen-Check-ins wurden oft auch erstmals Onlinereservierungen und digitale Speisekarten angeboten, was die Kundenzufriedenheit erhöht hat (ebd.).
Andererseits haben sich Unternehmen auch stärker digital mit anderen Unternehmen vernetzt. Der Anteil der Tourismusunternehmen, die extern digital vernetzt sind, steigt um mehr als das 2,5-Fache von 9,2 auf 27,2 Prozent. Unternehmen aus der Gastronomie durften zeitweise ihre Speisen nicht mehr vor Ort anbieten. Deswegen nutzten viele Restaurants erstmals externe Lieferservices, mit deren Anbietern sie sich entsprechend digital vernetzen mussten, da die Kundenbestellung meist digital erfolgte. Hotels und andere Ferienunterkünfte verzeichneten enorme Nachfragerückgänge und suchten deshalb zum Teil über externe Anbieter wie Unterkunftsplattformen neue Absatzkanäle, die ebenfalls eine digitale Vernetzung – und damit oft auch eine Digitalisierung verschiedener interner Prozesse erforderte.
Digitalere Geschäftsmodelle und Produkte
Ein Großteil der Entwicklung in der Kategorie Geschäftsmodelle ist auf Steigerungen beim Absatz über digitale Kanäle wie eigene E-Commerce-Kanäle oder Online-Marktplätze Dritter zurückzuführen. Bei diesem Indikator ist der Tourismus sogar im Branchenvergleich Spitzenreiter: Der Anteil des Umsatzes, den der Tourismus über digitale Kanäle abwickelt, liegt bei 40,0 Prozent (2020: 31,5). Viele Betriebe der Gastronomie sicherten ihre Existenz im Verlauf der Pandemie mit zusätzlichen Angeboten wie Lieferdiensten, digital bestellbaren Kochboxen und Onlinetastings, die als Geschäftsmodellerweiterung betrachtet werden können (Deutsche Telekom, 2021).
Auch in der Kategorie Produkte legt der Tourismus zu. Die Umsatzanteile, die der Tourismus mit rein digitalen und teildigitalen Produkten erzielt, steigen. Besonders hoch ist der Anteil der reindigitalen Produkte mit 16,4 Prozent: Bei den meisten anderen Branchen liegt dieser Anteil im einstelligen Bereich. Zurückzuführen ist dieser Anteil wohl insbesondere auf Reisebüros und Reservierungsdienstleister, die oftmals digitale Produkte anbieten (digitale Reiseberatung und Reservierung).
Bei den anderen Indexkategorien Qualifizierung, Forschungs- und Innovationsaktivitäten und Innovationslandschaft schneidet der Tourismus deutlich schlechter ab. Er liegt im Branchenvergleich hinten und verliert auch noch Punkte im Vergleich zu 2020. Dass der Tourismus nicht so innovativ arbeitet wie etwa der Fahrzeugbau, ist wenig überraschend und kann ihm auch nicht zur Last gelegt werden. Die Branchengruppe ist insbesondere in ihrer Rolle als Digitalisierungsanwender ein Motor der Digitalisierung. In der Branche gibt es auch wenig Beschäftigte mit ausgeprägten Digitalkompetenzen. Das dennoch gute Abschneiden bei Produkten, Prozessen und Geschäftsmodellen zeigt, dass es nicht unbedingt eigener Fachkräfte bedarf, um digitaler zu werden und digital zu agieren. Im Sinne der digitalen Souveränität ist es vielmehr wichtig, zu wissen, wie man auf digitale Kompetenzen zugreifen kann.
Der Tourismus als „Role Model“
Es ist beachtlich, wie die Tourismusbranche sich in den vergangenen zwei Pandemiejahren entwickelt hat. Trotz massiver Umsatzausfälle, enormem Kostendruck und nie dagewesener Unsicherheiten ist die Branchengruppe nicht in Schockstarre verfallen. Stattdessen hat sie auf Coronamaßnahmen mit digitalen Mitteln reagiert, ihre Kunden digital erreicht und digitale Produkte angeboten. Hätte sie diese digitalen Lösungen nicht eingesetzt, wären die Ausfälle und damit die Zahl der Insolvenzen vermutlich deutlich höher gewesen. Mit diesem Mut zum Digitalen hat die Branche ein Exempel statuiert. Es wäre wünschenswert, dass auch andere Branchen vermehrt digitale Lösungen prüfen – auch ohne mit dem Rücken zur Wand zu stehen.
Nicht alle Unternehmen können und sollen sinnvollerweise ausschließlich digitale Prozesse haben, digitale Produkte und Geschäftsmodelle anbieten. Dies gilt auch für den Tourismus, der von der Begegnung der Menschen lebt. Der goldene Weg ist abhängig von jedem einzelnen Unternehmen. Um ihn zu finden, müssen Unternehmen experimentieren und prüfen, an welcher Stelle sie digital vorgehen, was sinnvollerweise analog bleibt, und wo das Analoge mit dem Digitalen kombiniert werden kann.
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IW