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Hubertus Bardt / Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 94 5. Dezember 2022 Bundeswehr und Inflation: Was bleibt von der Zeitenwende?

Ende Februar kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem Eindruck des Ukrainekrieges eine „Zeitenwende“ für die Bundeswehr an. Doch nur neun Monate später scheint der verteidigungspolitische Elan verflogen: Das 2-Prozent-Ziel rückt trotz 100-Milliarden-Sondervermögen in weite Ferne und auch kurzfristig nötige Beschaffungen kommen nicht voran.

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Was bleibt von der Zeitenwende?
Hubertus Bardt / Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 94 5. Dezember 2022

Bundeswehr und Inflation: Was bleibt von der Zeitenwende?

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Ende Februar kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem Eindruck des Ukrainekrieges eine „Zeitenwende“ für die Bundeswehr an. Doch nur neun Monate später scheint der verteidigungspolitische Elan verflogen: Das 2-Prozent-Ziel rückt trotz 100-Milliarden-Sondervermögen in weite Ferne und auch kurzfristig nötige Beschaffungen kommen nicht voran.

Direkt nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat Bundeskanzler Scholz mit der Formulierung der Zeitenwende mit Blick auf die Finanzierung der Bundeswehr insbesondere zwei Maßnahmen angekündigt:

  • Zum einen sollte ein kreditfinanziertes Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden,
  • zum anderen sollten der Zielwert der Verteidigungsausgaben von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zukünftig jährlich erreicht werden.

Letzterer Wert wurde unter den NATO-Partnern vereinbart und immer wieder – besonders nachdrücklich vom früheren US-Präsidenten Donald Trump – eingefordert, Deutschland hat ihn jedoch fortlaufend deutlich unterschritten. Dabei hatte die Bundesregierung nicht vor, beide Ziele getrennt voneinander zu betrachten (also ein Verteidigungsbudget von 2 Prozent des BIP plus 100 Milliarden Euro zur Schließung von bestehenden Lücken), vielmehr soll das Sondervermögen Teil der NATO-Verpflichtung sein – was die Frage nach der Höhe des Verteidigungsbudgets nach Auslaufen des Sondervermögens aufwirft.

Verteidigungsbudget eingefroren

Parallel zur Einführung des Sondervermögens wurde der Einzelplan (EP) 14, der das Budgets des Verteidigungsministeriums umfasst, laut mittelfristiger Finanzplanung auf 50,1 Milliarden Euro eingefroren, nachdem er 2022 einen Höchstwert von 50,4 Milliarden aufgewiesen hat (Deutscher Bundestag, 2022a). Die gesamten Verteidigungsausgaben umfassen noch einzelne Positionen aus anderen Einzelplänen und lagen in den letzten Jahren rund 9 Prozent über dem Wert des EP 14.

Aus dem Sondervermögen sind für 2023 Ausgaben in Höhe von 8,5 Milliarden Euro vorgesehen. Damit wird das NATO-Ziel nicht erreicht, sondern um 18,9 Milliarden Euro oder 0,5 Prozentpunkte verfehlt: Die deutschen Verteidigungsausgaben werden inklusive dieser Mittel nur leicht auf 1,5 Prozent des BIP ansteigen und damit bezogen auf das BIP geringfügig über dem Niveau von 2021 liegen. Wenn die weiteren Mittel aus dem Sondervermögen genutzt werden, um das 2-Prozent-Ziel in den nächsten Jahren zu erreichen, konnte bisher davon ausgegangen werden, dass diese Verpflichtung in den Jahren 2024 bis 2026 erfüllt werden könnte (Röhl et al., 2022). Erst in der kommenden Legislaturperiode ab 2027 wäre ein hoher Zusatzbedarf im laufenden Budget entstanden. Würden die Ausgaben aus dem Sondervermögen anders verteilt, müsste schon vorher ein höherer Ansatz des EP 14 erfolgen. Eine Streckung der Ausgaben erscheint aber wahrscheinlich, da ein erheblicher Teil der Bestellungen erst mit Auslieferung in späteren Jahren voll budgetwirksam wird. Für das Kampflugzeug F-35 wird beispielsweise eine Auslieferung erst ab 2026 angestrebt (Deutscher Bundestag, 2022b).

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Fehlender Inflationsausgleich

Die hohen derzeitigen Preissteigerungen machen diese Kalkulationen teilweise obsolet. Mit nominal konstanten Haushaltsansätzen und einem nominal auf 100 Milliarden Euro begrenzten Sondervermögen kann die NATO-Quote nicht eingehalten werden, wenn das BIP inflationsbedingt nominal deutlich schneller ansteigt. Bei den aktuellen nominalen Wachstumserwartungen für die nächsten Jahre in Höhe von 5,6 Prozent 2023 und 4,6 Prozent 2024 (Ifo Institut / IfW Kiel / IWH / RWI, 2022) entsteht schon 2026 eine Lücke von 9,7 Milliarden Euro, 2027 steigt sie bei einem wegfallenden Sondervermögen auf 39 Milliarden Euro an (Abbildung). Die 2-Prozent-Quote der NATO würde annahmegemäß nur in den beiden Jahren 2024 und 2025 erreicht, danach fiele der Anteil am BIP aber auf 1,8 und 1,2 Prozent zurück. Der letzte Wert entspräche wieder der Unterfinanzierung von 2011 bis 2018 (Röhl et al., 2022). Würden die Ausgaben aus dem Sondervermögen über einen längeren Zeitraum gestreckt (was angesichts der Finanzierung längerfristiger Großvorhaben wahrscheinlich ist), würde der finanzielle Mehrbedarf vorher anfallen beziehungsweise pro Jahr bis zum Ende der Legislaturperiode größer ausfallen, ohne dass sich an der Gesamtlücke etwas ändert.

Steigende Ausgaben

Aber nicht nur gemessen am 2-Prozent-Ziel führt die Inflation zu einem höheren Finanzierungsbedarf. Auch die Kostenentwicklung der Ausrüstung führt dazu, dass mit den bestehenden Mitteln die vorhandenen Bedarfe weniger umfassend gedeckt werden können. Für Verteidigungsgüter sind Preissteigerungen zumindest in Höhe der Kerninflationsrate von circa 5 Prozent zu erwarten.

Hinzu kommen deutlich ansteigende Kosten für laufende Ausgaben für Personal und Betriebsstoffe. Zwar liegt noch kein Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst vor, doch ist bei Übertragung der Abschlüsse anderer Branchen von einem Anstieg der Personalkosten von mindestens 5 Prozent pro Jahr bei der Bundeswehr für die kommenden zwei Jahre auszugehen. 41 Prozent der Plan-Verteidigungsausgaben von gut 50 Milliarden Euro entfallen 2023 auf Personalausgaben; unter Einschluss der Mittel aus dem Sondervermögen sind es 35 Prozent (Deutscher Bundestag, 2022b). Der Anstieg der für Treibstoff einzuplanenden Ausgaben fällt besonders gravierend aus: Derzeit liegt die Inflationsrate für Energie bei circa 40 Prozent (Destatis, 2022). Im Bereich der Munition müssen nicht nur Lieferungen an die Ukraine im Bundeswehrbestand ausgeglichen werden, sondern es muss generell eine höhere Bevorratung erreicht werden, um das fehlende Durchhaltevermögen der Streitkräfte im Ernstfall wieder herzustellen. Durch den hohen Bedarf der Ukraine hat sich Munition im Jahr 2022 jedoch stark verteuert; im Jahr 2023 werden daher 1,1 Milliarden Euro zusätzlich für Munition eingeplant (BMVg, 2022). Dies zeigt, dass der Planansatz des Verteidigungsetats für 2023 mit einer leichten nominalen Absenkung deutlich unterfinanziert ist, der für Neuanschaffungen verfügbare Anteil sinkt dementsprechend von 19 auf nur noch 14 Prozent (Jungholt, 2022).

Kurzfristiger Bedarf ungedeckt

Die 2023 rückläufigen Ausgaben für Anschaffungen bewirken, dass die Schließung erkannter Ausstattungsdefizite der Bundeswehr nicht gelingt und die Einsatzbereitschaft niedrig bleibt (Jungholt, 2022). Weder das Sondervermögen noch reguläre Haushaltsmittel wurden seit Februar zügig für Bestellungen eingesetzt, um die Ersatzteilbevorratung zu verbessern oder die unzureichenden Munitionsbestände aufzufüllen (Carstens, 2022). Durch die Lieferungen an die Ukraine sind diese sogar weiter abgesunken. Die Verschlankung und Beschleunigung des Beschaffungswesens der Bundeswehr bleibt weiterhin auf der „To do“-Liste der Bundesregierung.

Verstetigung notwendig

Zur Behebung der Finanzierungsprobleme, die sich direkt in einer Ausrüstungs- und Fähigkeitslücke niederschlagen, erscheint eine reale Verstetigung des Verteidigungsetats – also eine nominale Steigerung um mindestens 5 Prozent pro Jahr – vor Nutzung des Sondervermögens geboten. Denn das im Frühjahr beschlossene Sondervermögen war ursprünglich vor allem dazu gedacht, aufgrund der Unterfinanzierung über die vergangenen 20 Jahre aufgetretene Defizite in der Ausstattung der Bundeswehr zu beheben, und nicht, neu auftretende Finanzierungslücken in den kommenden Jahren zu stopfen.

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