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Hubertus Bardt IW-Kurzbericht Nr. 77 27. Juni 2020 Corona in der automobilen Lieferkette

Die Corona-Pandemie wirkt auf verschiedenen Wegen auf die industriellen Produktionsmöglichkeiten und damit auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung (Grömling et al., 2020). Neben primär nationalen Einflüssen wie forcierten Betriebsschließungen, Nachfrageausfall oder neu einzuhaltenden Gesundheitsstandards spielen auch internationale Einflussfaktoren eine wichtige Rolle.

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Corona in der automobilen Lieferkette
Hubertus Bardt IW-Kurzbericht Nr. 77 27. Juni 2020

Corona in der automobilen Lieferkette

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Corona-Pandemie wirkt auf verschiedenen Wegen auf die industriellen Produktionsmöglichkeiten und damit auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung (Grömling et al., 2020). Neben primär nationalen Einflüssen wie forcierten Betriebsschließungen, Nachfrageausfall oder neu einzuhaltenden Gesundheitsstandards spielen auch internationale Einflussfaktoren eine wichtige Rolle.

Die deutsche Automobilindustrie war in besonderem Maße von der Lockdown-Phase der Corona-Krise betroffen. Hier ist die Produktion im April gegenüber dem März um fast 75 Prozent eingebrochen. Neben dem Ausfall der Nachfrage spielten für die umfassenden Werksschließungen auch Störungen in der Wertschöpfungskette eine wichtige Rolle. In den letzten Monaten ist der Anteil der üblichen Zulieferungen aus Hochrisikoländern von rund 40 auf nur noch 9 Prozent gefallen.

Die deutsche Wirtschaft ist so stark in internationale Märkte und Wertschöpfungsketten eingebunden wie nur wenige andere Volkswirtschaften (Kolev/Obst, 2020). Damit sind Entwicklungen in Drittländern von besonderer Bedeutung. Gerade in von der Pandemie stark betroffenen Ländern ist mit Produktions- und Lieferausfällen zu rechnen. Diese Unterbrechungen der Wertschöpfungskette zwingen die weiterverarbeitenden Unternehmen (auch in Deutschland) zur Neuorganisation der Beschaffungswege. Wenn alternative Anbieter von Vorleistungen und entsprechende Logistikleistungen nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen und bestehende Lager abgebaut sind, muss die Produktion stillgelegt werden. Von derartigen angebotsseitigen Störungen in den internationalen Wertschöpfungsketten berichten aktuell (23./24. Kalenderwoche) 61 Prozent der im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage befragten Unternehmen, 18 Prozent nennen sogar starke Produktionsausfälle aus diesem Grund (Bardt/Grömling, 2020).

In der Corona-Krise sind auch die Wertschöpfungsketten der Automobilindustrie einem besonderen Belastungstest ausgesetzt. Das europäische Wertschöpfungsnetzwerk basiert auf Produktion in verschiedenen Ländern, die gleichzeitig oder mit einem bestimmten Vorlauf der Zulieferer wieder in Gang gesetzt werden muss. Die Asynchronität und die unterschiedliche Ausprägung der Epidemie und der restriktiven Gegenmaßnahmen stellen die Branche vor besondere Herausforderungen. Ein späterer Aufbau der Produktion in einzelnen Zulieferländern oder längerfristige Behinderungen an den Grenzen erschweren das Hochfahren der Herstellerwerke und damit auch der Produktion in anderen Zulieferunternehmen.

Für die Autoindustrie sind nicht nur die Absatzmärkte, sondern auch die Beschaffungsmärkte hinsichtlich ihrer Corona-Risiken von Bedeutung. Um die aktuelle Risiko-Exposition der Lieferkette einzuschätzen, werden die wichtigsten Lieferländer und die wichtigsten Lieferbranchen betrachtet. Zur Klassifizierung der Lieferländer wird eine einfache Dreiteilung vorgenommen, die sich an zwei Kriterien orientiert:

  • Die relative Anzahl aktiver Fälle dient als Indikator für die aktuelle Verbreitung der Viruserkrankung in dem jeweiligen Land. Dazu wird die Zahl der aktiven Fälle (bestätigte Fälle abzüglich genesener und verstorbener Patienten) in Relation zur Bevölkerungszahl gesetzt. Dieses Kriterium wird als kritisch angesehen, wenn mindestens 0,1 Prozent der Bevölkerung aktiv erkrankt sind. Auf Deutschland bezogen wären das rund 83.000 aktive Fälle. Der tatsächliche Höhepunkt lag mit 73.000 am 6. April mit Abstand darunter. Damit wird erst eine deutlich höhere aktuelle Betroffenheit mit der Erkrankung als Risikofaktor gewertet.
  • Die Entwicklung der Zahl der aktiven Fälle beschreibt die Dynamik der Erkrankung. Hier wird ein Anstieg um mindestens 10 Prozent in einer 14-Tages-Periode als Risikofaktor angesehen, weil die gesundheitliche Krisensituation des Landes sich aktuell noch verschlechtert.

Wenn beide Risikofaktoren auf ein Land zutreffen, wird es in die höchste Risikokategorie eingeordnet. Ist nur einer der beiden Faktoren relevant, gilt die mittlere Kategorie. Das geringste Risiko wird dann konstatiert, wenn die Verbreitung der aktiven Fälle weniger hoch ist als 0,1 Prozent der Bevölkerung und kein weiteres Wachstum von mehr als 10 Prozent über die letzten 14 Tage beobachtet wird. Als Datengrundlage dienen die Angaben der Johns Hopkins University (JHU, 2020). Betrachtet werden fünf Zeiträume von jeweils zwei Wochen. Die erste Periode ging vom 7. bis zum 21. April 2020, die letzte vom 2. bis zum 16. Juni.

Den Ländern mit ihren branchenspezifischen Lieferdaten werden die Risikoklassen der Corona-Krise zugespielt, sodass eine Übersicht der besonders betroffenen Lieferbranchen entwickelt wird. So kann festgestellt werden, welche Lieferbranchen stärker in Hochrisikoregionen vertreten sind und wo Lieferanten aus Ländern mit leichten oder relativ zu Deutschland gleichen oder geringeren Risiken stammen. Die wichtigsten Quellländer für Zulieferer der Automobilindustrie sind die Tschechische Republik, Frankreich, die USA, Italien und Spanien. Diese fünf Länder machen mehr als ein Drittel der Zulieferungen aus. Hierbei sind mehrere europäische Lieferländer, die zuletzt schrumpfende Krankheitszahlen aufwiesen und daher als weniger risikoreich eingestuft werden konnten. Der größte Teil der Zulieferungen besteht aus Kraftfahrzeugen und Teilen. Allein hier stammen Lieferungen im Wert von 3 Milliarden Euro aus Ländern mit besonders hohen Risiken – Mitte April lag dieser Wert jedoch noch bei fast 14 Milliarden Euro. Die anderen Branchen rangieren weit dahinter, auch wenn diese Lieferungen eine kritische Funktion haben können. Auch der Ausfall einer wertmäßig kleinen, aber notwendigen Komponente kann die ganze Wertschöpfungskette stilllegen.

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Im zeitlichen Vergleich ist ein deutlicher Rückgang der Risiken in der automobilen Wertschöpfungskette zu erkennen (Abbildung). Der Anteil der Lieferungen aus Ländern mit hohem Risiko ist von 41 Prozent auf nur noch 9 Prozent gesunken. Das korrespondiert mit dem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von Problemen durch ausfallende internationale Zulieferungen in den letzten Wochen (Bardt/Grömling, 2020). Besonders ausgeprägt war der Rückgang bei Vorleistungen der Chemie und dem Maschinenbau. Hier ist der Anteil der Vorleistungen aus besonders risikoreichen Ländern um deutlich mehr als 50 beziehungsweise gut 40 Prozentpunkte gesunken. Deutlich unterdurchschnittlich war der absolute Risikorückgang bei den elektrischen Ausrüstungen sowie Elektronik und Optik, die aber jeweils schon im April weniger stark betroffen waren.

Nach dem Stopp der Produktion und dem Stillstand der Lieferketten sind die coronabedingten Risiken für die Automobilindustrie zuletzt spürbar zurückgegangen. Nur noch ein Elftel der Vorleistungen stammt aus besonders kritischen Ländern, Mitte April war der Effekt noch viermal so hoch. Die Restriktionen in den Wertschöpfungsketten sind nach wie vor nicht zu unterschätzen, haben sich aber deutlich entspannt. Mit unter 5 Prozent Lieferungen aus Risikoländern ist die Situation bei Vorleistungen aus den Bereichen elektrische Ausrüstungen und Gummi-/Kunststoffteile besonders unkritisch. Wenig relevant sind auch die Anteile aus risikobehafteten Ländern bei Elektronik und Optik. Hier spielt der hohe Marktanteil Chinas von einem Drittel eine wichtige Rolle, da dieses Land bisher am weitesten auf dem Weg raus aus der Corona-Krise vorangeschritten ist.

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