Die durchschnittliche Dauer der Betriebszugehörigkeit ist während der Corona-Pandemie in Deutschland nicht gesunken. Anzeichen einer „Great Resignation“ nach dem Muster des US-Arbeitsmarktes zeigen sich nicht.
Entwicklung der Betriebszugehörigkeitsdauer
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die durchschnittliche Dauer der Betriebszugehörigkeit ist während der Corona-Pandemie in Deutschland nicht gesunken. Anzeichen einer „Great Resignation“ nach dem Muster des US-Arbeitsmarktes zeigen sich nicht.
In der Corona-Krise wurde vermehrt darüber spekuliert, ob im Laufe der Pandemie die Bindungen zwischen Arbeitnehmern und Betrieben lockerer geworden sind. Dies könne zum Beispiel durch eine als abnehmend wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit oder Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit hervorgerufen sein. Ausgangspunkt solcher Überlegungen war nicht zuletzt die als „Great Resignation“ oder „Big Quit“ bezeichnete Beobachtung auf dem US-Arbeitsmarkt, der zufolge Arbeitnehmer – etwa wegen niedriger Löhne oder schlechter Arbeitsbedingungen – in steigendem Maße ihr Beschäftigungsverhältnis trotz eines eher ungünstigen Arbeitsmarktumfelds kündigten (Gittleman, 2022).
Für Deutschland kann ein solches Phänomen nicht empirisch nachgezeichnet werden. So stellen Hammermann et al. (2022) fest, dass Fluktuations- und Churningrate mit dem Beginn der Pandemie sogar deutlich zurückgingen. Die Anzahl der Arbeitnehmerkündigungen sank im ersten Halbjahr 2020 um 8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum und liegt im Jahr 2021 unter dem Niveau in den Jahren 2017 bis 2019. Auch Ende der 1990er Jahre war die Anzahl höher (IAB, 2022). Bezogen auf die Anzahl der Arbeitnehmer lag der Anteil der Arbeitnehmerkündigungen 2021 verglichen mit vorangegangenen Jahren keineswegs auf einem hohen Niveau, sondern normalisiert sich nach dem pandemiebedingten Rückgang.
Damit folgt die Entwicklung dem bekannten Muster, demzufolge die Neigung von Arbeitnehmern gering ist, in konjunkturell schwierigem Umfeld ein Risiko in Form eines Arbeitsplatzwechsels einzugehen. Traditionell halten Arbeitnehmer in der Krise an ihrem Beschäftigungsverhältnis fest. Die Risikobereitschaft ist ausgeprägter, wenn ein expandierender Arbeitsmarkt genügend Angebote bereithält. Das verringert das Risko einer Phase der Arbeitslosigkeit, wenn sich der Wechsel auf einen neuen Job als Fehler erweisen sollte (Monsef, 2023).
Die in der Krise gesunkene Bereitschaft eines Arbeitsplatzwechsels hat dafür gesorgt, dass sich die durchschnittliche Dauer der Betriebszugehörigkeit in den letzten Jahren leicht erhöht hat. Das zeigen Auswertungen mit dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP). So waren im Jahr 2019 abhängig Beschäftigte durchschnittlich 10,9 Jahre im Betrieb beschäftigt, während es zwei Jahre später 11,0 Jahre waren (Grafik). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass durch die begrenzte Stichprobe des SOEP zufällige Schwankungen auftreten.
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Die Entwicklung in einzelnen Branchen seit 2013 verlief sehr unterschiedlich. Eine sinkende Tendenz weist die Betriebszugehörigkeitsdauer in der öffentlichen Verwaltung und dem Bildungswesen auf. Steigende Werte waren dagegen im Banken- und Versicherungsgewerbe sowie im Tief- und Ausbaugewerbe zu beobachten. Die übrigen Branchen zeigten keinen eindeutigen Trend. Einen Erklärungsansatz liefert die spezifische Altersstruktur. So war der Anteil der Arbeitnehmer im Alter von 50 oder mehr Jahren in der öffentlichen Verwaltung bereits 2013 sehr hoch, stieg aber bis 2021 kaum an. Das kann darauf hindeuten, dass in dieser Branche viele Arbeitnehmer in den Ruhestand gingen und die Alterung der Belegschaften hier nur begrenzt zum Anstieg der Betriebszugehörigkeitsdauer beitrug. Im Kredit- und Versicherungsgewerbe sowie im Bau stieg der Anteil der älteren Beschäftigten hingegen deutlich an.
Ein anderer struktureller Einflussfaktor ist die Betriebsgröße. Arbeitnehmer in größeren Betrieben weisen im Durchschnitt eine höhere Betriebszugehörigkeitsdauer auf. So sind es in Betrieben mit 2.000 und mehr Mitarbeitern 13,5 Jahre, in kleinen Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern dagegen nur 8,5 Jahre. Dies dürfte die lange Zugehörigkeit im Kredit- und Versicherungsgewerbe zum Teil erklären, denn hier sind 80 Prozent der Arbeitnehmer in größeren Betrieben mit 200 oder mehr Mitarbeitern beschäftigt, während es in der Gesamtwirtschaft nur 55 Prozent sind.
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