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Hagen Lesch / Lennart Eckle IW-Report Nr. 5 26. Januar 2024 Tarifpolitischer Bericht 2. Halbjahr 2023: Konflikte ohne Partnerschaft?

Im Jahr 2023 fanden in zwanzig näher untersuchten Branchen insgesamt 23 Tarifverhandlungen statt. Eine Analyse zeigt, dass es in vielen dieser Verhandlungen recht konfliktreich zuging.

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Konflikte ohne Partnerschaft?
Hagen Lesch / Lennart Eckle IW-Report Nr. 5 26. Januar 2024

Tarifpolitischer Bericht 2. Halbjahr 2023: Konflikte ohne Partnerschaft?

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im Jahr 2023 fanden in zwanzig näher untersuchten Branchen insgesamt 23 Tarifverhandlungen statt. Eine Analyse zeigt, dass es in vielen dieser Verhandlungen recht konfliktreich zuging.

Die maximale Eskalationsstufe – sie gibt auf einer 7-stufigen Skala an, bis zu welcher Stufe ein Konflikt eskaliert – lag im Durchschnitt bei 3,0. Das ist der höchste Wert, der seit 2010 gemessen wurde. Die Konfliktintensität – sie summiert die im Laufe einer Tarifauseinandersetzung erreichten Eskalationsstufen – lag bei durchschnittlich 15,0. Dies stellt ebenfalls einen Höchstwert dar. Besonders markant ist der Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2022 betrug die maximale Eskalationsstufe noch 2,0 und die verschiedenen Konflikthandlungen summierte sich auf 5,5 Punkte. Gemessen an der Konfliktintensität war 2023 damit fast dreimal so konfliktreich wie das Jahr 2022.

Am ruppigsten ging es im Handel zu. Zwar eskalierten die Konflikte im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel bis zum Jahresende 2023 jeweils „nur“ bis zum Warnstreik (Stufe 4 der Skala). Da es aber immer wieder erfolglose Verhandlungsrunden gab, in deren Anschluss Warnstreikwellen stattfanden, summierten sich die Konflikthandlungen auf 60 Punkte im Einzel- und auf 59 Punkte im Groß- und Außenhandel. Eine Einigung lag zum Jahreswechsel 2023/24 in weiter Ferne. Konfliktreich ging es auch im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sowie bei der Deutschen Bahn zu. Im Öffentlichen Dienst eskalierte der Konflikt bis zum Scheitern der Verhandlungen und anschließender Urabstimmung (Stufe 6) und die verschiedenen Eskalationsformen summierten sich auf 29 Punkte. Die Verhandlungen mit der EVG und der GDL scheiterten ebenfalls. Während sich die EVG im August 2023 nach einer Urabstimmung doch noch mit der Bahn einigen konnte, kündigte die GDL im Dezember 2023 an, im Januar einen unbefristeten Arbeitskampf führen zu wollen. Es ist zwar nicht ungewöhnlich, dass Tarifkonflikte eskalieren und auch erst nach vielen Monaten, mitunter Jahren gelöst werden. Die laufenden Auseinandersetzungen im Handel und bei der Bahn werfen aber schon die Frage auf, ob das Miteinander der Tarifparteien eher für Konflikte ohne Partnerschaft als für eine Konflikt- beziehungsweise Sozialpartnerschaft steht.

Im Jahr 2024 wird es in vielen zentralen Branchen neue Tarifverhandlungen geben, beispielsweise im Bankgewerbe, im Baugewerbe, in der Chemischen Industrie oder in der Metall- und Elektro-Industrie. Ende 2024 laufen auch die Tarifverträge bei der Deutschen Post und im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen aus. In den Tarifverhandlungen werden die Gewerkschaften anstreben, die Reallöhne zu steigern. Da die Inflationsausgleichsprämie schon weitgehend ausgeschöpft wurde, kann dieses Instrument die Kompromissfindung nicht weiter erleichtern. Dabei war zuletzt zu beobachten, dass einige Gewerkschaften hohe Lohnforderungen stellen und die Prämie „on top“ verlangen. Zu dieser expansiven Ausrichtung der Gewerkschaften kommt hinzu, dass sie Konflikte nutzen, um Mitglieder zu gewinnen. All das spricht für konfliktreiche Tarifverhandlungen. Ob das Konfliktniveau 2024 letztlich ähnlich hoch sein wird wie 2023, hängt aber auch von der Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber ab. Einerseits leiden viele Unternehmen unter der derzeitigen Stagnationsphase, andererseits ist der Arbeits- und Fachkräftebedarf vielerorts weiterhin hoch.

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