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Galina Kolev-Schaefer IW-Kurzbericht Nr. 85 21. November 2023 Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Ölpreisschwankungen

Durch den Angriff der Hamas auf Israel entbrannte eine Diskussion um einen drohenden Ölpreisschock. Wenngleich mehrere Gründe dagegensprechen, hätte ein starker Ölpreisanstieg erhebliche Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Der vorliegende Kurzbericht liefert hierzu eine Übersicht und zeigt die potenziellen Effekte durch Modellsimulationen.

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Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Ölpreisschwankungen
Galina Kolev-Schaefer IW-Kurzbericht Nr. 85 21. November 2023

Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Ölpreisschwankungen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Durch den Angriff der Hamas auf Israel entbrannte eine Diskussion um einen drohenden Ölpreisschock. Wenngleich mehrere Gründe dagegensprechen, hätte ein starker Ölpreisanstieg erhebliche Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Der vorliegende Kurzbericht liefert hierzu eine Übersicht und zeigt die potenziellen Effekte durch Modellsimulationen.

Der Angriff der Hamas auf Israel Anfang Oktober 2023 führte zu kurzzeitigen Turbulenzen und Spekulationen auf dem Ölmarkt, sodass eine Diskussion um einen drohenden Ölpreisschock entbrannte. Die Weltbank veröffentlichte infolgedessen eine Analyse, in der sie die quantitative Auswirkung unterschiedlicher Ölpreisszenarien darstellt (Weltbank, 2023). Dabei unterscheidet sie zwischen verschiedenen Kürzungen des Ölangebots, die es in der Vergangenheit als Reaktion auf geopolitische Spannungen im Nahen und Mittleren Osten gegeben hat. Im Extremszenario berechnet sie, dass eine Kürzung des Ölangebots wie beim Ölembargo im Zuge des Jom-Kippur-Kriegs 1973 in einen Ölpreis von bis zu 157 US-Dollar pro Barrel resultieren würde. Die Lage auf dem Ölmarkt infolge des Anschlags der Hamas auf Israel beruhigte sich zwar schnell, sodass der Ölpreis von 92 US-Dollar pro Barrel am 19. Oktober 2023 auf unter 80 US-Dollar Mitte November zurückging – nicht zuletzt getrieben durch die schwache weltwirtschaftliche Dynamik. Dennoch stellte sich die Frage nach den konjunk-turellen Implikationen eines geopolitisch bedingten kräftigen Anstiegs des Ölpreises für die deutsche Wirtschaft.

Der Erdölverbrauch Deutschlands belief sich im Jahr 2022 auf 97,3 Millionen Tonnen (Energy Institute, 2023). Somit sank der Verbrauch allein in den letzten 25 Jahren um fast ein Drittel. Hinzu kommt die indirekte Abhängigkeit – wenn Erdöl etwa als Rohstoff in die Produktion von Importprodukten einfließt. Erdöl wird zu verschiedenen Zwecken in der Wirtschaft verwendet. So werden Brennstoffe für den Transport von Waren entlang der Wertschöpfungskette benötigt. Kraft- und Schmierstoffe machen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 3,6 Prozent der Konsumausgaben privater Haushalte aus. Weitere 0,5 Prozent entfallen auf flüssige Brennstoffe für die Wärmeerzeugung in Wohngebäuden. Insgesamt machen Mineralölprodukte etwa ein Fünftel des Energiebedarfs privater Haushalte aus (Deutscher Bundestag, 2019). Ein ähnlicher Anteil zeigt sich auch im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. In der Industrie ist der Anteil mit 3,6 Prozent deutlich geringer. Doch Erdöl spielt auch hier eine wichtige Rolle in der Produktion. In der Chemischen Industrie ist Erdöl ein wichtiges Vorprodukt. Im Verkehr lag der Anteil der Mineralölprodukte am Energiebedarf bei 94,3 Prozent. Mit zunehmender Bedeutung von Elek-trofahrzeugen dürfte dieser Anteil jedoch sinken.

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Somit kann die Veränderung des Ölpreises die deutsche Wirtschaft über zahlreiche Wege beeinflussen. Eine Übersicht hierzu findet sich bei Kolev und Schaefer (2016). Da Öl ein wichtiger direkter oder indirekter Input in vielen Branchen ist, könnte ein dauerhafter angebotsgesteuerter Ölpreisanstieg die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen. Zudem wird Öl als ein wichtiges Barometer für die wirtschaftliche Aktivität angesehen (Venditti/Veronese, 2020). Kanzig (2021) zeigt, dass negative Nachrichten zu einem sofortigen Anstieg der Ölpreise, einem Rückgang der Ölproduktion und einem Anstieg der Lagerbestände führen. Die Konsequenzen für die wirtschaftliche Aktivität sind entsprechend negativ: Die Wirtschaftsdynamik sinkt, die Preise und die Inflationserwartungen steigen. Die Entwicklung des Ölpreises hat einen direkten und indirekten Effekt auf die Kaufkraft privater Haushalte und Unternehmen, die mit einer Einschränkung ihrer Konsum- und Investitionsausgaben reagieren (s. etwa De Michelis et al., 2020; Battistini et al., 2022).

Um einen Eindruck von der Auswirkung eines potenziellen Ölpreisschocks auf die deutsche Wirtschaft zu gewinnen, wurden Simulationen mithilfe des Global Economic Model von Oxford Economics durchgeführt. Dabei wurde im Basisszenario der Ölpreis für die kommenden zehn Jahre auf dem Niveau von Anfang November in Höhe von 85 US-Dollar pro Barrel der Sorte Brent gesetzt. In drei Alternativszenarien wurde dann stattdessen ab dem ersten Quartal 2024 ein Ölpreis von 100, 125 und 150 US-Dollar unterstellt. Bei diesen Szenarien handelt es sich nicht um eine Prognose. Vielmehr soll mit ihnen die Größenordnung der Effekte eines drastischen Ölpreisanstiegs abgeschätzt werden. Diese Szenarien wären im Fall ihres Eintretens keine Ausnahme, wenn sie im historischen Kontext betrachtet werden. Zwar lag der Ölpreis bei früheren Ölpreiskrisen in nominaler Rechnung deutlich unter diesen Werten. Ein Höhepunkt der Jahreswerte wurde etwa im Zuge der zweiten Ölpreiskrise im Jahr 1980 mit etwa 37 US-Dollar pro Barrel erreicht. Wird jedoch die allgemeine Preisentwicklung berücksichtigt und rechnet man diesen Wert in Preisen des Jahres 2022 um, so ergibt sich ein jahresdurchschnittlicher Preis für das Jahr 1980 in Höhe von 131 US-Dollar pro Barrel.

Die Ergebnisse der Modellsimulationen sind in der Tabelle zusammengefasst. Ein Anstieg des Ölpreises auf 100 US-Dollar pro Barrel der Sorte Brent würde nur zu einer geringfügigen Veränderung des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) von –0,1 Prozent im Jahr 2024 und zu –0,2 Prozent in 2025 führen. Der Verbraucherpreisindex würde um 0,3 Prozent über dem entsprechenden Niveau bei einem Ölpreis von 85 US-Dollar pro Barrel liegen. In einem extremen Szenario mit einem Ölpreis von 150 US-Dollar pro Barrel wäre ein Rückgang des deutschen BIP in Höhe von 0,5 Prozent in 2024 und von 1,0 Prozent im Jahr 2025 in preisbereinigter Rechnung verbunden. Die Verbraucherpreise würden jeweils um 1,3 Prozent über dem Niveau im Basisszenario liegen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die Modellsimulationen einen reinen Ölpreisanstieg und die daraus folgenden Anpassungen der Wirtschaft inklusive einer geldpolitischen Reaktion unterstellen. Nicht erfasst ist hierbei ein potenzieller weiterer Anstieg der geopolitischen Unsicherheit, der mit einer Verschärfung des Konflikts in Israel einhergehen würde. Zudem ist es im Modell schwierig zu erfassen, welche Länder durch eine potenzielle Knappheit von Rohöl betroffen wären. So bezieht Europa weniger als ein Fünftel der Ölimporte aus den Golfstaaten, während in Indien, China oder Japan der Anteil der Golfstaaten am importierten Öl bei mehr als 50 Prozent liegt (Energy Institute, 2023).

Abschließend gilt es hervorzuheben, dass solche Entwicklungen zwar nicht völlig ausgeschlossen werden können, jedoch sehr unwahrscheinlich sind. So sind die europäischen Länder und Nordamerika derzeit deutlich weniger abhängig von Öllieferungen aus dem Persischen Golf, als dies in den 1970er und 1980er Jahren der Fall war. Zudem ist die Ölintensität der globalen Produktion in den letzten Jahrzenten deutlich gesunken, wie bereits von Blanchard und Gali (2008) dargestellt und von der Weltbank (2023) bestätigt wurde. Während im Jahr 1980 im Durchschnitt 855 Barrel Öl pro 1 Million US-Dollar Weltwirtschaftsleistung (in Preisen des Jahres 2015) benötigt wurden, waren es im Jahr 2022 lediglich 396 Barrel Öl pro 1 Million US-Dollar Weltwirtschaftsleistung. Somit erscheint es wenig wahrscheinlich, dass Kürzungen in den Öllieferungen zum Einsatz kommen, um geopolitischen Druck zu erzeugen. Die Energy Information Administration (EIA, 2023) rechnet in ihrer Prognose aus dem Monat November mit einem Ölpreis von 93 US-Dollar pro Barrel der Sorte Brent im Jahr 2024.

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