Noch ist es nicht so weit. Doch es ist jetzt schon abzusehen, dass mitten in der Corona-Krise China zum Exportzielland Nummer eins für die deutsche Wirtschaft wird. Während sich die Lage in anderen wichtigen Exportmärkten weiter zuspitzt, schaut die chinesische Wirtschaft bereits mit verhaltenem Optimismus nach vorn. Auch Polen dürfte bald zu den Top 5 der wichtigsten Exportzielländer Deutschlands gehören.
China steuert auf Exportzielland Nummer eins zu
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Noch ist es nicht so weit. Doch es ist jetzt schon abzusehen, dass mitten in der Corona-Krise China zum Exportzielland Nummer eins für die deutsche Wirtschaft wird. Während sich die Lage in anderen wichtigen Exportmärkten weiter zuspitzt, schaut die chinesische Wirtschaft bereits mit verhaltenem Optimismus nach vorn. Auch Polen dürfte bald zu den Top 5 der wichtigsten Exportzielländer Deutschlands gehören.
Die globale Wirtschaftskrise im Zuge der COVID-19-Pandemie hat den internationalen Handel kräftig erschüttert und bereits tiefe Spuren im Exportgeschäft deutscher Unternehmen hinterlassen. Zwar konnten sich die deutschen Exporte nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes im Mai etwas erholen (Statistisches Bundesamt, 2020). Doch die Zunahme im Mai um 9,0 Prozent gegenüber April kann nur einen Bruchteil des Rückgangs um fast ein Drittel im April kompensieren.
Hierbei zeigt sich eine stark unterschiedliche Entwicklung bei den wichtigsten Exportzielländern (Statistisches Bundesamt, 2020). Während die deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich in den Monaten Januar bis Mai 2020 um fast ein Viertel unter dem Vorjahreswert lagen, belief sich der Rückgang der Exporte nach China auf nur 10,1 Prozent. Der Rückgang nach Polen im gleichen Zeitraum betrug nur 6,8 Prozent. Gegenüber der Schweiz konnte sogar nahezu eine Seitwärtsbewegung der Exportumsätze verzeichnet werden.
Der unterschiedliche Krisenverlauf in den Exportzielländern wird ihre relative Bedeutung für die deutsche Wirtschaft im Verlauf des Jahres 2020 verändern. Von besonderer symbolischer Bedeutung ist der bereits abzusehende Aufstieg Chinas zum Exportzielland Nummer eins. Im Jahr 2019 war China, gemessen am Umsatz, der drittwichtigste Markt für deutsche Unternehmen. Die deutschen Exporte beliefen sich auf 96,0 Milliarden Euro und waren um 10,7 Milliarden Euro geringer als die Exporte nach Frankreich und 22,7 Milliarden Euro unter dem Wert der Exporte in die USA. Die Daten für die Monate Januar bis Mai 2020 zeigen ein ähnliches Ranking unter den Top 3. Doch der Abstand zwischen China und den zwei wichtigsten Exportzielländern ist wesentlich geringer als im Vorjahreszeitraum. So waren die deutschen Exporte nach China um nur 0,6 Milliarden geringer als die deutschen Exporte nach Frankreich. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Krisenverläufe in den beiden Ländern dürfte China bereits im Juni Frankreich als Exportzielmarkt Nummer 2 für die deutsche Wirtschaft abgelöst haben.
Auch der Abstand zu den USA hat sich erheblich verringert: von 9,2 Milliarden Euro im Januar bis Mai 2019 auf 5,6 Milliarden Euro im entsprechenden Zeitraum in 2020. Dass die USA im Verlauf des Jahres ihren Vorsprung wieder ausbauen können, erscheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Die Anzahl der Neuinfektionen verharrt seit Anfang Juli im mittleren fünfstelligen Bereich (JHU, 2020), sodass die leichte Erholung, die der letzte Arbeitsmarktbericht signalisierte (BLS, 2020), auf wackeligen Beinen steht. Das Volumen des Light-Vehicle-Marktes ging in der Jahreshälfte um fast ein Viertel zurück und lag im Juni um 26,7 Prozent unter dem Vorjahreswert (VDA, 2020). Gerade aus diesem Bereich, der 22,6 Prozent der deutschen Exporte in die USA im Jahr 2019 ausmachte, kommt der größte Rückgang des Exportgeschäfts deutscher Unternehmen in den USA (–89,3 Prozent im April, für den die aktuellsten Zahlen vorliegen). Für das Jahr 2020 insgesamt ist aus heutiger Sicht von einem kräftigen Rückgang der deutschen Exporte in die USA gegenüber dem Jahr 2019 auszugehen, zumal die aktuellen Prognosen von einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Aktivität um etwa 8 Prozent ausgehen (IMF, 2020). Zum Vergleich: In der Finanzkrise im Jahr 2009 ging der Einbruch der realen Wirtschaftsleistung in Höhe von –2,5 Prozent mit einem Rückgang der deutschen Exporte in die USA in Höhe von –23,9 Prozent einher.
Die chinesische Wirtschaft legte hingegen im zweiten Quartal 2020 bereits um 3,2 Prozent zu und die Anzahl der Neuzulassungen im Automobilbereich lag im Juni bereits um 1,4 Prozent über dem Vorjahreswert (VDA, 2020). Im weiteren Verlauf des Jahres 2020 dürfte sich das deutsche Exportgeschäft in China weiter erholen. Der Internationale Währungsfonds (IMF) geht aktuell von einem im langfristigen Vergleich bescheidenen und dennoch positiven realen Wirtschaftswachstum in China von 1,0 Prozent aus (IMF, 2020). Ob am Ende des Jahres die deutschen Exporte nach China ein leichtes Plus verbuchen dürften, bleibt fraglich. Doch selbst wenn man von einem Nullwachstum der Exporte nach China im Juni bis Dezember 2020 gegenüber dem Vorjahr ausgeht (insgesamt ein Rückgang von 4,2 Prozent in 2020 gegenüber 2019) und einen aus heutiger Sicht kaum haltbaren Rückgang der Exporte in die USA in 2020 wie in der Finanzkrise 2009 unterstellt, dürfte China am Ende des Jahres 2020 die neue Nummer eins unter den deutschen Exportzielländern sein.
Zwar sind die aktuellen Prognosen mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Dass es sich dabei nicht um eine temporäre Verschiebung unter den Top 3 der deutschen Exportzielländer handeln dürfte, zeigt dennoch wieder ein Vergleich mit dem Verlauf der Erholung nach der Finanzkrise 2009. Als die US-Wirtschaft im Jahr 2010 wieder ein positives Wachstum von 2,6 Prozent verzeichnete, stieg der Wert der deutschen Exporte dorthin um 20,6 Prozent an. China verbuchte im Jahr 2010 eine zweistellige Wachstumsrate von 10,6 Prozent, nachdem in 2009 das Wirtschaftswachstum auf 9,5 Prozent zurückgegangen war. Die deutschen Exporte in das Reich der Mitte legten um beeindruckende 44,3 Prozent im Jahr 2010 zu, nach 9,4 Prozent im Jahr 2009. Nun prognostiziert der IMF eine partielle Erholung der USA im Jahr 2021 und ein reales Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent. Chinas Wirtschaft dürfte im kommenden Jahr entsprechend um 8,2 Prozent zulegen und somit eine Position als Exportzielland Nummer eins in 2021 ausbauen.
Die aktuelle Krise hat einen Prozess beschleunigt, der bereits seit mehreren Jahrzehnten im Gang ist. Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft, das zwar im Lauf der Zeit abnimmt, aber dennoch im internationalen Vergleich recht hoch bleibt, hat das Land zu einem attraktiven Exportmarkt gemacht. In den letzten 20 Jahren stieg die reale Wirtschaftsleistung im Reich der Mitte um durchschnittlich 9 Prozent jährlich an. Die nominalen deutschen Exporte dorthin legten im gleichen Zeitraum im Durchschnitt um 14 Prozent jährlich zu. Zum Vergleich: Die jahresdurchschnittliche Wachstumsrate der deutschen Exporte in die USA belief sich im Zeitraum 1999 bis 2019 auf 4,3 Prozent; das jahresdurchschnittliche Wirtschaftswachstum lag in den USA bei 2,1 Prozent. Das Wachstum der deutschen Exporte nach China war besonders in den 2000er Jahren wesentlich höher als in die USA. In den Jahren 2011 bis 2015 legten zwar die Exporte in die USA etwas stärker als die nach China zu. Seit 2015 zeigen die Exporte nach China wieder eine dynamischere Entwicklung. Dass China sich zum Exportzielland Nummer eins entwickelt, war somit abzusehen.
Auch Polens Position unter den deutschen Exportzielländern dürfte sich im Jahr 2020 verändern. Im Jahr 2019 war Polen gemessen am Umsatz das Exportzielland Nummer 8, knapp hinter Italien (Nummer 6) und Österreich (Nummer 7). Gemäß den derzeit verfügbaren Daten ist Polen um zwei Plätze nach oben geklettert: Dorthin exportierten deutsche Unternehmen im Zeitraum Januar bis Mai um knapp 1 Milliarde Euro mehr Waren als nach Italien oder Österreich. Die Chancen stehen gut, dass Polen es im weiteren Verlauf des Jahres in die Top 5 schafft: Um nur 1,3 Milliarden Euro waren die Exporte in das Vereinigte Königreich in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 höher als in Polen. Die Unsicherheit um die Handelsbeziehungen mit der EU und der Verlauf der COVID-19-Krise könnten dazu führen, dass das Vereinigte Königreich die Top 5 der deutschen Exportzielländer verlässt und durch Polen ersetzt wird.
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