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Dominik Enste / Jennifer Potthoff IW-Kurzbericht Nr. 12 14. Februar 2022 Klimaschonend Fliegen mit Green Nudging?

Fliegen gilt als besonders klimaschädliche Art des Reisens. Vor allem die junge Generation engagiert sich beim Klimaschutz – wie zum Beispiel bei „Fridays for Future“. Zugleich wollen junge Menschen kaum auf Flugreisen verzichten. Wie kann dieser Zielkonflikt überwunden werden?

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Klimaschonend Fliegen mit Green Nudging?
Dominik Enste / Jennifer Potthoff IW-Kurzbericht Nr. 12 14. Februar 2022

Klimaschonend Fliegen mit Green Nudging?

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Fliegen gilt als besonders klimaschädliche Art des Reisens. Vor allem die junge Generation engagiert sich beim Klimaschutz – wie zum Beispiel bei „Fridays for Future“. Zugleich wollen junge Menschen kaum auf Flugreisen verzichten. Wie kann dieser Zielkonflikt überwunden werden?

Um Stakeholder zu ökologischeren Flugreisen zu motivieren, analysierte die Verhaltensökonomie u. a. diese Lösungsansätze: Gezielte Informationsbereitstellung über den CO2-Verbrauch von Flügen während der Online-Flugsuche von Konsumenten und Feedback über den Kerosinverbrauch und konkrete Treibstoffeinsparungsziele für Piloten.  

Durch globale Streikaktionen und Bewegungen wie „Fridays for Future“ wird das Bewusstsein für den Klimawandel zunehmend verstärkt. Es sind vor allem junge Menschen, die sich für den Umweltschutz einsetzen. Trotz des scheinbaren Willens, sich nachhaltig zu verhalten, fliegen vor allem die 14- bis 30-Jährigen häufiger als andere (Enste/Potthoff, 2021, 72 ff.). Dieses Verhalten spiegelt den „Mind-Behavior-Gap“ wider, die Diskrepanz zwischen der Einstellung zu (nachhaltigem) Verhalten und dem tatsächlichen Verhalten. Angesichts des hohen CO2-Ausstoßes von Flugzeugen stellt sich die Frage, wie Fliegen in Zukunft „grüner“ gestaltet werden kann. Zu den politisch diskutierten Maßnahmen zählen die Entwicklung neuer ökologischerer Flugzeugkonzepte, der Einsatz alternativer Kraftstoffe und ökonomische Maßnahmen wie eine CO2- oder Kerosinsteuer. Auf individueller Konsumentenebene gibt es folgende Möglichkeiten zur Reduktion von Flugemissionen beizutragen: Private und geschäftliche Flugreisen insgesamt reduzieren, den emissionsärmeren Flug wählen oder Kompensationszahlungen durch den Kauf von Umweltzertifikaten leisten. Das verhaltensökonomische Instrument „Nudging“ kann zusätzlich helfen, grüneres Fliegen ergänzend zur CO2-Bepreisung voranzubringen und zugleich das Glücksgefühl beim Fliegen zu erhöhen. Konsumenten, Flugportalbetreiber und Piloten sollen so positiv beeinflusst und in Richtung Klimaschutz „gestupst“ werden.

Konsumenten zur Wahl des „Grünen Flugs“ nudgen

Eine aktuelle Studie zeigt, wie Menschen dazu bewegt werden können, emissionsärmere Flüge zu wählen. Während der Suche nach und Buchung von Flügen wurden Informationen über die CO2-Emissionen alternativer Flugoptionen gegeben. Auf der Webpage, die für das Experiment erstellt wurde, war der Flug mit den niedrigsten Emissionen visuell mit dem Label „Your GreenFLY“ hervorgehoben. So werden komplexe Informationen in einfache Kategorien übersetzt (nachhaltige vs. nicht-nachhaltige Flüge), was die Aufmerksamkeit erhöht und verhindert, dass nachhaltigkeitsrelevante Informationen wie CO2-Emissionen bei der Flugauswahl übersehen werden. Die Ergebnisse der Studie belegen die Wirksamkeit des Nudges: Es besteht eine hohe Zahlungsbereitschaft (um eine Tonne CO2 zu sparen) für emissionsärmere Flüge in Höhe von 184 Dollar pro Tonne für einen Inlandsflug und 250 Dollar pro Tonne für einen Auslandsflug. Darüber hinaus waren die Teilnehmer bereit, für einen Nonstop-Flug von einem nicht bevorzugten Flughafen 97 Dollar mehr zu zahlen als für einen Flug mit Zwischenlandung von ihrem bevorzugten Flughafen aus. Der Emissionsunterschied zwischen einem Flug mit Zwischenlandung und einem Nonstop-Flug beträgt etwa 204 Kilogramm. Wenn Flugbuchungsportale wie „Google Flights“, „Opodo“ oder „Swoodoo“ diesen Nudge in ihre Websites einführen würden, könnten Konsumenten auf nicht freiheitseinschränkende Weise dazu motiviert werden, emissionsärmere Flüge zu wählen (Sanguinetti/Amenta, 2021, 2 ff.) und zufriedener mit ihrer Wahl zu sein (Überwindung Mind-Behavior-Gap). Die genannte Maßnahme könnte allerdings zu einer erhöhten Nachfrage von Direktverbindungen mit kleineren Flugzeugen führen, was der angestrebten CO2-Emissionseinsparung wieder entgegenwirken könnte. Bei der Einführung von Nudges bedarf es daher eines Regelungsrahmens und einer Kosten-/ Nutzenabwägung unter Einbezug von potenziellen Rebound-Effekten (Enste/Potthoff, 2021, 79 ff.).

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Piloten zur Kerosineinsparung nudgen

Auch Piloten können durch Nudges zu einem umweltfreundlicheren Flugverkehr beitragen und eine höhere Arbeitszufriedenheit erreichen. Ein Experiment liefert empirische Belege dafür, dass Piloten durch Feedback über ihren Treibstoffverbrauch, Zielvorgaben und prosoziale Anreize weniger Treibstoff verbrauchen. An dem realen Experiment nahmen 335 Flugkapitäne der Fluggesellschaft „Virgin Atlantic Airways“ (VAA) teil. Die Teilnehmer wurden in vier Gruppen eingeteilt, die sich in der Intensität des auf sie ausgeübten Nudge unterschieden. Die erste Gruppe war eine Kontrollgruppe (0), die zwar keinem Nudge ausgesetzt wurde, allerdings darüber informiert wurde, dass ihre Kerosinverbrauchseffizienz gemessen wird. Über einen Zeitraum von acht Monaten erhielten die Flugkapitäne der drei weiteren Gruppen Feedbackberichte mit Informationen über ihre Flüge des vergangenen Monats. Die experimentelle Gruppe „Information“ (1) erhielt monatliche Berichte über ihre Treibstoffeinsparungsleistung. Zusätzlich zu diesen Informationen bekamen die Flugkapitäne der Gruppe „Zielvorgaben“ (2) ein genaues Ziel zur Senkung des Treibstoffverbrauchs und je nach Leistung erhielten sie eine positive Nachricht oder eine Aufforderung zur Verbesserung. Die Piloten der dritten Gruppe „Prosoziale Anreize“ (3) erhielten die zusätzliche Information, dass das Unternehmen in ihrem Namen bei bestimmten Zielerreichungen einen Beitrag für wohltätige Zwecke spendete (Gosnell et al., 2016, 12 ff.). Die Kontrollgruppe (0) hat lediglich durch den Hinweis, dass der Treibstoffverbrauch gemessen wird, durchschnittlich 475 Kilogramm Treibstoff pro Flug eingespart. Dieser Effekt wird in der Wissenschaft als Hawthorneeffekt bezeichnet, da Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Während dieser Effekt ohne den Einsatz eines weiteren Nudge unerwartet hoch ist, zeigen die Werte der experimentellen Gruppe „Information“ (1) keine zusätzlichen Treibstoffeinsparungen. Die Einbeziehung von spezifischen Zielvorgaben (2) hingegen hat eine sehr starke Wirkung auf den Treibstoffverbrauch der untersuchten Piloten. Durch den Zielsetzungs-Nudge wurden pro Flug rund 600 Kilogramm Treibstoff vermieden. Beim „Prosozialen Anreiz“ war die Einsparung immerhin durchschnittlich 575 Kilogramm Treibstoff. Es wird geschätzt, dass durch das Experiment innerhalb der acht Monate insgesamt 6.827 Tonnen Treibstoff für die Partnerfluggesellschaft Virgin Atlantic Airways eingespart wurden. Umgerechnet auf den aktuellen Kerosinweltmarktpreis (Stand: 27.12.2021) entsprechen diese Treibstoffeinsparungen knapp 3,47 Millionen Euro und mehr als 21.500 vermiedenen Tonnen Kohlenstoffdioxid (Gosnell et al., 2016, 3, 26, 55).

Ergebnisse für den deutschen Luftraum

Die verschiedenen Einsparungspotentiale je nach experimenteller Gruppe aus der Studie und die daraus resultierenden jährlichen Einsparungspotentiale haben wir nun für den deutschen Luftraum ermittelt. Die Werte basieren auf den Ergebnissen der Studie und eigenen Schätzungen (Abbildung). Es ist dabei zu beachten, dass die durchschnittliche Strecke von Inlandsflügen aufgrund geografischer Gegebenheiten sich unterscheiden und auch die Piloten könnten andere Präferenzen haben. Insofern sind die Ergebnisse der US-amerikanischen Studie nicht 1:1 auf Deutschland zu übertragen, zeigen aber das grundsätzliche Potential für Treibstoff-, CO2- und Kosteneinsparungen unter der Nutzung von Nudges. Unter dem Nudge „Zielvorgaben“ (2) könnten pro Flug durchschnittlich 1,89 Tonnen CO2 und über 300 Euro für Kerosin eingespart werden. Bei 3,334 Millionen gezählten Flügen im deutschen Luftraum (inklusive Überflüge) im Jahr 2019 könnten unter den genannten Bedingungen bis zu 6,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Quasikostenfreie Nudges sparen also nicht nur den Airlines Geld (hier bis zu einer Milliarde Euro allein für Kerosin), sondern reduzieren auch den Ausstoß des klimaschädlichen CO2 deutlich. Zudem waren die Piloten in der Gruppe „Prosoziale Anreize“ (3) mit ihrer Arbeit deutlich zufriedener als die Kollegen aus der Kontrollgruppe (plus 6,5 Prozent). Nudging kann somit nicht nur einen ergänzenden Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern womöglich auch die Arbeitszufriedenheit erhöhen.

Einige Fluggesellschaften nutzen bereits Nudges. Um die Flüge ökologisch und ökonomisch optimal durchzuführen, werden die Piloten z. B. der Lufthansa Group mit Hinweisen, Tipps und Hintergrundinformationen zu jeder Flugphase ausgestattet und werden zum Thema Treibstoffeffizienz geschult. Die verschiedenen Projekte zur Treibstoffeinsparung führten demnach 2019 schon zu einer Vermeidung von 24,5 Tausend Tonnen CO2-Emissionen und 9,7 Millionen Liter Kerosin seitens des Konzerns (Lufthansa Group, 2019, 12).

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