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Klaus-Heiner Röhl / Christoph Schröder IW-Kurzbericht Nr. 49 9. August 2016 Welche Regionen sind in Deutschland besonders von Armut betroffen?

Nicht alle Regionen sind in Deutschland gleichermaßen von Einkommensarmut betroffen. Um die besonders armutsgefährdeten Gebiete zu identifizieren, ist es wichtig, regionale Preisunterschiede zu berücksichtigen. Die größeren Städte treten dann als regionale Brennpunkte besonders deutlich hervor, während sich das Ost-West-Gefälle gegenüber einer Betrachtung, welche die Preisniveaus außer Acht lässt, deutlich abschwächt.

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Welche Regionen sind in Deutschland besonders von Armut betroffen?
Klaus-Heiner Röhl / Christoph Schröder IW-Kurzbericht Nr. 49 9. August 2016

Welche Regionen sind in Deutschland besonders von Armut betroffen?

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Nicht alle Regionen sind in Deutschland gleichermaßen von Einkommensarmut betroffen. Um die besonders armutsgefährdeten Gebiete zu identifizieren, ist es wichtig, regionale Preisunterschiede zu berücksichtigen. Die größeren Städte treten dann als regionale Brennpunkte besonders deutlich hervor, während sich das Ost-West-Gefälle gegenüber einer Betrachtung, welche die Preisniveaus außer Acht lässt, deutlich abschwächt.

Einkommensarmut ist in Deutschland regional nicht gleichmäßig verteilt. Bei der herkömmlichen Betrachtung mit nominal einheitlichem Schwellenwert, der 60 Prozent des deutschlandweiten mittleren Einkommens beträgt, bleibt aber unberücksichtigt, dass sich das Preisniveau zwischen den Regionen stark unterscheidet. So sind die Lebenshaltungskosten nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) inMünchen, der teuersten Region, um 37 Prozent höher als in Tirschenreuth, dem preisgünstigsten Kreis (Kawka, 2009). In Ostdeutschland lagen die Preise im Schnitt um über 5 Prozent unter Westniveau.

Preisunterschiede zu beachten ist bei der Armutsbetrachtung wichtig. Denn laut Definition der EU gilt als arm, wer aufgrund von mangelnden Ressourcen „…von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum hinnehmbar ist“ (Rat der Europäischen Gemeinschaften, 1985, 24). Geht man daher von einer annehmbaren Lebensweise aus, die möglichst überall zu erreichen ist, dann sollten auch die finanziellen Ressourcen hierfür eine einheitliche Kaufkraft widerspiegeln. Daher wird nachfolgend die Einkommensarmutsschwelle so variiert, dass ihr überall die gleiche Kaufkraft entspricht. Somit ist ein Single in München noch bis zu einem Einkommen von 1.106 Euro kaufkraftarm, während ein Alleinstehender in Tirschenreuth bereits bei einem Monatseinkommen von 818 Euro nicht mehr zu den Kaufkraftarmen zählt.

Karte 1: Einkommensarmut mit Preisbereinigung (Kaufkraftarmut)

Relative Kaufkraftarmut: Anteil der Personen mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des regional preisbereinigten deutschen Medianeinkommens; in Prozent der Bevölkerung.

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Ursprungsdaten: Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Mikrozensus 2013; BBSR

Die Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten hat einen starken Einfluss auf die regionale Armutsgefährdung: Der Übergang von der Einkommensarmut zur Kaufkraftarmut halbiert die Ost-West-Unterschiede. Durch den in Ostdeutschland preisbedingt niedrigeren Schwellenwert sinkt die Quote von19,9 auf 17,6 Prozent, während sich die westdeutsche Kaufkraftarmutsquote mit 14,8 Prozent gegenüber der Einkommensarmut (14,4 Prozent) leicht erhöht. Thüringen – bei traditioneller Messung deutlich einkommensärmer als alle westdeutschen Flächenländer – erreicht mit 14,3 Prozent im Länderranking den viertniedrigsten Wert. Bayern und Baden-Württemberg – auch ohne Preisbereinigung an der Spitze – führen mit 12,3 beziehungsweise 12,6 Prozent das Ranking an.

Dagegen tritt bei der Kaufkraftarmut ein starkes Stadt-Land-Gefälle zu Tage. Ist die Quote der rein städtischen Gebiete bereits bei der Einkommensarmut um 4,7 Prozentpunkte höher als in ländlichen oder teilurbanen Regionen, beträgt der Unterschied bei der Kaufkraftarmut sogar 7,9 Prozentpunkte und ist damit deutlich höher als die Ost-West-Differenz. Im Mittel kommen die rein städtischen Gebiete auf eine Kaufkraftarmutsquote von annähernd 22 Prozent. Das im Vergleich zur Einkommensarmut stärkere Stadt-Land-Gefälle bei der Kaufkraftarmut erklärt sich durch das hohe Preisniveau in den großen Städten: Es liegt im Schnitt um 7 Prozent höher als in den übrigen Regionen.

Auch scheinbar wohlhabende Städte weisen nach der Preisbereinigung ein hohes Armutsrisiko auf. So hat Köln mit fast 27 Prozent die höchste Kaufkraftarmutsquote hinter Bremerhaven. Die Bankenhochburg Frankfurt schneidet mit einer Quote von über 22 Prozent nicht viel besser ab als die Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen, Dortmund und Duisburg, in denen zwischen 23 und knapp 25 Prozent der Bevölkerung relativ kaufkraftarm sind. Berlin – laut Eigenwerbung arm aber sexy – hat mit 22,7 Prozent nur eine marginal höhere Quote als Frankfurt. In den meisten anderen wirtschaftsstarken Städten sind ebenfalls viele Menschen relativ kaufkraftarm: In Hamburg, Bonn und Düsseldorf beträgt die Quote zwischen 21 und 22 Prozent; selbst in Stuttgart ist noch jeder Fünfte betroffen. Von den Städten mit mindestens einer halben Million Einwohnern unterbieten lediglich Dresden und – trotz des sehr hohen Preisniveaus – München mit 18 Prozent die20-Prozent-Marke deutlich.

Dass die Städte insgesamt so schlecht abschneiden, erklärt sich nicht zuletzt durch die niedrige mittlere Kaufkraft – sie liegt 9 Prozent unter dem Niveau der ländlichen Bezirke. Lediglich Erlangen/Fürth und Bonn weisen unter den Stadtregionen eine überdurchschnittliche Kaufkraft auf. Selbst München kommt unter Berücksichtigung seines hohen Preisniveaus nur auf eine durchschnittliche Kaufkraft.

Karte 2: Preisbereinigtes Medianeinkommen

Median des Äquivalenzeinkommens umgerechnet auf deutsches Preisniveau (regionale Preisdifferenzen sind also herausgerechnet).

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Ursprungsdaten: Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Mikrozensus 2013; BBSR

Trotz dieser Gemeinsamkeiten bestehen zwischen den Städten auch große Unterschiede. So ist etwa in Duisburg die Kaufkraftarmutsquote mit gut 23 Prozent nur um 2 Prozentpunkte höher als in Bonn, obwohl die Kaufkraft mit 1.295 Euro um fast 240 Euro niedriger ist. Diesen großen Nachteil kann Duisburg jedoch fast ausgleichen, weil die Einkommen dort wesentlich gleichmäßiger verteilt sind als in der Bundesstadt: Würde man die Einkommensarmut nur innerhalb der Region betrachten – das heißt die Schwelle am mittleren Einkommen der jeweiligen Stadt orientieren –, käme Duisburg lediglich auf eine Einkommensarmutsquote von knapp 14 Prozent, Bonn dagegen auf annähernd 23 Prozent. Vergliche man sich also nur mit seinen Mitstädtern, wäre Bonn intraregional wesentlich stärker von Einkommensarmut betroffen als Duisburg.

Das Stadt-Land-Gefälle bei der Kaufkraftarmut lässt sich verringern, indem man bei der Armutsbekämpfung die Personengruppen mit erhöhter Armutsgefährdung anspricht. Dies sind Alleinerziehende, Alleinstehende, Personen mit Migrationshintergrund und nicht zuletzt Arbeitslose. Gelänge es beispielsweise durch eine verbesserte Integration und durch einen Ausbau der qualifizierten Ganztagsbetreuung das Einkommen dieser Personengruppen an das der übrigen Bevölkerung heranzuführen, würde vor allem in den Städten das Einkommensniveau ansteigen und die Einkommensungleichheit sinken. Denn die Personengruppen mit erhöhtem Armutsrisiko machen in den großen Städten fast zwei Drittel der Bevölkerung aus, in eher ländlichen Gebieten aber nur knapp die Hälfte. Betrachtet man ausschließlich die Bevölkerung ohne erhöhte Armutsrisiken, liegen Stadt und Land eng beisammen: Ihre Kaufkraftarmutsquote liegt bei 5,5 Prozent im ländlichen Raum und bei 5,7 Prozent in den Städten.

Die hohe Betroffenheit von Kaufkraftarmut in den Städten ist auch bei der anstehenden Neuausrichtung der Regionalpolitik ab 2020 zu berücksichtigen: In den bislang vorrangig geförderten ländlichen und ostdeutschen Regionen verknappt der demografische Wandel bereits die Arbeitskräfte, während die meisten Großstädte wachsen. Allein auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtete Investitionsbeihilfen für Unternehmen sind bei Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel in immer mehr Regionen nicht mehr zielführend. Regionalförderung sollte zukünftig kleinräumiger und zielgerichteter erfolgen, wobei die Problemgruppen „mitgedacht“ werden. Dabei sollte die Verknüpfung von öffentlichen Investitionen sowie der Investitions-, Innovations- und Gründungsförderung mit Bildung und Maßnahmen zur Integration und Stadtteilaufwertung vorangetrieben werden, um regionale Problemlagen besser zu adressieren.

Regionale Fördermaßnahmen sollten besser mit einer Politik für die besonders armutsgefährdeten Gruppen verzahnt werden, etwa durch Bildungsmaßnahmen für Geringqualifizierte und Migranten, die die Belange der Unternehmen im Blick haben. Erfahrungen zeigen, dass die Erfolgsquote von Schulungen höher ist, wenn die Teilnehmer bereits eine Stelle in Aussicht haben. Pendlerbeihilfen könnten zusätzlich helfen, um beispielsweise Arbeitslose aus dem nördlichen Ruhrgebiet mit Unternehmen im Münsterland, wo Arbeitskräfte fehlen, zusammenzubringen.

Karte 3: Einkommensarmut ohne Preisbereinigung

Relative Einkommensarmut: Anteil der Personen mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des deutschen Medianeinkommens, also ohne Preisbereinigung.

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Ursprungsdaten: Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Mikrozensus 2013; BBSR

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Heiner Röhl / Christoph Schröder: Regionale Armut – Welche Regionen sind in Deutschland besonders von Armut betroffen?

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