Am kommenden Sonntag wählt Polen eine neue Regierung. Das Land steht am Scheideweg: Nach einem jahrelangen Wirtschaftswunder könnte Polen es noch viel weiterbringen – vorausgesetzt, es öffnet sich weiter zur Welt und schafft es bei großen Konflikten mit der EU pragmatische Lösungen zu finden.
Wahlen: Nach dem Wirtschaftswunder muss Polen sich zur Welt bekennen
Polen hat in den vergangenen drei Dekaden eine Art Wirtschaftswunder erlebt, das Land ist zum Wachstumschampion aufgestiegen. So hat sich das reale Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, mehr als verdreifacht. Das BIP pro Kopf hat sich nahezu vervierfacht, die Arbeitslosenquote hat einen Tiefststand erreicht und die Schuldenquote liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt – beeindruckende Erfolge. Mittlerweile ist das Land die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU, ein bedeutsamer Handelspartner und ein wettbewerbsfähiger Industriestandort geworden. Das Handelsvolumen hat sich seit 2002 versiebenfacht. Deutschland nimmt für Polen mit großem Abstand die wichtigste Rolle sowohl auf der Einfuhr- als auch auf der Ausfuhrseite ein.
Erfolgsfaktoren der polnischen Wirtschaft
Ein Erfolgsfaktor: Polen hat die wirtschaftliche Liberalisierung in stabile demokratische Institutionen eingebettet, dabei hat die EU wesentlich geholfen. Die finanziellen Mittel aus dem EU-Haushalt haben Polen ermöglicht, die Infrastruktur auszubauen. Zudem hat das Land die Bildung verbessert und weiter ausgebaut. Die geringen Arbeitskosten und die liberale Arbeitsmarktpolitik haben ausländische Firmen angelockt, die arbeitsintensive Fertigungsschritte nach Polen ausgelagert haben. Ohne den EU-Beitritt 2004 und die vollständige Integration in den europäischen Binnenmarkt wäre das nicht möglich gewesen.
Wirtschaftlicher Erfolg steht vor dem Scheideweg
Als Hocheinkommensland steht das Land nun aber an einem Scheideweg: Um das Wachstum auf diesem Niveau aufrechtzuerhalten, braucht es größere Anstrengungen. Polen muss seine Innovationskraft ausbauen und die grüne Transformation meistern – besonders, indem die Abhängigkeit von Kohle reduziert und das Investitionsklima verbessert wird. Dafür braucht es Stabilität, Verlässlichkeit und Transparenz, etwa beim Investitionsschutz und der Rechtssicherheit. Aber auch die hohe Inflation belastet die Wirtschaft. Hinzu kommen Fachkräfteengpässe, die durch Emigration und die demografische Entwicklung entstehen.
„Wie Polen die Transformation von einer Planwirtschaft zu einer vollständigen Marktwirtschaft in den letzten 30 Jahren gemeistert hat, das ist bemerkenswert“, sagt IW-Forscher Thomas Obst. „Die polnische Regierung sollte nach den Wahlen genauso pragmatisch zu Reformen bereit sein, wie sie es in der Vergangenheit gezeigt hat.“ Damit würde Polen ein weiterhin attraktiver Investitionsstandort bleiben und könnte seine komparativen Kostenverteile innerhalb der europäischen Wertschöpfungsketten weiterhin nutzen.
Auf der Aufgabenliste steht aber noch mehr: Polen würde davon profitieren, wenn sich die Konflikte mit der EU über Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Gewaltenteilung entspannen würden. „Das wäre die Voraussetzung, um vom Wiederaufbaufonds der EU zu profitieren“, sagt IW-Forscherin Samina Sultan. Angesichts zahlreicher Herausforderungen und Investitionsbedarfe wären diese Gelder von großem Nutzen und würden Anreize für notwendige Reformen setzen. „Die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte konnte nur durch die Öffnung zur Welt und zur EU gelingen“, so Sultan. „Das zeigt, dass Polen sich auch künftig nur in partnerschaftlicher Zusammenarbeit entwickeln kann.” Die deutsch-polnischen Verflechtungen sind besonders wichtig: Ein Ausbau dieser Beziehung liegt in beiderseitigem Interesse und sollte entsprechend auch politisch gewürdigt werden.
Polen vor der Wahl – Wirtschaftsmodell im Wandel
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
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