Die Arbeitswelt hat sich gewandelt, doch trotz besserer Arbeitsbedingungen schrumpft die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder. Dabei sind Gewerkschaften und Betriebsräte ein unverzichtbares Bindeglied zwischen Unternehmen und Mitarbeitern – sollten die Arbeitnehmervertretungen weiter an Gewicht verlieren, wird der Staat helfen müssen.
Tag der Arbeit: Gewerkschaften vor unsicherer Zukunft
„Solidarität ist Zukunft“: Unter diesem Motto steht der diesjährige Tag der Arbeit. In seiner inzwischen mehr als 120-jährigen Geschichte hat sich viel verändert: Die Arbeitswelt von gestern war davon geprägt, dass sich Arbeiter kollektiv gegen Ausbeutung wehrten. In der Arbeitswelt von heute ziehen Belegschaft und Management immer öfter an einem Strang, um die Herausforderungen in ihren Betrieben gemeinsam zu bestehen. Aus Ausbeutung wurde Teilhabe. Die Arbeitnehmer haben davon profitiert: kürzere Wochenarbeitszeiten mit individuellem Gestaltungsspielraum, bezahlter Urlaub, Jahressonderzahlungen und reale Lohnsteigerungen.
Löhne steigen, Gewerkschaften schrumpfen
Allein seit dem Jahr 2000 sind die Nettolöhne je geleisteter Arbeitsstunde in Deutschland preisbereinigt im Durchschnitt um mehr als 19 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum schrumpfte die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder im Deutschen Gewerkschaftsbund um knapp 40 Prozent von 9,7 auf 5,9 Millionen. Das mag bei dem einen oder anderen den Verdacht aufkommen lassen, dass Gewerkschaften im Zuge einer verbesserten Arbeitswelt immer weniger gebraucht werden.
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Tatsächlich lassen sich Missstände am Arbeitsplatz heute viel breitenwirksamer über die sozialen Medien anprangern als durch eine Beschwerde beim Gewerkschaftssekretär vor Ort. Um öffentlichen Druck auszuüben, bedarf es keines klassischen kollektiven Protests von Arbeitnehmern mehr. Das Aufdecken von Missständen ist aber das eine, die Beseitigung derselben das andere. Es bedarf eines Ordnungsfaktors, der sich vor Ort professionell um die Probleme kümmert, die Bedürfnisse der Belegschaft bündelt und schließlich für einen Ausgleich unterschiedlicher Interessen sorgt. Genau das ist die Aufgabe von Gewerkschaften und Betriebsräten, die vielfach eng miteinander verflochten sind.
Staat könnte Gewerkschaften helfen
Wollen die Gewerkschaften diese Aufgabe auch in Zukunft ausüben, müssen sie ihre organisatorische Basis verbreitern. Aktuell sind nur noch 17 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Schon lange bestehen strukturelle Defizite, und sie bleiben ein Problem: So sind nur 14 Prozent der Frauen, aber 19 der Männer Gewerkschaftsmitglied. Ältere sind häufiger organisiert als Jüngere. Scheiden die Älteren aus dem Erwerbsleben aus, geht auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad zurück. Besonders verwunderlich ist, dass die Gewerkschaften ausgerechnet dort am wenigsten Fuß fassen, wo es am notwendigsten wäre: bei den Geringqualifizierten. Sie sind mit knapp 14 Prozent unterdurchschnittlich organisiert. Offenbar verspricht sich diese Gruppe von einem Gewerkschaftsbeitrag keine entsprechende Rendite. Sollten die Gewerkschaften weiter herumdümpeln, wird der Staat in die Bresche springen müssen. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn tut er das schon heute. Er steht sinnbildlich für die Schwäche der Gewerkschaften. Von daher überrascht es, wenn die Gewerkschaften nach noch mehr staatlicher Unterstützung rufen. Glauben sie etwa selbst nicht mehr an Ihr Comeback oder ist der Slogan „Solidarität ist Zukunft“ ein Weckruf an die Arbeitnehmer zur richtigen Zeit?
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