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(© Foto: Dennis Strassmeier)
Oliver Stettes in AKTIV Interview 5. Januar 2017

"Die Politik sollte mutiger sein"

Das Arbeitszeitgesetz von 1994 ist nicht mehr ganz zeitgemäß. Deshalb hat das Arbeitsministerium Pläne für eine Reform vorgelegt. Für IW-Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes gehen die nicht weit genug. Die Wirtschaftszeitung AKTIV sprach darüber mit dem Arbeitsmarktexperten im Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).

Was bringt das Weißbuch aus dem Hause Nahles?

Dass die Betriebe jetzt in einer zweijährigen Testphase mehr Flexibilität ausprobieren dürfen. Dabei geht es unter anderem um den klassischen Acht-Stunden-Tag, den es übrigens im EU-Recht gar nicht gibt. Er soll nicht grundsätzlich abgeschafft werden – aber die Industrie braucht mehr Spielraum. Weil ihre Kunden mehr Flexibilität einfordern.

Wie sehen die Mitarbeiter das?

Auch die wollen raus aus dem starren Arbeitszeitkorsett. Viele haben kein Problem damit, wenn sich Beruf und Privatleben etwas vermischen. Eine neue IW-Studie zeigt das ganz deutlich: Gerade Mitarbeiter, die dank der neuen digitalen Medien wie Smartphone und Tablet hin und wieder von Hause aus arbeiten, sind zufriedener als solche, die nie mobil arbeiten. Weil sich so Familie und Beruf besser vereinbaren lassen.

Worum geht es noch?

Es soll auch eine Aufweichung der elfstündigen Ruhezeit ausgetestet werden: Wenn ein Mitarbeiter nachmittags früher heimgeht und dafür am späten Abend noch ein Telefonat mit einem Kunden in Übersee führt – ist das eine Unterbrechung der vorgeschriebenen Ruhezeit? Juristisch streng genommen: Ja. Aber es ist eine Bagatelle.

Beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – bewegen sich da in einer Grauzone.

Ja, und das wollen die Unternehmen gern ändern. Vor allem die vielen exportstarken Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie (M+E) hier in Nordrhein-Westfalen benötigen mit ihrer globalen Verzahnung eine zeitgemäßere Arbeitszeitgestaltung.

Da bietet die Testphase doch gute Möglichkeiten?

Mitmachen dürfen leider nur tarifgebundene Unternehmen mit Betriebsrat. Und die Betriebsvereinbarung gilt dann auch für diejenigen Mitarbeiter, die es gern noch flexibler haben möchten.

Die Wirtschaft hätte sich wohl mehr erhofft.

So ist es. Alle Unternehmen, auch die kleinen ohne Betriebsrat, müssen ausprobieren dürfen. Die Politik sollte da mutiger sein – und nur eingreifen, wenn sich eine Entwicklung anbahnt, die aus dem Ruder zu laufen droht. Kurzum: Das Weißbuch ist kein großer Durchbruch.

Wobei die Ministerin auch mit neuen Belastungen um die Ecke kommt …

Sie droht, an anderer Stelle die Flexibilität stark einzuengen. Nehmen wir als Beispiel die Teilzeit: Künftig sollen Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeiten verkürzt haben, ein Recht darauf haben, wieder auf Vollzeit zu gehen. Auch ein Recht auf Homeoffice soll es geben. All das ohne Rücksicht auf die betrieblichen Belange! Das wäre ein Problem gerade für Mittelständler, die beim Personal nicht so viel Spielraum haben. In NRW hat jeder zweite M+E-Betrieb mit Tarifbindung weniger als 100 Mitarbeiter.

Im Weißbuch steht auch die „Arbeitsversicherung“ – was ist das denn?

Das Wort Versicherung ist da irreführend. Die Bundesagentur für Arbeit soll künftig noch mehr als Weiterbildungsträger auftreten. Aber wenn alle Beschäftigten einen Anspruch auf deren Kurse hätten, ginge die Balance zwischen Betrieb und Beschäftigten bei der betrieblichen Weiterbildung verloren. Die Unternehmen wissen doch selbst am besten, wo ihre Mitarbeiter Schulungsbedarf haben – und können dann entsprechend nachsteuern.

Externe Kurse und alternde Belegschaften: Passt das überhaupt zusammen?

Ältere lernen anders: weniger im Seminarraum, eher vor Ort an der Maschine, wo sie ihre Erfahrung einbringen. Und wir werden den digitalen Wandel mit den alternden Belegschaften meistern müssen.

Zum Interview auf aktiv-online.de

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