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Michael Hüther in ZEIT online Interview 21. September 2023

Viertagewoche: „In Deutschland wird vergleichsweise wenig gearbeitet”

Ab heute können sich Unternehmen in Deutschland für ein Pilotprojekt zur Viertagewoche anmelden. IW-Direktor Michael Hüther glaubt, dass es volkswirtschaftlich keinen Sinn ergibt, die Viertagewoche einzuführen. „Die meisten Firmen könnten nicht noch effizienter werden”, sagt er im Interview mit ZEIT online.

Herr Hüther, wie viele Stunden in der Woche arbeiten Sie?

Ich bewege mich gerade noch an der Grenze der gesetzlichen Arbeitszeitordnung. Also noch innerhalb der wöchentlich erlaubten Arbeitszeit von 48 Stunden. Ich arbeite aber auch nicht weniger als das.

Ist Ihnen das nicht zu viel?

Ich arbeite viel, aber nicht zu viel. Mir ist wichtig, dass ich eine große Arbeitszeitsouveränität habe – also dass ich flexibel bin und mir meine Arbeitszeit selbst einteilen kann. So ist das auch in unserem Institut geregelt.

„Man bekommt dann dasselbe Gehalt, leistet aber 20 Prozent weniger.”

Die IG Metall fordert für die Stahlbranche eine Viertagewoche. Was halten Sie davon?

Nicht viel, denn die Forderung ist damit verbunden, das Ganze bei vollem Lohnausgleich zu machen. Es geht letztendlich also darum, seine Arbeit nicht mehr an fünf, sondern an vier Tagen zu erledigen, aber weiterhin mit nur acht Stunden am Tag. Man bekommt dann dasselbe Gehalt, leistet aber 20 Prozent weniger. Oder man ist um 20 Prozent produktiver – und das halte ich für unrealistisch.

Warum ist das unrealistisch?

Man kann sicher den einen oder anderen Prozess umstellen und dadurch effizienter werden, aber das führt zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung, weil Angestellte dann in jeder Minute produktiv sein müssen. Das kann belastend sein und es wird trotzdem nicht reichen, um an vier Tagen die Arbeit von fünf Tagen erledigt zu bekommen.  

Wieso glauben Sie das?

Es gibt bestimmt Unternehmen wie zum Beispiel Beratungsfirmen, in denen es funktioniert, dass Angestellte in kürzerer Zeit mehr leisten, wenn sie den Freitag freihaben. Manchmal kann man ja Konferenzen kürzen oder ineffiziente Arbeitsschritte abschaffen. Dort wäre es auch kein Problem, wenn man die Arbeitszeit anpassen würde, man hätte trotzdem ähnlich gute Ergebnisse. Aber in den meisten Firmen, vor allem in der Industrie oder im sozialen Bereich, ist das nicht möglich. In der Automobilbranche ist der Arbeitstag beispielsweise eng getaktet. Ich sehe nicht, wie man dort noch effizienter werden kann. Und auch für eine Pflegekraft oder einen Stahlarbeiter wird das nicht funktionieren.

„Wir müssen Produktivitätsgewinne dann auch zulassen.”

Aber künstliche Intelligenz könnte dazu führen, dass Arbeit effizienter wird.

In manchen Branchen ja, aber ob das wirklich volkswirtschaftlich relevant wird, ist noch unklar. Laut Studien kann künstliche Intelligenz in textbasierten Berufen bis zu 30 Prozent der Zeit einsparen. In der Pflege, in Kitas oder bei der Polizei kann ich mir das allerdings nicht vorstellen. Ganz unabhängig davon, dass wir Produktivitätsgewinne dann auch zulassen müssten.

Tun wir das aktuell nicht?

Nein, weil wir vieles zu bürokratisch organisieren. Jede technische Neuerung wird mit Berichtspflichten, Compliance-Regeln oder sonstigen Vorschriften verbunden und bringt oft letztendlich mehr Aufwand, als sie einspart. Es wäre also falsch zu glauben, dass mehr Technologie unsere Arbeit automatisch vereinfacht. Darauf sollten wir uns nicht verlassen, wenn wir von der Viertagewoche sprechen. Kundinnen und Kunden sollten sich eher auf einen Viertageservice einstellen, das Arbeitsvolumen wird noch weiter schrumpfen.

Demnächst wird in Deutschland die Viertagewoche getestet. In England wurde ein solches Pilotprojekt bereits erfolgreich umgesetzt. Von 61 Unternehmen wollen 56 sie beibehalten.  

Ich habe das natürlich verfolgt und nenne Studien wie diese gern Kölner-Domplatten-Empirie. Wenn ich die Leute dort frage, ob sie Freibier wollen, stimmen sie auch alle zu. Bei diesem Projekt wurden Unternehmen begleitet, die die Viertagewoche einführen wollten und da überrascht es nicht, dass die dann auch dabeibleiben. Das ist aber alles andere als repräsentativ. Wichtiger wäre es doch, sich zu fragen, was die Viertagewoche volkswirtschaftlich bedeuten würde. Und da macht es keinen Sinn, sie einzuführen. Bis 2030 fehlen dem Arbeitsmarkt 3,1 Millionen Angestellte. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass jährlich 200.000 Arbeitskräfte netto einwandern, bleibt eine Lücke von jährlich 4,2 Milliarden Arbeitsstunden. Es ist utopisch zu glauben, dass wir das kompensieren, indem wir effizienter arbeiten. Wir müssen stattdessen das Arbeitsvolumen der Menschen erhöhen.

Wird denn in Deutschland zu wenig gearbeitet?

Zumindest können wir nicht mit anderen Ländern mithalten. In der Schweiz arbeiten Erwerbstätige im Schnitt jährlich 100 Stunden mehr als in Deutschland, in Schweden sind es 50 Stunden mehr. Das liegt auch daran, dass wir andere Feiertagsregelungen und längere Urlaube haben als anderswo. Allerdings wird hierzulande auch generell weniger gearbeitet als in den beiden Ländern.

„Wir sollten die Vollzeitarbeit erhöhen.”

Sie fordern sogar die 42-Stunden-Woche. Ist das nicht übertrieben?

Mit Blick auf den immer größer werdenden Fachkräftemangel halte ich das für einen von mehreren richtigen Wegen. Natürlich brauchen wir auch mehr Zuwanderung. Wir müssen dafür sorgen, dass Alleinerziehende häufiger arbeiten und dafür die Versorgung mit Kindergärten und Ganztagsschulen verbessern. Aber auch an die heutige Vollzeitarbeit sollten wir ran und sie erhöhen. Alles andere gefährdet unseren Wohlstand.

Schon jetzt machen Menschen in Deutschland 1,3 Milliarden Überstunden im Jahr. Warum reicht das nicht?

Auch mit Überstunden arbeiten wir vergleichsweise wenig. Das klingt nach einer massiven Zahl, aber die ist bereits in unseren Vergleichen mit der Schweiz oder Schweden eingerechnet. Es braucht also mehr Arbeitsstunden, wir müssen nur noch schauen, wie wir das erreichen und sie gerecht verteilen.

Was halten Sie von der Idee, Überstunden steuerfrei zu stellen?

Carsten Linnemann, der Generalsekretär der CDU, hat das gefordert und ich kann das zumindest gut nachvollziehen. Aber ich halte das nur für die zweitbeste Option, um für mehr Arbeitsstunden zu sorgen. Vielmehr bräuchte es einen generellen Umbau des Steuersystems, das Mehrarbeit aktuell nicht belohnt und Teilzeit fördert.

Inwiefern?

Wer von Vollzeit in Teilzeit geht, profitiert steuerlich. Wer seine Arbeitszeit um 20 Prozent reduziert, verdient netto nicht 20 Prozent weniger. Im Gegenteil, der Nettostundenlohn steigt sogar. Und zwar, weil wir Steuersätze haben, die prozentual steigen, je mehr man arbeitet und verdient. Ich halte das für fragwürdig, weil es dadurch oft nicht attraktiv genug ist, seine Arbeitszeit aufzustocken.

„Die Steuersätze sollten nicht mehr so stark progressiv steigen.”

Wie wollen Sie das verhindern?

Indem wir dafür sorgen, dass die Steuersätze nicht mehr so stark progressiv steigen und damit diejenigen prozentual mehr belasten, die mehr arbeiten. Wir müssten also genau diesen Effekt verhindern, damit es finanziell attraktiver wird, in Vollzeit zu gehen. Wir sollten den Tarif der Einkommenssteuer deshalb abflachen, was den Staat etwas kosten wird, weil er auf Einnahmen verzichtet. Aber die Wirtschaft und damit auch der Staatshaushalt würden langfristig profitieren. Und derjenige, der mehr arbeitet, hätte netto am Ende mehr davon. So wie damals unter den Kanzlern Kohl und Schröder.

Die junge Generation wird man nicht mit etwas mehr Netto überzeugen. Sie will tendenziell weniger arbeiten.  

Und das ist durchaus problematisch. Die Wirtschaft steht vor einer großen Transformation und meine Generation wird diese nicht allein umsetzen können, selbst wenn wir noch ein wenig länger arbeiten. Die Jungen werden das aber merken und in Zukunft mehr arbeiten, als sie sich das jetzt vorstellen. Spätestens wenn sie eine Familie gründen wollen, werden sie sehen, dass es für einen funktionierenden Staat mit Kitas, Schulen, Ämtern und Kliniken auch genug Menschen braucht, die arbeiten.

Zum Interview auf zeit.de

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