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(© Foto: Shannon Fagan/iStock)
Michael Hüther im Handelsblatt Interview 15. Januar 2016

"China hat kein Konjunkturproblem"

In China ist die erste Phase der Modernisierung zu Ende, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im Interview mit dem Handelsblatt. Das Land brauche nun vor allem mehr Freiheit.

Crash an Chinas Börse - Herr Hüther, was für ein Problem kommt da auf uns zu?

China hat kein Konjunkturproblem, sondern in China ist schlicht die erste Phase der Modernisierung zu Ende. Sie bestand darin, die Industrie und die Infrastruktur aufzubauen. Das kann ich auch mit einer Planwirtschaft. Aber irgendwann ist so ein Modell mit zentralistischen Investitionsplänen ausgereizt.

Und dann?

Dann ist die Frage, wie bekomme ich Freiheitsspielräume für Investitionen und Finanzmärkte. Finanzmärkte sind anarchisch. Und die Marktwirtschaft ist es eigentlich auch. Das passt aber nicht zum politischen System in China.

Das heißt: Wir haben ein politisches Problem . . .

Ja, ein ordnungspolitisches Problem jedenfalls. Bei allen Steuerungszielen, die sich China setzt, ist das Problem, dass sie zentral umgesetzt werden sollen. Unsere Erfahrung in Deutschland zeigt jedoch, wie wichtig Dezentralität ist. Die damit verbundenen Freiräume zu geben – das kann China aber offenbar noch nicht ertragen.

Sie glauben der chinesische Turbo-Kapitalismus, den manche Deutsche immer so bewundert haben, hat sich überlebt?

Das ist sowieso eine merkwürdige Bewunderung und ein fatales Lob. Denn im Grunde genommen stellt es ja unser Wirtschafts- und Lebensmodell in Frage. Mir hat das nie eingeleuchtet. Es ist der fragwürdige Vorzug eines nicht-demokratischen Modells, auf zeitraubende Diskurse verzichten zu können. Aber will das wirklich jemand?

Sind die Wachstumsraten von sieben bis acht Prozent in China endgültig Schnee von gestern?

Jeder Aufholprozess verlangsamt sich irgendwann. Und die Stabilisierung auf fünf Prozent ist schon eine Herausforderung. Es setzt voraus, dass China eine Innovationskultur entwickelt, dass das Land Anarchie im marktwirtschaftlichen Sinne zulässt und dass man die Finanzmärkte voranbringt. Was wir doch gerade erleben, ist der permanente staatliche Eingriff in die chinesischen Finanzmärkte, die eine Finanzkultur und ein Risikobewusstsein nicht ausgebildet haben.

Teilen die deutschen Unternehmen Ihre Analyse?

Ich sehe bei deutschen Unternehmen oft sehr viel Optimismus. Die glauben, da seien so viele Menschen, die einfach integriert werden müssen. Das ist etwas naiv. Gute Unternehmensstrategien sind die, die sagen, ich bin natürlich in dem Markt engagiert. Aber wenn es dort kracht, schmeißt es mich nicht um.

Wie anfällig ist die deutsche Industrie für eine Chinesische Krankheit?

Es gibt bereits ein Umschiften Richtung Nordamerika. Aber deutsche Unternehmen sind im Vergleich zu anderen noch stark in China investiert . . .

. . . und die leiden jetzt. Wer leidet denn stärker: die Unternehmer, die in China investiert sind, oder die Anleger?

Am Ende ist es vor allem China, das leidet. Es leidet solange, bis es eben mehr Dezentralität und Freiräume zulässt.

Sehen Sie da Fortschritte?

Ich sehe allenfalls Inselphänomene. In Einzelbereichen wird unternehmerisches Handeln zugelassen. Das ist aber nicht systematisch. Man kann nämlich nicht 1,4 Milliarden Menschen von Peking aus steuern.

Wir haben viele Unternehmer aus China in den letzten Monaten gesehen, die sich hierzulande engagieren. Ist diese Welle nach dem Börsenbeben erstmal vorbei?

Im Gegenteil, das kann sich durchaus verstetigen. Je schwieriger die Lage im Inland ist, desto interessanter wird es für chinesische Investoren, ihr Glück außerhalb des Landes zu finden.

Also ein Land mit zwei Gesichtern: Nach innen reformbedürftig, aber nach außen quicklebendig.

Ja, und nach innen mit der Frage konfrontiert, bin ich bereit dem einzelnen mehr Freiheit zu geben, mehr Anarchie.

China braucht Anarchie ist das Fazit unseres Gesprächs?

Geordnete Anarchie würde ich sagen.

Zum Interview auf handelsblatt.com

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