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Knut Bergmann in der Rheinischen Post Interview 13. Februar 2024

„Wir haben nicht 1932, Alice Weidel ist nicht Adolf Hitler”

Die AfD droht Wohlstand und politische Kultur zu zerstören, warnt IW-Politikexperte Knut Bergmann im Interview mit der Rheinischen Post. Von einem Verbotsverfahren hält er nichts: Die Partei müsse inhaltlich entlarvt werden.

Ist die AfD ein Standort-Risiko?

Ja. Soziale Marktwirtschaft und unsere Demokratie gehören zusammen, ökonomischer Erfolg braucht politische Stabilität. Die AfD polarisiert, ist in Teilen rechtsextremistisch und steht gegen die Offenheit, von der die Exportnation wie das Einwanderungsland Deutschland lebt. Laut einer IW-Umfrage ist es schon jetzt schwierig, in AfD-Hochburgen ausländische Fachkräfte zu gewinnen.

Hinzu kommen die Dexit-Forderungen …

Würde Deutschland aus EU und Eurozone austreten, könnte es rund zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung verlieren. Das bedeutete einen Wohlstandsverlust von 400 bis 500 Milliarden Euro jährlich, wie die Übertragung einer Studie zu den tatsächlichen Brexit-Folgen zeigt. Deutschland als Exportland würde stark getroffen – und die Bürger auch: 2,2 Millionen Arbeitsplätze wären bedroht.

In Brandenburg, Sachsen, Thüringen stehen Landtagswahlen an, in Thüringen könnte die AfD stärkste Partei werden. Was wären die Folgen?

Nach aktuellen Umfragen könnten AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zusammen eine hauchdünne Mehrheit haben. Tun die sich zusammen, könnte die AfD erstmals einen Ministerpräsidenten stellen. Das wäre für den Standort Thüringen ein Problem, im Bund weniger. Im Bundesrat wäre Thüringen isoliert, der Einfluss wäre gering.

Sollten die anderen Parteien, wann immer es geht, eine Regierungsbeteiligung der AfD verhindern?

Wenn das nur mit All-Parteien-Bündnissen verhindert werden kann, bestärkt das die AfD in ihrer Selbstwahrnehmung als Opfer des Establishments, was ihr weitere Wähler zutreiben könnte. Andere Länder mit Verhältniswahlrecht zeigen, dass das nicht dauerhaft funktioniert.

Sollte man die AfD also bewusst in die Regierung nehmen, damit sie sich entzaubert? Das ist schon mal schief gegangen. Franz von Papen wollte einst Hitler in einer Koalition „einrahmen“.

Trägt dieser historische Vergleich? Wir haben nicht 1932, Alice Weidel ist nicht Adolf Hitler. Es hilft nicht, die Nazikeule rauszuholen–das ist zwar intellektuell bequem, trägt aber zur Zementierung der Lage bei. Wichtig ist es, die Partei inhaltlich zu stellen und den Wählern die Folgen klarzumachen. Die AfD ist – anders als sie gerne vorgibt – keine Partei für kleine Leute. Von ihren Steuerplänen würden vor allem Spitzenverdiener profitieren.

Was halten Sie von einem Verbotsverfahren?

Wenig. Die Hürden sind zurecht sehr hoch, und es dauerte Jahre. Ein Scheitern könnte zu einem Persilschein mutieren, und selbst im Erfolgsfall wäre das Problem, dass es auch in Deutschland einen rechtsradikalen Rand der Wählerschaft von etwa zehn Prozent gibt, politisch nicht gelöst. Die Frage ist eher, ob einzelne Landesverbände verboten werden könnten.

Den ersten AfD-Landrat gibt es bereits. Wie soll man in den Kommunen mit der AfD umgehen?

Im Osten kommt man an der AfD kaum mehr vorbei, sie wird immer öfter Landräte oder Bürgermeister stellen. Das bedeutet, dass AfD-Vertreter in Gremien von Sparkassen oder Stadtwerken einziehen. Unschön, aber der Einfluss ist noch überschaubar. Die Partei muss inhaltlich entlarvt werden.

Wie?

Indem man den Bürgern klar macht, was die AfD alles zu zerstören droht: politische Kultur, das Miteinander, Wohlstand. Zudem haben ihre Kandidaten Wahlkampf gemacht mit Themen, für die Kommunen gar nicht zuständig sind. Andererseits müssen die demokratischen Parteien Antworten auf Sorgen der Bürger finden. Die AfD profitiert davon, dass sie Probleme benennt, etwa im Kontext von Migration. Werden diese aus Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden, beschwiegen, überlässt man der AfD kampflos das Feld. Das auch jenen zur Mahnung, die jede Position rechts der Mitte als politisch illegitim brandmarken.

CDU-Chef Merz hat eine Zusammenarbeit mit der AfD in Bund und Ländern ausgeschlossen. Die CDU würde ihre Seele verkaufen, hatte Merz klargestellt. Kann er das durchhalten?

Auf den beiden Ebenen ja, in den Kommunen ist das fraglich – was übrigens für alle Parteien gilt. Es ist den Wählern kaum erklärbar, warum jeder AfD-Antrag im Stadtrat per se abgelehnt oder übertroffen werden muss. Auch das nährte das AfD-Narrativ: das Establishment gegen den wahren Volkswillen.

Das erinnert alles stark an die aktuelle Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Ist die AfD wie Donald Trump?

Es gibt Parallelen. Das Bespielen der eigenen Filterblasen, vor allem via Social Media. Die Unsachlichkeit, die Selbstinszenierung als Opfer des Establishments, die Ausländerfeindlichkeit. Trump und die AfD nutzen Freiheiten, die die Demokratie ihnen bietet, um diese zu beschädigen. Darum ist es wichtig, deren Institutionen zu schützen.

Muss man das Bundesverfassungsgericht vor der AfD schützen?

Nicht nur das Bundesverfassungsgericht. Wie demokratische Institutionen von autoritären Kräften unterwandert werden können, zeigen Polen und Ungarn. Den Wählern in Thüringen muss klar sein, dass die AfD selbst ohne Regierungsbeteiligung mit einem Drittel der Mandate im Landtag Obstruktion am System betreiben kann, insbesondere in Personalfragen der Justiz.

Wie hat sich das Verhältnis der Unternehmer zur AfD in den vergangenen Jahren entwickelt?

Am Anfang war die AfD eine Partei der Anti-Euro-Professoren, was bei manchen Unternehmern Anklang fand. Solche Euro-Kritiker zu integrieren, war für Union und FDP, die damaligen Regierungsparteien, nachvollziehbarerweise kaum möglich, aber politisch trotzdem folgenreich. Seit sich die AfD radikalisiert hat, haben die Unternehmer Reißaus genommen.

Theo Müller, der Eigentümer von Müller-Milch, nicht …

Ein in mancherlei Hinsicht schlechtes Beispiel. Die meisten Unternehmer, die vom Exportleben, verstehen, dass die AfD ihr Geschäft ruinieren würde.

Bezieht die Wirtschaft ausreichend Stellung gegen die AfD?

Die Wirtschaft muss Stellung beziehen – und tut das ja auch. Dabei ist Handeln an der Basis mutmaßlich nachhaltiger als Haltungskampagnen, die teils wohlfeil ausfallen. Also weniger die Fensterrede aus der Chefetage, die als belehrend empfunden werden könnte. Sondern mehr der Standortleiter, der klarmacht, welchen Beitrag die Kollegen mit Migrationsgeschichte leisten, welchen Ertrag Investitionen vor Ort haben, dass Arbeit Sinnstiftet. So schwierig Empathie im politischen und betrieblichen Alltag umzusetzen ist – sie ist das beste Mittel, um Radikalen das Wasser abzugraben.

Zum Interview auf rp-online.de

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