Dr. Hagen Lesch, Leiter des Kompetenzfelds Strukturwandel, Verteilung, Lohnfindung im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, über die verschiedenen Effekte eines Tarifabschlusses.

„Unterm Strich hat die Lohnpolitik seit Mitte der neunziger Jahre Augenmaß bewiesen“
Herr Lesch, warum sind Arbeitgeber und Gewerkschaften oft so uneins, wie stark die Löhne angehoben werden dürfen beziehungsweise müssen?
Weil sie unterschiedliche Maßstäbe haben: Aus Sicht der Arbeitgeberverbände verteuern höhere Personalausgaben die Produktion und verschlechtern die internationale Wettbewerbsfähigkeit – das geht letztlich zu Lasten der Beschäftigung. Aus Sicht der Gewerkschaften dagegen führen höhere Einkommen zu mehr Kaufkraft und damit zu mehr Produktion und zu mehr Beschäftigung.
Und was ist nun richtig?
Inwieweit das Kaufkraftargument zutrifft, hängt zum Beispiel davon ab, ob die Beschäftigten ihre höheren Einkommen überhaupt in Deutschland ausgeben oder lieber eine Fernreise buchen, also ihr Geld ins Ausland bringen.
Wie ist das Argument der Arbeitgeberseite einzuschätzen?
Wie sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens, einer Branche oder der Wirtschaft insgesamt entwickelt, hängt auch von der Produktivität ab. Ist diese gestiegen, können mit der gleichen Menge an Arbeit in derselben Zeit mehr Waren hergestellt oder Dienstleistungen erbracht werden. Angenommen, ein Unternehmen steigert seine Produktivität durch Investitionen in neue Maschinen um 2 Prozent, dann verteuert sich die Produktion solange nicht, wie der Anstieg der Löhne und Gehälter unter 2 Prozent bleibt. Wenn die Einkommenszuwächse deutlich höher ausfallen als der Produktivitätsfortschritt, geht das zu Lasten der Preisstabilität und der Beschäftigung. Erfreulicherweise war das in den letzten Jahren meist nicht der Fall.
Ist die Zahl der Arbeitsplätze deshalb gestiegen?
Unterm Strich hat die Lohnpolitik seit Mitte der neunziger Jahre Augenmaß bewiesen, das heißt, Tariflöhne und Arbeitskosten haben sich stark am Produktivitätsanstieg orientiert. Zusammen mit den Arbeitsmarktreformen der Jahre 2003 bis 2005 hat dies dazu beigetragen, die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland von fünf auf drei Millionen zu drücken. Außerdem hat die angemessene Lohnpolitik viele gut bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie gesichert. Deutschland hat nicht zuletzt deshalb einen deutlich höheren Industriebeschäftigtenanteil als Frankreich oder England.
Zum Interview auf www.wirtschaftundschule.de

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