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Hagen Lesch auf wdr.de Interview 4. Februar 2013

"Man kann sich schwer in der Mitte treffen"

Zunächst kein Streik bei Eon, aber ausgestanden ist der Tarifstreit noch nicht. Auch bei RWE laufen schwierige Tarifgespräche. Warum sind Einigungen bei den Energieriesen schwierig? Und wie sind die Stromkunden im Falle eines Streiks betroffen? Tarifexperte Hagen Lesch erklärt die Hintergründe.

Herr Lesch, mehr als 90 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten bei Eon haben dafür gestimmt, unbefristet ihre Arbeit niederzulegen - was würde für den Konzern bei einem so großen Streik auf dem Spiel stehen?

Der Schaden, den die Gewerkschaften mit einem unbefristeten Streik verursachen können, würde den Druck auf den Arbeitgeber massiv erhöhen und ihn eine Menge Geld kosten. Bei einem so weitreichenden Ausstand kann es zum Beispiel passieren, dass der Börsenkurs unter Druck gerät – das wäre auch eine Streikfolge, die das Management unter Druck setzen würde. Ein unbefristeter Streik ist das stärkste Mittel, das die Gewerkschaften haben. Er signalisiert allen: Wir tun jetzt das Maximale, um unsere Forderungen durchzusetzen. Im Vorfeld waren die Erwartungen der Mitglieder an diesen Tarifabschluss sehr hoch geschraubt worden, die bisherige Eskalation, die ein Votum für einen unbefristeten Streik gebracht hat, ist jetzt die Folge davon.

Wie kommt es, dass gerade in der privaten Energiewirtschaft die Fronten zwischen den Tarifparteien Verdi und IG BCE auf der einen und Eon und RWE auf der anderen Seite plötzlich so verhärtet sind?

Zum einen haben die Gewerkschaften in der privaten Energiewirtschaft in der Vergangenheit eher Lohnabschlüsse im oberen Bereich erzielt und sich daran auch ein wenig gewöhnt. Zum anderen sind die Arbeitgeber Eon und RWE gerade jetzt in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Beide haben Gewinneinbrüche hinnehmen müssen und ihre Prognosen für die zukünftige Geschäftsentwicklung zurückgefahren. Beide werden auf absehbare Zeit durch die Energiewende belastet sein. Die Einsicht, dass jetzt strukturell weniger zu verteilen ist, als das in Zeiten vor der Energiewende und Wirtschaftskrise der Fall war, haben die Gewerkschaften offenbar noch nicht erkannt.

Im Zuge des Stellenabbaus bei Eon sollen auch Abteilungen nach Rumänien ausgelagert werden, um Lohnkosten zu sparen. Sollten die Gewerkschaften nicht eher auf Beschäftigungssicherung setzen als auf ein sattes Plus auf dem Lohnzettel?

Die Forderung von 6,5 Prozent bei Eon klingt erst einmal sehr hoch, passt aber zu denen anderer Branchen. Es kann durchaus zur Verhandlungstaktik gehören, dass man bei beidem das Maximale fordert: Lohnerhöhung und dauerhafte Beschäftigungssicherung. Wenn die Tarifparteien ihre Verhandlungen wieder aufnehmen, kann man dann von der hohen Lohnforderung etwas abrücken, da etwas niedriger abschließen und dafür auf der anderen Seite bei der Beschäftigungssicherung einen besseren Kompromiss herausholen. Man weiß besonders aus der Zeit, in der die Arbeitslosigkeit in Deutschland hoch war, dass die Beschäftigten eher bereit sind, auf eine Gehaltssteigerung zu verzichten, wenn sie dafür einen sichereren Arbeitsplatz haben.

Wie können Tarifpartner aus einer so verfahrenen Situation wieder herausfinden?

Ein gesichtswahrender Kompromiss für beide Seiten ist bei Eon vielleicht am schwierigsten. Gerade beim Thema Auslagerung von Arbeitsplätzen oder Gründung neuer, nicht tarifgebundener Gesellschaften in Deutschland gibt es für beide Seiten nur zwei Möglichkeiten: Entweder ja oder nein, man kann sich nur schwer in der Mitte treffen. Einfacher wird es vielleicht bei RWE: Da ist die Gewerkschaft mit der Forderung von sechs Prozent und einer zehnjährigen Verlängerung der tariflichen Beschäftigungssicherung in die Verhandlung gegangen. Hier lässt sich leichter ein Kompromiss finden, indem man sich dann am Ende bei einer geringeren Lohnsteigerung und einer Beschäftigungssicherung trifft, die für deutlich weniger als zehn Jahre abgeschlossen wird. Außerdem können die Gewerkschaften hoffen, dass RWE angesichts der Eskalation bei Eon seine Kompromissbereitschaft weiter steigert und ein verbessertes Angebot macht.

Sollte es doch noch zu einem unbefristeten Streik kommen - was müssten die Gewerkschaften beachten?

Der Streik muss so angekündigt werden, dass der Arbeitgeber reagieren kann, denn die Stromversorgung muss gewährleistet bleiben. Der Energiekonzern müsste eventuell Strom zukaufen oder die Bundesnetzagentur einschalten, damit diese Reserven anzapft. Außerdem muss der Schaden, den der Arbeitskampf anrichtet, verhältnismäßig sein. Er darf nicht so groß ausfallen, dass das Unternehmen in seinem Bestand gefährdet oder sogar insolvent wird. Die Gewerkschaft muss die Wahl ihrer Mittel sorgfältig prüfen: Verursacht sie unverhältnismäßig hohe Schäden oder schädigt sie Dritte zu stark, muss sie das Ausmaß des Ausstandes zurückfahren.

Eon und RWE handeln traditionell Haustarifverträge mit den Gewerkschaften aus. Inwiefern kann das in der jetzigen Situation ein Nachteil sein?

In der privaten Energiewirtschaft haben die Haustarifverträge meist recht hohe Lohnabschlüsse zugelassen. Das sehen wir auch in anderen Branchen, wo Unternehmen eigene Haustarifverträge haben. Das liegt daran, dass der Haustarif die individuelle wirtschaftliche Stärke und Situation des Unternehmens stärker berücksichtigt als das beim Flächentarifvertrag möglich ist. Und in der Zeit vor der Krise sind die Gewinne bei Eon und RWE üppig gesprudelt. Beim Flächentarifvertrag dagegen ist es so, dass man stärkere und schwächere Unternehmen unter einen Hut bringen muss und die schwächeren sozusagen die Höhe der Lohnabschlüsse insgesamt für alle etwas dämpfen. Das ist beim Haustarifvertrag anders: Solange es da den Unternehmen gut geht, gehen die Löhne oft stärker nach oben. Aber wenn die Unternehmen wirtschaftlich schlechter dastehen, sitzen sie auf ihren hohen Lohnabschlüssen und kommen möglicherweise schlecht wieder von ihnen runter. Das kann dann ein großer Nachteil sein. Ein anderer Nachteil ist sicher, dass die Konflikte zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften bei Haustarifverträgen viel stärker auf die Ebene der einzelnen Unternehmen verlagert sind. Das hat vielleicht auch zu dieser Eskalation beigetragen, die wir jetzt bei Eon sehen.

Zum Interview auf wdr.de

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