Mit Blick auf den Tarifkonflikt zwischen Deutscher Bahn und GDL sprach sich IW-Tarifexperte Hagen Lesch auf WDR 2 für das von der Bundesregierung geplante Tarifeinheitsgesetz aus. Damit könnten die Gewerkschaften zur Kooperation gezwungen werden.

"Die Gewerkschaften brauchen Spielregeln"
Wie lange wird das mit dem Streik noch so weitergehen, in dieser Taktung? Wir reden jetzt von dem neunten Streik seit September letzten Jahres.
Das weiß niemand, wie lang das weitergeht. Das kann sich natürlich immer wieder hinziehen. Wenn die Tarifparteien nicht zusammenfinden, dann wird es immer wieder solche einwöchigen oder längeren Streiks geben.
Jetzt ist es so, dass der Personalvorstand der Bahn, Ulrich Weber, heute im ARD-Morgenmagazin gesagt hat, um 11.00 Uhr wolle man sich mit der GDL an einen Tisch setzen, für 13.00 Uhr ist auch schon eine Pressekonferenz anberaumt. Wie interpretieren sie das? Dass man jetzt schnell zu Potte kommt und vielleicht der Streik gar nicht stattfindet?
Das wäre zu hoffen. Es ist immer gut, wenn es wieder eine Gesprächsbereitschaft gibt. Denn das Problem besteht im Moment aus meiner Sicht gerade darin, dass irgendwie kein Vertrauen da ist und sich beide Seiten ständig missverstehen. Wir wissen natürlich vorher nicht, ob diesmal wieder neue Missverständnisse auftreten. Es wäre aus meiner Sicht durchaus hilfreich, wenn man mal eine dritte Person heranziehen würde, die einfach mal dafür sorgt, dass man nicht immer aneinander vorbeiredet. Aber immerhin, es ist ein Zeichen, und es ist zu hoffen, dass ein solcher Streik dann möglicherweise auch noch kurzfristig wieder abgesagt wird.
Hier kommt jetzt auch noch ein Vorschlag vom niedersächsischen Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) ins Spiel, der sagt, dass sich dringend die Politik einschalten muss. Es geht ja jetzt auch wirklich um was. Was ist von einem solchen Vorschlag zu halten?
Also, ich bin da etwas zurückhaltender. Es gibt ja so Begriffe wie Zwangsschlichtung. Das höre ich gar nicht gern. Obligatorische Schlichtung hört sich schon etwas besser an, also einfach die Verpflichtung, dass man, wenn man sich nicht einigt und überhaupt nicht zurecht kommt, automatisch einen Schlichter heranzieht, bevor man eben zum Streik greift. Eine andere Möglichkeit sehe ich darin, das Tarifeinheitsgesetz zu verabschieden, was die Bundesregierung ja plant, weil dieses Gesetz eigentlich recht zielgerichtet auf diese Rangelei zwischen Gewerkschaften Bezug nimmt. Das ist ja das Problem dieser Auseinandersetzung, dass sich die Gewerkschaften untereinander nicht darüber einig werden, wer wen vertritt. Und dieses Tarifeinheitsgesetz würde dann eben eine gewisse Spielregel aufstellen, nämlich die große hat zunächst Vorrang, wenn die Gewerkschaften sich nicht einigen. Das könnte auch zumindest diesen Konflikt bei der Bahn ein Stück weit befrieden helfen.
Also wäre es schon Zeit für die Politik, sich ein bisschen einzumischen?
Ja, das muss man sehen. Es gibt halt diese zwei Stellschrauben Arbeitskampfrecht und Tarifeinheitsgesetz. Ich favorisiere eigentlich eher die aus meiner Sicht mildere Variante, dieses Tarifeinheitsgesetz. Die Gewerkschaften müssen Spielregeln haben, damit sie kooperieren. Wenn das dann nicht hilft - wir haben natürlich auch andere Konflikte, beispielsweise bei den Piloten, da hilft mir das Tarifeinheitsgesetz auch nicht viel -, dann kann man darüber nachdenken. Aber das Problem ist, wir haben kein gesetzliches Arbeitskampfrecht. Das ist Rechtsprechung, und der Gesetzgeber traut sich da halt auch nicht heran, ein großes Gesetz zu verabschieden.
Zum Interview auf wdr2.de

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