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Axel Plünnecke in der Braunschweiger Zeitung Interview 18. Mai 2015

Das industrielle Herz schlägt hier

Die Region Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter ist als technisch orientierte Region stark, schreibt IW-Bildungsökonom Axel Plünnecke. Durch die TU Braunschweig beispielsweise werden angehende Ingenieure schon früh an die Region gebunden.

Viele beklagen den Fachkräftemangel, andere behaupten, es gebe ihn gar nicht. Was trifft zu?

Wir haben keinen generellen Fachkräftemangel, aber Engpässe in einzelnen Berufen. In Gesundheits- und Technikberufen dauert es heute länger, eine Stelle zu besetzen, als früher. Und das Problem wird sich weiter verschärfen.

Von 2025 bis 2035 gehen sehr geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand, geburtenschwächere kommen nach. In Deutschland sind derzeit 13,4 Millionen Menschen im Alter von 45 bis 54 Jahren. In zehn Jahren werden sie beginnen, in den Ruhestand zu wechseln. Es gibt im Moment aber nur 7,2 Millionen Menschen im Alter von 5 bis 14 Jahren, die sie dann ersetzen müssen. Es wird ein großes Problem für die Unternehmen, die Lücken ab dem Jahr 2025 zu schließen.

Wie stark wird der Fachkräftemangel Niedersachsen treffen?

Niedersachsen liegt derzeit im Bundesdurchschnitt. Innerhalb des Landes gibt es aber unterschiedliche Profile. Die Region Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter ist als technisch orientierte Region stark – mit ihrer Autoindustrie und den Zulieferern. Das spiegelt sich auch bei den Ausbildungsstätten wieder. Durch die TU Braunschweig beispielsweise werden angehende Ingenieure schon früh an die Region gebunden. Bei Ingenieuren gibt es daher in dieser Region also keinen Nachholbedarf. Bei Ausbildungsplätzen hingegen dürften Engpässe auftreten.

Wie sieht es in anderen Branchen aus, beispielsweise der Pflege?

In den Pflege- und Gesundheitsberufen sind die Engpässe heute schon da – und sie werden weiter wachsen, da immer mehr Menschen Pflege benötigen.

Was können Wirtschaft und Politik tun, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken?

Politik und Wirtschaft haben in den vergangenen Jahren bereits einige Stellschrauben positiv verändert, sodass der Fachkräftemangel im Moment geringer ist als man ihn noch vor fünf Jahren erwartet hatte. Wir haben eine starke Zuwanderung. Das hat die Fachkräftesituation für die Unternehmen in Deutschland verbessert. Gleichzeitig sind Ältere deutlich länger im Beruf, als das noch vor fünf Jahren der Fall war. Den Engpass an Ingenieuren hat auch der Zustrom an die Universitäten reduziert.Ein Thema, das gerade diskutiert wird, ist, wie stark Deutschland sich als Einwanderungsland positionieren will. Das andere ist die Lebensarbeitszeit, die Rente mit 67, die von der Großen Koalition eingeführt wurde. Ein weiterer Weg ist, Müttern über Ganztagsbetreuungsangebote für ihre Kinder berufliche Perspektiven zu schaffen.

Sie sprechen das erhöhte Renteneintrittsalter an. Was sagen Sie zu der Idee einer 35-Stunden-Woche für Eltern?

Wir haben uns angeschaut, welche Qualifikationen das betrifft. Angenommen, die Väter reduzierten ihre Arbeitszeit auf 35 Stunden, die Mütter erhöhten sie auf 32 Stunden. Dann hätten wir Gewinne an Qualifikationen vor allem im Gastgewerbe, im Einzelhandel und in der Pflege. Einen Verluste an Fachkräften hätten wir im Bereich Bau, Metall und Elektro. Das hätte auch Einfluss auf die Einkommen der Familien. Die Metall- und Elektroindustrie zahlt deutlich besser, als es das Gastgewerbe kann.

Würden Sie also von der Einführung einer 35-Stunden-Woche abraten?

Ich denke man sollte die Bedingungen für Familien generell verbessern. Über eine gute und verlässliche Betreuung, über Ganztagsschulen und Kita-Öffnungszeiten, die es Familien erlauben, ihre Wünsche umzusetzen. Da, wo Großeltern nicht vor Ort leben, ist das besonders wichtig.

Die Eltern müssen aber auch da sein. Welche Prognosen gibt es bezüglich der Abwanderung im ländlichen Raum in unserer Region?

Die Region um Braunschweig und Wolfsburg fällt in Niedersachsen als industrielles Herz auf. Aus gesamtdeutscher Perspektive ist sie sehr erfolgreich. Sie hat durch eine starke Autoindustrie, Zulieferer und Forschungsinstitute eine Ausstrahlung bundesweit, auch über den Export. Auch wenn die Bevölkerung in Deutschland schrumpft, über den Export kann die Region über die Unternehmen weiter vom wachsenden Weltmarkt profitieren und weiter attraktive Arbeitsplätze anbieten.

Blicken wir 50 Jahre in die Zukunft – droht ein Aussterben unserer Landkreise zugunsten der Städte?

Es werden sich sicher Landkreise zusammenlegen. Das kann aus ökonomischen Gründen sinnvoll sein.

Aber trotz der größeren Verwaltungseinheit wird es aber doch trotzdem weniger Einwohner geben.

Deutschland wird schrumpfen, das ist klar. Die Zahl der Geburten geht zurück, aber die Zahl der Einwanderungen ist groß. Die Hochschulen sind dabei ein wichtiger Integrator. Ungefähr die Hälfte der ausländischen Studenten bleibt nach dem Studium in Deutschland. Zudem haben wir bereits viele Unternehmen, in denen Zuwanderer arbeiten. Das ist eine große Chance, denn Zuwanderer gehen dort hin, wo sie Netzwerke haben, also wo andere Zuwanderer wohnen.

Wie kann die Region noch attraktiver für Zuwanderer werden?

Zunächst ist es wichtig, dass die Akteure zusammenarbeiten, auch in der Politik. Und das passiert bereits. Die Regionen beginnen, sich gemeinsam zu vermarkten.

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