Rekordinflation, gestörte Lieferketten, hohe Energiepreise: Selten gab es so viele wirtschaftliche Unsicherheiten wie derzeit, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für HNA.de.
Konjunktur: Wirtschaft im Dauer-Krisenmodus
Die deutsche Wirtschaft erlebt erneut ein historisch gemessen herausforderndes Jahr. Noch immer hat die Corona-Pandemie Folgen, vor dem Hafen Shanghais stauen sich die Schiffe und bringen weltweit die Versorgung mit Gütern und Rohstoffen aus dem Takt. Niemand weiß, wie lange der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine noch andauert und welche Ausmaße er erreicht.
In der Folge steigen europaweit die Preise, für Lebensmittel genauso wie für Energie und unverzichtbare Rohstoffe. Das Statistische Bundesamt vermeldet Monat für Monat neue Inflations-Rekordwerte. Für das aktuelle Jahr prognostiziert das IW gerade einmal 1 ¾ BIP-Wachstum. Der humanitäre Schrecken steht noch einmal auf einem völlig anderen Blatt.
Gestörte Lieferketten und hohe Energiepreise als große Herausforderungen
Um bei den ökonomischen Herausforderungen zu bleiben: Selten waren sie so vielfältig wie derzeit, selten gab es so viele Unsicherheiten. Über alle Branchen hinweg leiden Unternehmen unter starken Preissteigerungen für Energie: Der Preis für Kohle ist zwischen Ende Februar und Ende April um 361 Prozent gestiegen, der Dieselpreis um 110 Prozent und der Erdgaspreis sogar um fast 443 Prozent.
Hinzu kommt, dass viele Lieferketten gestört, einzelne Rohstoffe schwer oder vorübergehend gar nicht lieferbar sind. Diese Faktoren haben Auswirkungen auf den Staatshaushalt: In diesem Jahr verzeichnet er ein Defizit von rund 95 Milliarden Euro. Das liegt vor allem an den Mehrausgaben, um die Folgen der Pandemie abzufedern, aber auch an den Folgen des Ukrainekriegs. Zwar ist das finanzierbar, ohne dass die Schuldenstandquote steigt, allerdings gibt es immer weniger Spielräume – mehr Sozialversicherungsausgaben lassen sich im kommenden Jahr nur mit höheren Beitragssätzen finanzieren.
Wirtschaft: Sorge vor Gasembargo – doch es gibt auch gute Nachrichten
In dieser stürmischen Zeit befeuert ein drohendes Gasembargo weitere Sorgen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte jüngst, der Markt könne einen Ausfall der Gaslieferungen aus Russland kompensieren, es gäbe alternative Liefermöglichkeiten. Wie das kurzfristig aussehen würde, ist noch unklar. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass es für viele Industrieunternehmen schwierig oder sogar unmöglich ist, kurz- bis mittelfristig Gas als Energieträger komplett zu ersetzen – das gilt beispielsweise für die Papiererzeugung, die Glasproduktion oder die Grundstoffchemie.
Immerhin gibt es auch in diesen Zeiten noch gute Nachrichten: Der Arbeitsmarkt hat die Folgen der Corona-Pandemie weitestgehend überwunden, die Erwerbstätigkeit steigt um mehr als ein Prozent – setzt sich diese positive Entwicklung im nächsten Jahr fort, könnte hier ein neuer historischer Höchststand erreicht werden. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Stabilitätsanker nicht durch eine globale Rezession gefährdet wird, deren Wahrscheinlichkeit sich mit Blick auf China, aber auch auf die USA zuletzt merklich erhöht hat.
Zum Gastbeitrag auf hna.de
„Wir müssen die Struktur neu denken”
Wie kommt die deutsche Wirtschaft wieder voran? Zu dieser Frage war IW-Direktor Michael Hüther zu Gast bei Maybrit Illner und diskutierte mit Wirtschaftsminister Robert Habeck, Politologin Nicole Deitelhoff und Wirtschaftshistoriker Adam Tooze.
IW
IW-Konjunkturprognose Winter 2024: Es wird nicht besser
Die deutsche Wirtschaft kommt nicht vom Fleck. Die Stabilität im Dienstleistungssektor reicht gerade so aus, um die fortgesetzten Rückgänge im Industrie- und Baubereich zu kompensieren. Trotz der merklich angestiegenen Realeinkommen bleiben der private Konsum ...
IW