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Michael Hüther in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Gastbeitrag 7. November 2021

Was tun gegen die Stagflation?

Der Staat muss die Wirtschaft mit Klimahilfen und Steuerentlastungen ankurbeln, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Am 26. Okto­ber titel­te die F.A.Z.: „Deutsch­land steht vor der Stag­fla­ti­on“. Die warnen­den Stim­men vor einem wirt­schaft­li­chen Abschwung bei gleich­zei­ti­ger Infla­ti­on nehmen ange­sichts unge­wohnt hoher Preis­stei­ge­run­gen zu. Die Stag­fla­ti­on, die mit dieser Kombi­na­ti­on gemeint ist, ist indes kein kurz­fris­ti­ges Phäno­men. Sie spie­gelt eine länger anhal­ten­de Stockung des Wachs­tums bei einem ebenso anhal­ten­den Infla­ti­ons­druck wider. In den 1970er-Jahren resul­tier­te dies aus einem Vorlauf höhe­rer Infla­ti­ons­ra­ten, der Über­ra­schungs­in­fla­ti­on durch die Ölver­knap­pung 1973 und einer Über­for­de­rung der Unter­neh­men im beschleu­nig­ten Struk­tur­wan­del im Zeichen der Auto­ma­ti­sa­ti­on.

Eini­ges unter­schei­det die Situa­ti­on damals von der Lage heute. Die damals expan­si­ve Lohn- und Finanz­po­li­tik entsprach nicht der Konjunk­tur, während sich die Noten­ban­ken nach dem Ende des Welt­wäh­rungs­sys­tems von Bret­ton Woods erst Repu­ta­ti­on im Kampf gegen die Infla­ti­ons­ge­wöh­nung erar­bei­ten muss­ten. Die Einsicht, dass ein Preis­ver­fall keine Proble­me löst, sondern allen­falls vertagt, setzte sich erst später durch. Die Libe­ra­li­sie­rung des inter­na­tio­na­len Kapi­tal­ver­kehrs begann ebenso wie die Ära der beschleu­nig­ten Globa­li­sie­rung erst nach 1980. Damit einher gingen neue Wachs­tums­mög­lich­kei­ten, und aus Kosten­vor­tei­len sowie Markt­in­te­gra­ti­on in wett­be­werb­li­chen Märk­ten erga­ben sich anhal­tend Preis­vor­tei­le für die Konsu­men­ten.

Wie ist es heute? Nehmen wir zuerst die Gründe für stei­gen­de Preise in den Blick. Die aktu­el­len Proble­me in den Liefer­ket­ten und Logis­tik­sys­te­men werden sich abseh­bar auflö­sen. Dauer­haft aber können zwei Trei­ber die Infla­ti­ons­er­war­tun­gen verän­dern: der stei­gen­de CO2-Preis sowie stei­gen­de Kosten der inter­na­tio­na­len Arbeits­tei­lung durch Protek­tio­nis­mus, Lohn­druck in Schwel­len­län­dern, trend­mä­ßig stei­gen­de Rohstoff­prei­se und Inves­ti­tio­nen in Cyber­se­cu­ri­ty. Allein der CO2-Preis­ef­fekt kann bis 2025 die Infla­ti­ons­ra­te in Deutsch­land um bis zu 0,5 Prozent­punk­te jähr­lich erhö­hen. Ähnlich dürfte es in der Euro­zo­ne insge­samt sein.

Diese Fakto­ren entzie­hen sich der Kontrol­le der Noten­bank. Das Still­hal­ten der EZB ist so lange ange­mes­sen, wie die Lohn­po­li­tik keine Über­wäl­zung orga­ni­siert oder aus ande­ren Grün­den die Lohn­stück­kos­ten nach oben treibt. Das mag sich durch die Alte­rung der Bevöl­ke­rung und den Fach­kräf­te­man­gel erge­ben, der zuneh­mend Knapp­heits­prä­mi­en auf dem Arbeits­markt verur­sacht. Gleich­zei­tig beob­ach­ten wir, dass sich die gestärk­te Posi­ti­on der Beschäf­tig­ten nicht auto­ma­tisch im Barlohn nieder­schlägt, sondern etwa in mehr Zeit­sou­ve­rä­ni­tät. Künf­tig könn­ten die Beschäf­tig­ten die Sicher­heit ihrer Arbeits­plät­ze zudem stär­ker gewich­ten als höhere Lohn­ab­schlüs­se. So oder so: Die Lohn­po­li­tik sollte auf die Real­ein­kom­mens­ef­fek­te der CO2-Beprei­sung nicht reagie­ren, würde sie doch andern­falls die Kosten der Unter­neh­men auf dem Weg zur Klima­neu­tra­li­tät stei­gern und die Anpas­sung so erschwe­ren.

Wie aber steht es aktu­ell um die Voraus­set­zun­gen für die wirt­schaft­li­che Entwick­lung? Die Dyna­mik der Welt­wirt­schaft stärk­te bislang über höhere Unter­neh­men­ser­trä­ge die Inves­ti­tio­nen und stütz­te das Wachs­tum. Dass die Inves­ti­tio­nen in neue Anla­gen trotz­dem noch gering sind, kann man als vorüber­ge­hen­de Folge der Corona-Pande­mie bewer­ten. Der zentra­le Unter­schied zu den 1970er-Jahren ist jedoch die demo­gra­phi­sche Entwick­lung. Die Alte­rung der Gesell­schaft schwächt die Produk­ti­vi­tät und kostet Wachs­tum, im Trend einen halben Prozent­punkt im Jahr. Die Produk­ti­vi­täts­ef­fek­te effi­zi­en­ter globa­ler Wert­schöp­fungs­ket­ten wieder­um sind ange­sichts stagnie­ren­der globa­ler Inte­gra­ti­on erschöpft.

Der Umbau der Wirt­schaft zur Klima­neu­tra­li­tät wird gewal­ti­ge Inves­ti­tio­nen erfor­dern, von denen nur dann ein Wachs­tums­im­puls ausge­hen kann, wenn die Rahmen­be­din­gun­gen verläss­lich, stim­mig und global orches­triert sind. Zudem voll­zieht sich die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on der Geschäfts­mo­del­le nicht reibungs­los. Mehr als die Hälfte der Unter­neh­men sehen Hemm­nis­se, weil sie den Nutzen dieser Trans­for­ma­ti­on nicht erken­nen und weil Fach­kräf­te fehlen. Ähnlich wie einst die Auto­ma­ti­sa­ti­on droht nun die Digi­ta­li­sie­rung beson­ders für kleine und mitt­le­re Firmen zu einer Über­for­de­rung zu werden.

Aus dieser Melan­ge von höhe­ren Infla­ti­ons­ri­si­ken und poten­ti­ell schwä­che­rem Wachs­tum kann bei allen Unter­schie­den zwischen den 1970ern und heute tatsäch­lich wieder eine Stag­fla­ti­on resul­tie­ren. Umso mehr würde das gelten, wenn die Noten­bank eine Preis-Lohn-Preis-Spira­le bekämp­fen müsste. Deshalb braucht es, wie in den 1970er Jahren, ein geord­ne­tes Mitein­an­der der makro­po­li­ti­schen Akteu­re. Damit Geld­po­li­tik und Lohn­po­li­tik trotz verän­der­ter Infla­ti­ons­aus­sich­ten neutral blei­ben können, muss die Finanz­po­li­tik ihrer grund­sätz­lich neuen Verant­wor­tung gerecht werden.

Sie muss einer­seits die Stimu­lie­rung priva­ter Inves­ti­tio­nen für ein stär­ke­res Wachs­tum in den Mittel­punkt rücken. Das verlangt steu­er­po­li­ti­sche Impul­se wie Super­ab­schrei­bun­gen mit einem über den Anschaf­fungs­kos­ten liegen­den Abschrei­bungs­wert sowie die Abschaf­fung des zur Unter­neh­mens­son­der­steu­er gewor­de­nen Rest-Soli, dazu schnel­le­re Planungs- und Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren und eine ange­mes­se­ne Infra­struk­tur. Dafür sind hohe staat­li­che Ausga­ben nötig. Schul­den­brem­sen­kon­form lassen diese sich durch Inves­ti­ti­ons­ge­sell­schaf­ten oder einen recht­lich selb­stän­di­gen Fonds über Kredi­te finan­zie­ren. Es geht dabei um eine Renais­sance der ange­bots­ori­en­tier­ten Wirt­schafts­po­li­tik mit verläss­li­chen Bedin­gun­gen.

Ande­rer­seits muss die Finanz­po­li­tik die Vertei­lungs­fol­gen der Klima­po­li­tik ernst nehmen. Einkom­mens­schwa­che priva­te Haus­hal­te können über das Wohn­geld und ein Mobi­li­täts­geld unter­stützt werden. Dass kein Haus­halt durch die Effek­te der CO2-Beprei­sung in die Grund­si­che­rung rutscht, wäre eine plau­si­ble Schwel­le für sozi­al­po­li­ti­sche Eingrif­fe. So ließe sich zudem die Lohn­po­li­tik entlas­ten. Zusam­men mit der Wachs­tums­stra­te­gie öffnet das der Geld­po­li­tik den Frei­raum, nicht restrik­tiv werden zu müssen.

Das veri­ta­ble Risiko einer Stag­fla­ti­on in den kommen­den Jahren ruft nach einem makro­öko­no­mi­schen Poli­tik­de­sign, das lange obso­let erschien. Der Konflikt zwischen Lohn­po­li­tik und Geld­po­li­tik schien endgül­tig aufge­löst: Sinken­de Arbeits­lo­sig­keit führte nicht mehr zu einem Anstieg der Lohn­stück­kos­ten. Das kann sich nun ändern. Daher ist nun die Finanz­po­li­tik gefor­dert, bei ihr liegt der Schlüs­sel. Den inves­ti­ti­ons­po­li­ti­schen Spiel­raum dazu hat sie, solan­ge das Zins­ni­veau für lang­lau­fen­de Bundes­an­lei­hen unter dem Trend der gesamt­wirt­schaft­li­chen Dyna­mik liegt.

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