Die Rufe nach der Vier-Tage-Woche verhallen seit Jahren nicht – dabei ist die Lage ökonomisch völlig klar: Das deutsche Wirtschaftssystem droht angesichts des Arbeitskräftemangels schon jetzt an seine Grenzen zu stoßen, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für den Merkur. Um den demografischen Wandel abzufedern, müssen wir mehr arbeiten, nicht weniger, mahnt er.
Vier-Tage-Träumerei
Die Idee der Vier-Tage-Woche gehört zu den wohl langlebigsten und beliebtesten Utopien unserer Zeit. Nach der IG Metall bringt nun auch die SPD den Vorschlag erneut in die Diskussion ein – völlig ungeachtet der ökonomischen Fakten.
Dabei gilt längst: Wer im Rahmen einer Vier-Tage-Woche arbeiten möchte, kann dies jederzeit mit dem Arbeitgeber vereinbaren, unter der Prämisse, dass exakt vier Tage bezahlt werden. Das ist Teil der Tarifautonomie und sogar via Gesetz festgelegt. Die Verfechter der Vier-Tage-Woche wünschen sich aber meist ein anderes Szenario: Gemeint ist weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Damit das funktioniert, müssten in Deutschland flächendeckend Produktivitätsreserven schlummern, die Arbeitgebern gezielt vorenthalten werden, konkret: Die Arbeitsproduktivität müsste sich ohne Probleme um 25 Prozent steigern lassen. Wer solche Reserven in seinen Arbeitsprozessen versteckt hält, sollte diese lieber in einer Fünf-Tage-Woche heben, das würde mehr Wohlstand bedeuten und zugleich den Fachkräftemangel bekämpfen.
Vier-Tage-Woche: Viele Fragezeichen hinter britischer Studie
Wenig hilfreich in der Debatte ist auch die britische Studie, die vor einigen Monaten veröffentlicht wurde. Viele Medien berichteten verkürzt, und so war vielfach zu lesen, dass es nun einen wissenschaftlich fundierten Beweis für gestiegene Produktivität bei weniger Arbeit gebe. Nur: Die Produktivität wurde gar nicht gemessen, sondern lediglich der Umsatz – und auch diese Angabe machte nur jedes zweite Unternehmen. Der Umsatz wiederum ist in diesem Zusammenhang keine aussagekräftige Größe, schließlich lässt sich dieser auch konstant halten, indem externe Leistungen zugekauft werden.
Hinzu kommt: Die Betriebe, die an der Studie teilgenommen haben, waren nicht repräsentativ ausgewählt, sondern haben sich für das Thema interessiert und für die Studie beworben. Die überwiegende Mehrheit der 61 Unternehmen waren Dienstleister mit Bürotätigkeit, lediglich drei Industrieunternehmen waren dabei, entsprechend wenig aussagekräftig sind die Ergebnisse.
Vier-Tage-Woche: Schon jetzt fehlen hunderttausende Fachkräfte
Das größte Problem an der Vier-Tage-Träumerei ist aber ein gesamtwirtschaftliches. Die großen Herausforderungen in der aktuellen und der kommenden Dekade sind der demografische Wandel und seine Folgen. Schon jetzt fehlen Unternehmen hunderttausende qualifizierte Fachkräfte, Tendenz steigend. Dadurch wächst der Druck auf unsere Sozialsysteme: Kamen Anfang der 1960er Jahre noch sechs Erwerbstätige auf einen Rentner, waren es 2021 gerade einmal rund zwei. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht, bis 2030 rechnen wir sogar damit, dass drei Millionen Menschen weniger arbeiten als heute, darunter viele Babyboomer. Damit fehlen uns 4,2 Milliarden Arbeitsstunden.
Forderung nach Vier-Tage-Woche: Mehr arbeiten statt weniger
Diese Lücke gilt es zu schließen, daran ändern New-Work-Trends und Wunschszenarien wenig. Ein bis zwei Stunden mehr pro Woche wären keine nennenswerte Umstellung und würden das System zumindest ein wenig entlasten. Als Vorbild könnte hier Schweden oder die Schweiz dienen: Die einen arbeiten eine Stunde mehr als wir, die anderen sogar zwei Stunden. Beide Nationen haben eine tendenziell sogar etwas höhere Lebenserwartung als Deutschland und sind darüber hinaus auch nicht unglücklicher.
Es nutzt also nichts, diese ökonomischen Wahrheiten aus Motiven wie Stimmenfang oder Mitgliederwerbung zu ignorieren: Die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ist eine gefährliche Utopie, die mit der gesamtwirtschaftlichen Realität nicht in Einklang zu bringen ist. Die Verfechter sind gut damit beraten, sich neue, vernünftigere Themenfelder zu suchen.
Zum Gastbeitrag auf merkur.de
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