Veränderungen hat es immer gegeben, die berufliche Bildung hält Schritt – sie wird es auch mit der Digitalisierung tun, schreibt IW-Ökonom Michael Zibrowius in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Keine Angst vor der Ausbildung
Wie wird die Digitalisierung unseren Alltag und die Lern- und Arbeitswelt verändern? Das fragen sich nicht nur viele Beschäftigte und die zuständigen Ministerien, sondern auch die Personalabteilungen zahlreicher Unternehmen. Viele Mitarbeiter sorgen sich, durch Roboter ersetzt zu werden. Geht die Reise hin zu einer hochqualifizierten, akademisch geprägten Arbeitswelt oder liegt der Schlüssel zur erfolgreichen Gestaltung der 4. industriellen Revolution in einer Renaissance der Facharbeiterausbildung?
Zumindest die Statistiken zeigen einen eindeutigen Trend hin zu höheren Abschlüssen: Während die Zahl der Auszubildenden tendenziell zurückgeht, verdoppelte sich die Zahl der neu eingeschriebenen Studierenden in den vergangenen 20 Jahren. Mittlerweile gibt es fast genauso viele Studienanfänger wie Starter einer dualen Ausbildung. Bei manchen Kritikern schrillen schon die Alarmglocken: Schnell ist die Rede vom „Akademisierungswahn“, bei dem wichtige Kompetenzen verlorengehen. Die deutschen Unternehmen brauchen schließlich nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch Personen, die es praktisch umsetzen können.
Die Gretchenfrage, welcher Bildungsweg nun die besseren Zukunftsaussichten bietet, lässt sich mit einem einfachen Blick auf die Absolventenzahlen nicht beantworten. In einem aktuellen Debattenbeitrag in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 20. Februar) argumentiert der Ifo-Forscher Ludger Wößmann, dass die Absolventen einer Ausbildung zwar schnell und problemlos eine feste Anstellung fänden. Jedoch ginge mit der dualen Ausbildung ob ihrer Spezialisierung die Gefahr einer beruflichen Sackgasse einher. Im späteren Erwerbsleben mache sich vielmehr die breitere Ausrichtung einer eher allgemeinbildenden akademischen Ausbildung bezahlt. Studien zeigen: In Ländern mit einem ausgeprägten dualen Berufsbildungssystem liegt die durchschnittliche Erwerbstätigenquote von Akademikern bereits vom Alter von 44 Jahren an über der von beruflich Qualifizierten. Allerdings stellt Deutschland eine Ausnahme dar. Hierzulande überholen Akademiker Facharbeiter erst im Alter von 63 Jahren – kurz vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben also.
Außerdem belegen aktuelle Beschäftigungsdaten: Die Situation von beruflich Qualifizierten am Arbeitsmarkt ist gut. Ihre Arbeitslosenquote beträgt lediglich 4,6 Prozent. Und die Erwerbslosigkeitsquote der beruflich Fortgebildeten – also Meister, Techniker und Fachwirte – liegt mit 1,8 Prozent sogar noch unter dem Wert von Akademikern (2,5 Prozent). Die Aussage, dass junge Menschen im deutschen dualen System eventuell auf eine Sackgasse zusteuern, stimmt also definitiv nicht.
Natürlich gibt es in der beruflichen Ausbildung noch weitere Potentiale, beispielsweise fehlt den beruflichen Schulen eine Strategie, ihre Schüler auf die Anforderung der Digitalisierung noch besser vorzubereiten. Das gilt auch für eine entsprechende Fortbildung der Lehrkräfte. Zum anderen erscheint eine Ausbildung vielen Jugendlichen – allen Imagekampagnen zum Trotz – einfach nicht attraktiv, selbst wenn sie mit einem Bachelorabschluss im Zweifel weniger verdienen als mit einer hochwertigen Ausbildung, etwa zum Chemielaboranten oder Mechatroniker.
Auch die Ausbildungsinhalte selbst müssen sich an den technologischen Wandel anpassen. So ist aus dem Beruf des Schriftsetzers der Mediengestalter Digital und Print hervorgegangen. Das ist nichts Neues, Veränderungen gab es im Wirtschaftsleben schon immer, wobei die berufliche Bildung bislang stets Schritt gehalten hat. Wenn einzelne Berufe an Bedeutung verlieren oder gar verschwinden, entstehen neue – ein gutes Beispiel dafür ist auch der Erfolg der IT-Ausbildungsberufe, die es seit Mitte der 1990er Jahre gibt.
Genauso wenig droht die Gefahr einer zu starken Spezialisierung. Die Sozialpartner legen in allen Ausbildungsordnungen großen Wert darauf, genau das zu vermeiden. Davon profitieren nicht nur die Auszubildenden, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen, die zum Teil gar nicht in der Lage sind, sehr detaillierte technische Anforderungen zu erfüllen. So erlernen beispielsweise Industriemechaniker die Herstellung, Instandhaltung und Überwachung von technischen Systemen. Dies muss aber nicht zwangsläufig an einem 3D-Drucker erfolgen, den nur die wenigsten Betriebe besitzen.
Außerdem können Absolventen durch eine Aufstiegsfortbildung zum Meister oder Fachwirt ihre Kompetenzen erweitern und verantwortliche oder leitende Aufgaben übernehmen – das mindert die Gefahr, wegen einer zu starken Spezialisierung in einer Sackgasse zu landen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ansätze, die strikte Trennung von beruflicher und akademischer Bildung aufzubrechen und das Bildungssystem durchlässiger zu gestalten. So haben Auszubildende in Hessen neuerdings die Möglichkeit, im Anschluss an ihre Lehre direkt an einer Hochschule zu studieren – auch ohne Abitur.
Das duale System schickt seine Absolventen also weder aufs Abstellgleis noch in eine berufliche Sackgasse. Das ist die Botschaft, die wir unseren Schulabsolventen mit auf den Weg geben sollten: Es kommt weniger auf die Wahl zwischen Ausbildung und Studium an als vielmehr auf die eigenen Neigungen und Interessen sowie auf das Tätigkeitsfeld, um die berufliche Karriere zu entwickeln. Michael Zibrowius
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