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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (© Foto: GettyImages)
Jürgen Matthes auf Focus Money online Gastbeitrag 28. Mai 2020

Taschenspielertricks und mehr: Am Hilfsplan der EU-Kommission sind Korrekturen nötig

Die Europäische Kommission hat einen ambitionierten europäischen Rettungsplan geschnürt, um die Folgen der Coronakrise abzufedern. Mit einem Hilfspaket von 750 Milliarden Euro (davon 500 Milliarden EU an Transfers) ist das ein großer Wurf und deshalb gutzuheißen. An einigen Punkten herrschen jedoch Missverständnisse und es sind Korrekturen nötig, schreibt IW-Ökonom Jürgen Matthes in einem Gastbeitrag für Focus Money online.

Der hohe Transferanteil von zwei Dritteln belastet zukünftige EU-Haushalte stark und könnte gesenkt werden.

Die 500 Milliarden Euro an Transfers sollen über den EU-Haushalt ab 2028 zurückgezahlt werden. Es ist richtig, dass dafür ein 30-jähriger Zeitraum bis 2058 vorgesehen ist. Damit kann die Inflation die reale Belastung zukünftiger EU-Haushalte mindern. Doch gleichwohl kommt es zu einer erheblichen Last, wie die folgende vereinfachte, aber dafür nachvollziehbare Berechnung zeigt:

Wenn die Tilgung der 500 Milliarden Euro über 30 Jahre per Annahme gleichmäßig verteilt wird, müssen jedes Jahr rund 17 Milliarden Euro aufgebracht werden. Hinzu kommen anfangs noch rund 2,5 Milliarden an Zinsen, wenn man einen Kreditzins von nur 0,5 Prozent annimmt. Zusammen sind das gut 19 Milliarden Euro pro Jahr.

Diese Summe lässt sich mit dem bisherigen EU-Haushaltsvolumen von rund 150 Milliarden Euro pro Jahr vergleichen, das durch die Inflation in den nächsten Jahren natürlich größer wird. Bei einer angenommenen jahresdurchschnittlichen Inflationsrate von 1,8 Prozent würden aus den heutigen 150 Milliarden Euro im Jahr 2028 rund 173 Milliarden Euro. Damit würden die rund 19 Milliarden Euro einen erheblichen Anteil von rund 11 Prozent am EU-Haushalt von 2028 ausmachen. Ein anderer Vergleich macht die Last noch deutlicher. Im laufenden EU-Haushalt werden für Forschung und Innovation, Infrastruktur und digitale Investitionen gut 20 Milliarden pro Jahr im Durchschnitt ausgegeben, also nur wenig mehr als die 19 Milliarden an Schuldenlast.

Wenn man den Transferanteil von zwei Drittel auf ein Drittel senken würde, ließe sich die Belastung zukünftiger EU-Haushalte auf die Hälfte senken. Bis 2058 würde eine Inflation von 1,8 Prozent den Anteil von rund 11 Prozent übrigens auch halbieren. Das zeigt zwar die Kraft der Inflation. Doch im Jahr 2028 wird man trotzdem vor schweren Entscheidungen stehen.

Zinsgünstige Kredite sind nicht so schädlich wie oft unterstellt.

Eine Halbierung des Transferanteils würde bedeuten, dass der Kreditanteil auf zwei Drittel und damit 500 Milliarden steigt. Es wird oft behauptet, dass neue Kredite für hochverschuldete Staaten wie Italien nicht tragbar seien. Doch eine Schuldentragfähigkeitsanalyse des IW zeigt, dass diese Sorge überzogen ist. Zumindest dann, wenn Italien mittelfristig nur ein geringes reales Wachstum von 0,7 Prozent pro Jahr und eine geringe Inflation von 1,3 Prozent erreicht und wenn durch zinsgünstige Hilfskredite die Zinsen auf die italienische Staatsschuld niedrig gehalten wird.

Die Schulden der Mitgliedstaaten steigen aus ökonomischer Sicht auch bei Transfers.

Transfers sollen auch deshalb vergeben werden, weil sie die Staatsschulden der EU-Länder vermeintlich nicht erhöhen. Das ist jedoch ein Taschenspielertrick. Es mag formal gelten, wenn das europäische Statistikamt Eurostat die erhaltenen Gelder nicht dem nationalen Schuldenstand zurechnet. Ökonomisch ist es aber sehr wahrscheinlich anders, hängt aber davon ab, wie in Zukunft die EU-Schulden nach 2028 zurückgezahlt werden.

Dafür gibt es vier Möglichkeiten: Einsparungen im EU-Haushalt an anderer Stelle, höhere nationale Beiträge, neue EU-Steuern oder neue EU-Schulden.

  • Nur wenn es zu Einsparungen kommt, steigen die nationalen Schulden nicht.
  • Wenn die Mitgliedstaaten die Schulden der EU nach 2028 durch höhere Beiträge zurückzahlen, erhöht das ökonomisch ihre Schuldenlast schon heute – und zwar im Ausmaß ihres Beitragsanteils am zukünftigen EU-Haushalt.
  • Wenn neue EU-Steuern erhoben werden, wie die EU vorschlägt, so erhöhen sich zumindest die Schulden der Volkswirtschaft, denn die EU-Steuermittel stehen auf nationaler Ebene nicht mehr für andere Verwendungszwecke zur Verfügung.
  • Bei neuen EU-Schulden würden diese Überlegungen nur weiter in die Zukunft verschoben.  

Ein verbindlicher Tilgungsplan ist nötig, damit die Rückzahlung ab 2028 nicht durch neue EU-Schulden finanziert wird.

Wenn die EU-Politiker im Jahr 2028 vor der Frage stehen, wie sie die Mittel für Tilgung und Zins aufbringen sollen, wäre die politisch einfachste Lösung, die alten durch neue Schulden der EU zurückzuzahlen. Alle anderen Optionen sind kurzfristig schmerzhaft. Dies gilt vor allem für Einsparungen im EU-Haushalt an anderer Stelle und höhere nationale Beiträge. Doch auch neue EU-Steuern sind nicht kostenlos wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, weil sie den nationalen Volkswirtschaften Geld entziehen. Zudem mögen einige EU-Staaten eine Steuermacht der EU auch weiterhin ablehnen.

Um zu verhindern, dass die einfache (Neuschulden-) Lösung gewählt und eine dauerhafte Verschuldungsmöglichkeit der EU geschaffen wird, sollte schon heute ein verbindlicher Tilgungsplan festgelegt werden.

Die nationalen Reform- und Investitionspläne sollten nicht allein durch die Kommission überwacht werden.

Um die Mittel aus der größten Komponente des Hilfspaket zu erhalten, der Recovery and Resilience Facility von 560 Milliarden Euro, müssen antragstellende Staaten einen Reform- und Investitionsplan vorlegen. Dieser soll eingebettet sein in das sogenannte Europäische Semester. In diesem Rahmen überwacht die Europäische Kommission die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und gibt jedes Jahr länderspezifische Reformempfehlungen.

Die EU-Länder halten sich jedoch kaum daran. Das ist auch bei dem neuen Fonds zu befürchten. Und selbst wenn die Kommission strengere Regeln aufstellt, ist fraglich, ob sie den Willen und die Kraft hätte, diese auch wirklich durchzusetzen. Die Erfahrung mit der sehr „flexiblen“ Auslegungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes spricht dagegen.
Daher sollte der Europäische Fiskalausschuss oder der Europäische Rechnungshof die Reformpläne und deren Umsetzung kritisch prüfen. Zudem sollten sowohl die Pläne als auch die Berichte über die Umsetzung publik gemacht werden.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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