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(© Foto: gilaxia/iStock)
Holger Schäfer in der Sächsischen Zeitung Gastbeitrag 20. Februar 2017

Überall nur Schwarzarbeiter

Das bedingungslose Grundeinkommen mag auf den ersten Blick verlockend aussehen. Doch wären wir tatsächlich glücklicher und freier? In einem Gastbeitrag in der Sächsischen Zeitung geht IW-Ökonom Holger Schäfer dieser Frage auf den Grund.

Schöne Idee, aber leider nicht umsetzbar – so oder so ähnlich lauten häufig Einschätzungen zu dem Vorschlag, jedem Bewohner Deutschlands unabhängig von irgendwelchen Voraussetzungen einen mindestens existenzsichernden Transfer zu gewähren. Auf den ersten Blick sieht das in der Tat verlockend aus: Jeder wäre abgesichert, man bräuchte keine komplizierte Sozialbürokratie mehr und alle Menschen hätten die Chance, sich ohne wirtschaftliche Zwänge zu entfalten. Wären wir mit einem Grundeinkommen tatsächlich glücklicher und freier?

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens begründen ihre Forderung überwiegend mit den Arbeitsmarktwirkungen des technischen Fortschritts: Durch den Einsatz von Robotern, Automatisierung und Digitalisierung der Produktion gehe den Menschen die Arbeit aus. Zu Ende gedacht mündet diese Argumentation in einer menschenleeren Fabrik, deren Produktion alle Bedürfnisse abdeckt und die nur irgendwie umverteilt werden müsse. Die Befürchtung, dass technischer Fortschritt menschliche Arbeit überflüssig mache, ist mindestens so alt wie die industrielle Revolution. Schon die Textilhandwerker im 19. Jahrhundert sahen sich angesichts der Einführung mechanischer Webstühle zu Maschinenstürmen veranlasst.

Was aus der persönlichen Sicht der Ludditen einer gewissen Logik folgte, war aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ein Irrtum. Arbeitssparender technischer Fortschritt führt dazu, dass das gleiche Produkt günstiger hergestellt werden kann. Aufgrund des geringeren Preises wird auch mehr davon konsumiert. Und höhere Produktionsmengen brauchen wiederum mehr Arbeit als Produktionsfaktor. Darüber hinaus gibt es weitere Kompensationsmechanismen. So werden durch technischen Fortschritt völlig neue Produkte und Dienstleistungen ermöglicht, zu deren Produktion menschliche Arbeit benötigt wird. Dass die Forderung nach einem Grundeinkommen in einer Phase artikuliert wird, in der Rekordbeschäftigung und Fachkräftemangel den Diskurs prägen, zeigt, dass die Befürworter ihre eigene Begründung offenbar nicht allzu ernst nehmen.

Der Rückblick auf 250 Jahre industrielle Automatisierung belegt, dass technischer Fortschritt nicht zu Massenarbeitslosigkeit führt, sondern zu Strukturwandel. Manche Qualifikationen werden weniger gebraucht oder gar obsolet, andere werden dagegen verstärkt benötigt. Mitunter ist der Strukturwandel schmerzhaft für die Verlierer, mitunter aber auch ein Segen. Die Erfindung des Dampfschiffes machte das Treidlergewerbe – in dem Schiffe mit Muskelkraft flussaufwärts gezogen wurden – zwar weitgehend überflüssig. Aber es ist leicht zu erkennen, dass der Wegfall einer solchen körperlich extrem belastenden Tätigkeit eher ein Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt war.

Schon die Begründung für das Grundeinkommen steht somit auf wackeligen Füßen, aber auch das zugrunde liegende Menschenbild muss hinterfragt werden. Die Befürworter stellen heraus, dass das Grundeinkommen frei mache, weil keine Notwendigkeit mehr bestehe, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu sichern. Die Menschen könnten etwas gesellschaftlich Nützliches machen und hätten die Chance, sich frei von ökonomischen Zwängen zu entfalten. Demgegenüber steht das subsidiäre Prinzip unserer Gesellschaft, das auf dem Gedanken aufbaut, dass jeder zunächst einmal für sich selbst verantwortlich ist. Für diejenigen, die diese Verantwortung für sich selbst nicht tragen können, steht die Gesellschaft solidarisch ein. Als Gegenleistung schuldet der Empfänger von Fürsorgeleistungen lediglich das Bemühen, künftig ohne Hilfe auszukommen.

Diese eher milde Form der Reziprozität wird zumeist als gerecht empfunden. Das Grundeinkommen erhält dagegen jeder. Egal, ob er einen solchen Transfer will oder braucht. Damit geht jedoch nicht mehr Freiheit einher. Frei ist, wer für sich selbst sorgen kann. Mit dem Grundeinkommen wird die Selbstverantwortung aller jedoch an einen ins Gigantische aufgeblähten Sozialstaat delegiert – und dadurch Abhängigkeit geschaffen. Ergebnis ist eine Gesellschaft, die am Tropf des Sozialstaats hängt, anstatt sich eigenverantwortlich und selbstbewusst zu entfalten.

Für besonders viele Diskussionen sorgt die Frage, ob mit dem Grundeinkommen überhaupt noch jemand arbeiten gehen würde. Die Befürworter argumentieren, dass es darauf gar nicht ankomme. Denn außer Erwerbsarbeit gebe es viele weitere Formen von Aktivität, die unverzichtbar zum Funktionieren unserer Gesellschaft seien – etwa Erziehung, Pflege, kulturelles oder soziales Engagement. Gegen solche Aktivitäten ist selbstverständlich nichts einzuwenden. Die Frage lautet aber, inwieweit Erwerbstätige gezwungen werden sollten, solche Tätigkeiten zu finanzieren.

Wird eine Tätigkeit erwünscht und benötigt, dann existiert auch eine Zahlungsbereitschaft für die erbrachten Leistungen. Der Austausch kann, muss aber nicht auf dem Markt erfolgen. Wenn allerdings eine Leistungserbringung über den Staat organisiert wird, unterliegt sie gegenwärtig einer demokratischen legitimierten Kontrolle. Dies wird durch endlose Debatten bezeugt, die sich darum drehen, wie viel öffentliches Geld für soziale oder kulturelle Leistungen ausgegeben werden soll. Ein solches Mitspracherecht haben die Finanzierenden des Grundeinkommens nicht.

Ohnehin geht in der Debatte meist unter, dass erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht allein dadurch entstehen, dass sich viele fragen werden, warum sie angesichts des Grundeinkommens noch arbeiten gehen sollen. Mindestens ebenso bedeutend dürften die Arbeitsmarktwirkungen sein, die durch die exorbitanten Steuern entstehen, die zur Finanzierung des Grundeinkommens erforderlich wären. Ein Mehr an Leistung und beruflichem Engagement dürfte sich damit kaum noch lohnen – neben dem negativen Effekt auf das Arbeitskräfteangebot wird dadurch auch der Anreiz vermindert, in Innovation und Bildung zu investieren.

Vor diesem Hintergrund sind auch die derzeit laufenden Feldversuche in Finnland und anderswo nur von überaus begrenztem Erkenntniswert. Denn bei diesen wird nur die Empfängerseite betrachtet, weil die Kosten des Feldversuches aus dem allgemeinen Staatshaushalt getragen werden. Ein echter Test des Grundeinkommens wäre es nur, wenn der Kreis der Begünstigten die Leistung auch komplett selbst finanzieren müsste.

Mit der Finanzierung ist letztlich auch der Aspekt angesprochen, der am häufigsten als Argument gegen das Grundeinkommen vorgebracht wird. Zu Recht. Ein simples Rechenexperiment zeigt, warum: 1 000 Euro monatlich für jeden Bundesbürger mal 80 Millionen Einwohner mal zwölf Monate ergibt einen Bruttofinanzierungsbedarf von 960 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Das Arbeitslosengeld II kostet rund 40 Milliarden. Das gesamte Steueraufkommen liegt bei rund 650 Milliarden Euro, würde also nicht zur Finanzierung reichen. Abgesehen davon, dass mit den Steuern auch noch Straßen und Schienen gebaut oder Lehrer und Polizisten bezahlt werden müssen. Das Aufkommen an Sozialversicherungsbeiträgen liegt bei rund 620 Milliarden, steht aber auch nicht komplett zur Umwidmung in ein Grundeinkommen zur Verfügung, denn zumindest die 220 Milliarden Euro für die Krankenversorgung müssten ja auch weiterhin aufgebracht werden. Das Grundeinkommen wäre nur mit einer ans Absurde grenzenden Steuererhöhung finanzierbar, die selbstverständlich zu allerhand Ausweichreaktionen führen würde. Die Deutschen würden ein Volk von Schwarzarbeitern und Schmugglern werden, sodass es alsbald nichts mehr umzuverteilen geben wird.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine völlig unnötige Operation am offenen Herzen. Unser Sozialsystem garantiert, dass niemand hungern und unter einer Brücke schlafen muss. Es mag sein, dass es an manchen Stellen unvollkommen und verbesserungswürdig erscheint. Das mag uns Ansporn sein, die Probleme anzugehen. Das Grundeinkommen aber würde unsere Gesellschaft umkrempeln. „Schlechte Idee, zum Glück nicht umsetzbar“, das erscheint daher als die passendere Einschätzung.

Zum Gastbeitrag auf sz-online.de

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