Sozialer Friede war immer ein wichtiger Standortvorteil Deutschlands, schreibt IW-Tarifexperte Hagen Lesch in der Braunschweiger Zeitung. Seit 2010 steigen die streikbedingten Ausfalltage – ausgehend von einem historisch niedrigen Niveau – allerdings rasant an.
Raues Klima an der Tariffront
Bis Mitte Juni sind schon etwa eine halbe Million Arbeitstage durch Streiks verloren gegangen. Das ist der höchste Wert seit 1993. Zwar kommen solche Streikwellen auch im friedliebenden Deutschland hin und wieder vor – zuletzt 2006 und 2007. Auffallend ist jedoch, dass in diesem Jahr gleich mehrere Großkonflikte für den Anstieg der Ausfalltage verantwortlich sind. In früheren Jahren war meist ein einzelner Konflikt dafür verantwortlich: 2006 gab es mehrwöchige Streiks im Öffentlichen Dienst, ein Jahr später bei der Deutschen Telekom. Diese Konflikte stehen für zwei Drittel bis drei Viertel der 2006 und 2007 durch Streiks verlorenen Ausfalltage. Im ersten Halbjahr 2015 gab es in gleich vier Branchen größere Streikwellen. Zu Jahresbeginn waren es die masssiven Warnstreiks in der Metall- und Elektro-Industrie sowie im Öffentlichen Dienst der Länder, im Frühjahr folgten die unbefristeten Streiks bei den Kitas und bei der Post. Die Dauerkonflikte der Lokführer und Piloten, die das Land seit Sommer 2014 mit insgesamt 20 Streiks überzogen haben, spielen statistisch gesehen nur eine Nebenrolle. Da immer nur vergleichsweise wenige Lokführer oder Piloten an einem Streik beteiligt waren und diese oft nur tageweise stattfanden, fielen im Vergleich zu den Massenstreiks großer Gewerkschaften nur wenige Arbeitstage aus.
Parallel zum Anstieg der Ausfalltage ist schon seit 2005 eine Verlagerung des Streikgeschehens in den Dienstleistungssektor zu beobachten. Während zwischen 1995 und 2004 rund neun von zehn Streiktagen das produzierende Gewerbe trafen, entfallen seit 2005 fast 80 Prozent aller Streiktage auf den Dienstleistungssektor. Wenn Busse und Züge nicht fahren oder Kindergärten geschlossen bleiben, wird das Öffentliche Leben viel stärker beeinflusst als bei einem Streik in der Automobilindustrie.
Wir spüren Arbeitskämpfe heute demnach mehr als vor zwanzig Jahren. Ein Blick auf zwei Gründe der Konflikthäufung lässt befürchten, dass wir uns künftig auf mehr Arbeitskämpfe einstellen müssen. Erstens lässt sich beobachten, dass das Verhandlungsklima in Tarifverhandlungen zuletzt rauer geworden ist. Die Arbeitgeber haben sich angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage lange darauf verlassen können, dass die Gewerkschaften eine besonnene Tarifpolitik verfolgen. Nun hat sich der Arbeitsmarkt aber gedreht. Es gibt immer mehr Firmen, die Personal suchen. Damit steigen aber auch die Ansprüche der Gewerkschaften. Zweitens hat die große Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Streik als ein Instrument entdeckt, mit dem sie Mitglieder gewinnen will. Frei nach der Parole „Kein Tag ohne Streik“ gehen inzwischen drei Viertel aller Streiktage auf das Konto dieser Gewerkschaft.
„In der Süßwarenindustrie droht keine Endlosspirale wie im Handel“
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