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Hagen Lesch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Gastbeitrag 29. Mai 2017

Besser ohne staatlichen Tarifzwang

Die sinkende Tarifbindung in Deutschland hat zu einer breiten politischen Debatte geführt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert die Politik zum Handeln auf. Ein Gastbeitrag von IW-Ökonom Hagen Lesch.

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So soll die Erstreckung von Tarifverträgen auf tarifungebundene Firmen und deren Beschäftigte durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung erleichtert werden oder Druck über tarifdispositive Regelungen ausgeübt werden, also gesetzliche Regelungen, die nur von Tarifverträgen abgeändert werden können. Teile der Politik haben diese Forderungen übernommen. Selbst die Bundeskanzlerin hat im vergangenen Sommer erklärt, ein Interesse an einer hohen Tarifbindung zu haben.

Interessant ist, wie das Ziel "Stärkung der Tarifbindung" begründet wird. Weil tarifgebundene Betriebe im Schnitt ein Viertel mehr bezahlen als tarifungebundene Betriebe, bestehe eine Ungerechtigkeit, die durch eine höhere Tarifbindung beseitigt werden müsse. Dabei wird auf den Niedriglohnsektor verwiesen, der "zu groß" sei. Vergessen ist offenbar die Zeit, in der Deutschland als "kranker Mann Europas" galt. Zur Erinnerung: Die "Agenda 2010" schuf bewusst einen größeren Niedriglohnsektor. Arbeitslose sollten in Arbeit gebracht werden. Das ist im Zusammenspiel mit einer langen Phase beschäftigungsorientierter Lohnabschlüsse auch gelungen, aus 5 Millionen Arbeitlslosen wurden 2,6 Millionen, aber um den Preis, dass es auch viele - wie die Gewerkschaften sagen - "schlecht" bezahlte Jobs gibt. Dahinter stand die Logik: Gering entlohnte Arbeit bietet Menschen mit geringer Qualifikation eine bessere Perspektive als ein Verharren in Arbeitslosigkeit. Denn Arbeitslosigkeit stellt nach wie vor das größte Armutsrisiko dar. Den beanstandeten Verwerfungen (Dumpinglöhnen) wurde durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein Riegel vorgeschoben.

Wenn nun, wie gefordert, möglichst viele Tarifverträge allgemeinverbindlich würden, nähme der lohnpolitische Anpassungsdruck in einem deutlich größeren Ausmaß zu als im Zuge der Mindestlohneinführung. Glauben die Gewerkschaften wirklich, dass das genauso reibungslos ablaufen würde wie beim Mindestohn? Noch gravierender wären aber die langfristigen Folgen. Heute wird das Gebahren der Tarifparteien durch die sogenannte Außenseiterkonkurrenz kontrolliert: die nicht tarifgebundenen Betriebe und Beschäftigten, die einzelvertragliche Regelungen treffen. Sind die Tarifabschlüsse zu hoch, nimmt die Außenseiterkonkurrenz zu. Dieses Wettbewerbselement diszipliniert die Gewerkschaften. Wird die Außenseiterkonkurrenz aber im Wege der Allgemeinverbindlichkeit ausgeschaltet, entfällt dieses Korrektiv. Auch wenn mancher es angesichts der guten Arbeitsmarktentwicklung nicht glauben will: Der Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung ist nicht außer Kraft gesetzt. Gäbe es die beklagte Außenseiterkonkurrenz nicht, hätten wir nicht dieses hohe Beschäftigungsniveau.

An der Debatte ist auch störend, dass "Stärkung der Tarifbindung" mit "Stärkung der Tarifautonomie" gleichgesetzt wird. Das stimmt aber nur so lange, wie die Tarifparteien selbst für Tarifbindung sorgen. Die Tarifautonomie überträgt den Tarifparteien eine Verantwortung. Die dazu notwendigen Voraussetzungen, hinreichend viele gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer und ausreichend viele Betriebe, die von einer Tarifbindung überzeugt sind, müssen die Tarifparteien selbst herstellen. Eine Erstreckung tariflicher Regelungen auf Außenseiter erhöht den Geltungsbereich eines Tarifvertrags. Er beschert aber weder den Gewerkschaften noch den Arbeitgeberverbänden mit Tarifbindung neue Mitglieder. Es ist eine von oben verordnete Zwangstarifbindung, aber keine von unten gewachsene. Eine verordnete Tarifbindung wäre ein Systemwechsel, der die Legitimität von Tarifautonomie in Frage stellt. Weil die Tarifparteien mangels Mitgliedern ihren Tarifverträgen nicht aus eigener Kraft die nötige Reichweite garantieren können, entsteht ein Lohnkartell "von Staates Gnaden".

Anstatt nach dem Staat zu rufen, sollten die Gewerkschaften ihre Bemühungen intensivieren, mehr Mitglieder zu gewinnen. Einige Gewerkschaften, wie die IG Metall, tun dies schon länger und auch mit Erfolg. Wo Gewerkschaften verankert sind, wird es auch für Betriebe interessant, über eine Flächentarifbindung nachzudenken. Sie garantiert durch die tarifliche Friedenspflicht das Funktionieren der Wertschöpfungskette und verlagert Konflikte auf die überbetriebliche Ebene. Tarifbindung von unten zu stärken verlangt aber auch, Tarifverträge so zu gestalten, dass sie mittelständische Betriebe nicht überfordern. Die Arbeitgeberverbände wiederum müssen sich fragen, ob Verbände ohne Tarifbindung lediglich als Auffangbecken für Betriebe dienen sollen, für die eine Tarifbindung nicht (mehr) in Betracht kommt oder eher ein Sprungbrett in Richtung Tarifbindung sein sollen. Davon hängt ab, ob die Tarifbindung von unten - durch die Tarifparteien - im Wege des Konsenses oder des Konflikts gestärkt wird. Beides ist aber besser als eine staatlich verordnete Zwangstarifbindung.

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