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Wido Geis-Thöne, 11. Oktober 2020 IW-Kurzbericht Nr. 96 11. Oktober 2020 Kinderbetreuung: Über 340.000 Plätze für unter Dreijährige fehlen

Obwohl die Zahl der Kinder unter drei Jahren in öffentlich geförderter Betreuung zwischen den Jahren 2015 und 2020 von 693.000 auf 829.000 gestiegen ist, hat die Betreuungslücke von 215.000 auf 342.000 zugenommen. Grund hierfür sind neben den sich sukzessive verändernden Betreuungswünschen der Eltern auch die gestiegenen Kinderzahlen, die ihren Höchststand inzwischen jedoch überschritten haben dürften.

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Über 340.000 Plätze für unter Dreijährige fehlen
Wido Geis-Thöne, 11. Oktober 2020 IW-Kurzbericht Nr. 96 11. Oktober 2020

Kinderbetreuung: Über 340.000 Plätze für unter Dreijährige fehlen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Obwohl die Zahl der Kinder unter drei Jahren in öffentlich geförderter Betreuung zwischen den Jahren 2015 und 2020 von 693.000 auf 829.000 gestiegen ist, hat die Betreuungslücke von 215.000 auf 342.000 zugenommen. Grund hierfür sind neben den sich sukzessive verändernden Betreuungswünschen der Eltern auch die gestiegenen Kinderzahlen, die ihren Höchststand inzwischen jedoch überschritten haben dürften.

Bedarfsgerechte Betreuungsangebote sind nicht nur Grundvoraussetzung für das Gelingen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine institutionelle Betreuung kann sich auch bereits vor Erreichen des Kindergartenalters positiv auf Entwicklung und Wohlergehen der Kinder auswirken (Schölmerich et al., 2013). Dennoch galt in Westdeutschland lange ein Alter von drei Jahren als geeigneter Betreuungsbeginn und frühkindliche Angebote wurden von den Familien sehr kritisch gesehen. Dies hat sich in den letzten Jahren jedoch vollkommen gewandelt. So gaben in einer Befragung im Jahr 2019 rund 81,2 Prozent der Eltern in Gesamtdeutschland an, für ihre Zweijährigen und 64,1 Prozent für ihre Einjährigen einen Betreuungsbedarf zu haben. Noch im Jahr 2015 lagen die Werte mit 73,0 Prozent und 54,7 Prozent deutlich niedriger. Bezogen auf alle unter Dreijährigen ergibt sich aktuell eine Bedarfsquote von 49,4 Prozent, die hochgerechnet mit der Kinderzahl am 31.12.2019 einer Zahl von 1,17 Millionen Plätzen für das erste Halbjahr 2020 entspricht. Im ersten Halbjahr 2015 lag der entsprechende Wert mit 908.000 noch um fast ein Viertel niedriger (BMFSFJ, versch. Jg.; Statistisches Bundesamt, versch. Jg.; eigene Berechnungen).

Allerdings haben am 1.3.2020 nur 829.000 unter Dreijährige tatsächlich eine öffentlich geförderte Betreuungseinrichtung oder Tagespflege besucht (Statistisches Bundesamt, versch. Jg.), sodass eine Lücke von 342.000 bleibt. Die Corona-Pandemie hat hier keinen Einfluss, da die Zahlen noch vor dem Lockdown erhoben wurden. Im Vorjahr war die Differenz bei Zugrundelegung derselben Bedarfsquoten mit 359.000 noch größer, bei Zugrundelegung der Bedarfsquote aus dem Jahr 2018 mit 318.000 (Geis-Thöne, 2019a) jedoch deutlich kleiner. Geht man noch weiter zurück, findet sich bei Verwendung der Bedarfsquoten aus den jeweiligen Jahren ein kontinuierlicher Anstieg der Lücken und für das Jahr 2015 etwa ein Wert von „nur“ 215.000. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Betreuungsausbau für unter Dreijährige in dieser Zeit nicht vorangeschritten wäre. So ist die Zahl der betreuten Kinder zwischen dem 1.3.2014 und dem 1.3.2019 von 693.000 auf 818.000 gestiegen, wohingegen sie am 1.3.2020 mit 829.000 nur noch leicht höher lag und in der Hälfte der Länder sogar Rückgänge zu verzeichnen waren (Abbildung).

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Ursächlich hierfür dürften vor allem die gestiegenen Betreuungsbedarfe im Kindergartenbereich sein. So lebten am 31.12.2019 mit 2,36 Millionen deutlich mehr Drei- bis Fünfjährige in Deutschland als am 31.12.2018 mit 2,28 Millionen, wohingegen die Zahl der unter Dreijährigen ihren Höchststand nach einem sukzessiven Anstieg in den 2010er-Jahren bereits am 31.12.2018 mit 2,38 Millionen erreicht hatte und am 31.12.2019 mit 2,37 Millionen wieder etwas niedriger lag (Statistisches Bundesamt, 2020; eigene Berechnungen). Nur in Sachsen-Anhalt und Thüringen sind die Zahlen der unter Sechsjährigen in Betreuung insgesamt rückläufig, was sich mit einem besonders starken Rückgang der Kinderzahlen und einem regionalen Auseinanderfallen von verfügbarem Angebot und Bedarf erklären könnte.

Dass die Zahl der unter Dreijährigen etwas abgenommen hat, hat auch dazu geführt, dass die Betreuungsquote trotz des geringen Anstiegs der Platzzahl um nur 11.000 zwischen dem 1.3.2019 und dem 1.3.2020 um 0,7 Prozentpunkte von 34,3 Prozent auf 35,0 Prozent gestiegen ist, wohingegen sie im Zeitraum zwischen dem 1.3.2014 und dem 1.3.2019 bei 158.000 zusätzlich geschaffenen Plätzen nur um 2,0 Prozentpunkte zugenommen hatte (Statistisches Bundesamt, versch. Jg.; eigene Berechnungen). Auch in den nächsten Jahren dürften die Betreuungsquoten auch ohne die Einrichtung einer größeren Zahl neuer Plätze spürbar steigen, da die Geburtenzahlen in Deutschland seit dem Jahr 2016 wieder deutlich gesunken sind. Allerdings bestehen hier große regionale Unterschiede und in Baden-Württemberg und Bayern ist die Tendenz bisher noch steigend (Statistisches Bundesamt, 2020).

Mit Blick auf die Betreuungslücken relativ zur Gesamtzahl der unter Dreijährigen liegen Baden-Württemberg mit 12,7 Prozent und Bayern mit 13,5 Prozent derzeit noch unter dem Bundesschnitt von 14,4 Prozent, was sich allerdings teilweise damit erklärt, dass die Bedarfsquoten mit 42,7 Prozent und 43,1 Prozent hier noch besonders niedrig sind (BMFSFJ, versch. Jg.; Statistisches Bundesamt, versch. Jg.; eigene Berechnungen). Nähern diese sich den anderen Ländern an, werden in den nächsten Jahren sehr viele neue Betreuungsplätze benötigt, um die Bedarfe zu decken.

Besonders große Lücken, die ebenfalls auf einen starken Handlungsbedarf hindeuten, weisen aktuell mit 19,8 Prozent das Saarland, mit 19,1 Prozent Bremen und mit 18,9 Prozent Nordrhein-Westfalen auf. Dabei kommt im Fall Nordrhein-Westfalen noch hinzu, dass der Anteil der betreuten Kinder, die ausschließlich von öffentlich geförderten Tageseltern betreut werden, mit 33,7 Prozent sehr viel höher liegt als in allen anderen Ländern und im Bundesschnitt mit nur 16,2 Prozent (BMFSFJ, versch. Jg.; Statistisches Bundesamt, versch. Jg.; eigene Berechnungen). Diese Betreuungsoption ist zwar nicht per se schlechter als die Kita, hat aber das Manko, dass die Qualifikationsanforderungen an die Betreuungspersonen wesentlich niedriger sind (Geis-Thöne, 2019b). Daher sollten Eltern, sofern sie dies wünschen, auch in jedem Fall einen Kita-Platz bekommen, und nicht bei Engpässen an die Tagespflege verwiesen werden können, wie das im seit dem Jahr 2013 auf Bundesebene bestehenden Rechtsanspruch für die unter Dreijährigen möglich ist.

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Während in Westdeutschland insbesondere vor dem Hintergrund der zu erwartenden weiteren Anstiege der Bedarfsquoten in den nächsten Jahren die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige überall noch deutlich erhöht werden muss, stellt sich die Lage im Osten mit Ausnahme Berlins anders dar. Geht man davon aus, dass Kinder im ersten Lebensjahr auch in Zukunft fast ausschließlich zu Hause betreut werden sollen, wie es der institutionelle Rahmen in Deutschland vorsieht, werden nur für rund zwei Drittel der unter Dreijährigen Betreuungsplätze benötigt. Diesem Niveau kommen die ostdeutschen Länder mit Werten zwischen 52,8 Prozent in Sachsen und 58,3 Prozent in Sachsen-Anhalt schon relativ nahe (Statistisches Bundesamt, versch. Jg.). Zudem ist hier ein deutlicher Rückgang der Kinderzahlen zu erwarten, da die Geburtenzahlen stark rückläufig und in den Jahren zwischen 2016 und 2019 bereits von 109.000 um fast ein Zehntel auf nur noch 100.000 gesunken sind (Statistisches Bundesamt, 2020; eigene Berechnungen). Allerdings ist die Personalausstattung der Einrichtungen oft kaum ausreichend, um eine qualitativ hochwertige Betreuung zu gewährleisten. So kamen in U3-Gruppen im Osten im Schnitt 5,7 Kinder auf eine Betreuungsperson und damit deutlich mehr Kinder als im Westen mit 3,6 Kindern, wobei ein Wert von 3,0 Kindern pädagogisch sinnvoll wäre (Bertelsmann Stiftung, 2020). Vor diesem Hintergrund sollte in den nächsten Jahren gerade im Osten gezielt in die Steigerung der Qualität der Betreuungsangebote investiert werden.

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Kinderbetreuung: In NRW fehlen knapp 100.000 Plätze

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Über 340.000 Plätze für unter Dreijährige fehlen
Wido Geis-Thöne, 11. Oktober 2020 IW-Kurzbericht Nr. 96 11. Oktober 2020

Wido Geis-Thöne: Kinderbetreuung – Über 340.000 Plätze für unter Dreijährige fehlen

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