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Wido Geis-Thöne IW-Kurzbericht Nr. 74 6. Oktober 2023 Fast 300.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige fehlen

Im Jahr 2023 wünschen sich die Eltern für rund 1,16 Millionen unter Dreijährige eine institutionelle Betreuung. Tatsächlich einen Platz haben aber nur 857.000 Kinder. So besteht auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Rechtsanspruchs noch ein gravierender Betreuungsengpass von 299.000 Plätzen.

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Fast 300.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige fehlen
Wido Geis-Thöne IW-Kurzbericht Nr. 74 6. Oktober 2023

Fast 300.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige fehlen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im Jahr 2023 wünschen sich die Eltern für rund 1,16 Millionen unter Dreijährige eine institutionelle Betreuung. Tatsächlich einen Platz haben aber nur 857.000 Kinder. So besteht auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Rechtsanspruchs noch ein gravierender Betreuungsengpass von 299.000 Plätzen.

Lange Zeit war die Hausfrauenehe das Leitbild der westdeutschen Familienpolitik und die Betreuungsverantwortung für die Kinder wurde ausschließlich bei den Müttern gesehen. Kindergärten etablierten sich zwar bereits zunehmend ab den 1970er- und 1980er-Jahren, ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder im Alter zwischen drei Jahren und dem Schuleintritt wurde jedoch erst im Jahr 1996 geschaffen. Hingegen war eine institutionelle Betreuung für die unter Dreijährigen im Westen um den Jahrtausendwechsel noch die absolute Ausnahme. Im Osten existierte für diese Altersgruppe zwar bereits in der sozialistischen Phase eine stark ausgebaute Betreuungsinfrastruktur, die jedoch nach der Wende weitgehend zurückgebaut wurde. Im neuen Jahrtausend wurde immer deutlicher, dass der familienpolitische Rahmen den veränderten gesellschaftlichen Realitäten nicht mehr gerecht wurde und Müttern die Teilhabe am Arbeitsmarkt erleichtert werden musste. So erfolgte in den 2000er-Jahren eine grundlegende Neuausrichtung, in deren Rahmen insbesondere im Jahr 2006 das Elterngeld neu konzipiert und im Jahr 2007 die Entscheidung für einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres getroffen wurde (BMFSFJ, 2022).

Dabei war klar, dass die Kommunen Zeit brauchen würden, um die notwendige Betreuungsinfrastruktur für die unter Dreijährigen zu schaffen. So wurde das Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf das Jahr 2013 terminiert und ein Ausbauziel von 750.000 Betreuungsplätzen vorgegeben, das bis dahin hätte erreicht werden sollen (BpB, 2023). Tatsächlich waren im Jahr 2013 allerdings nur 596.000 unter Dreijährige in Betreuung, und es dauerte noch bis zum Jahr 2017, bis die Marke von 750.000 überschritten wurde (Statistisches Bundesamt; versch. Jg.). Gleichzeitig war bereits vor dem Jahr 2013 bekannt, das auch die 750.000 Plätze nicht ausgereicht hätten, um die steigenden Betreuungsbedarfe zu decken (BpB, 2023). So hatten von Anfang an trotz Rechtsanspruchs nicht alle Familien Zugang zu einer institutionellen Betreuung für ihre unter Dreijährigen. In der Praxis bedeutet dies in der Regel allerdings nicht, dass die Eltern gar keinen Betreuungsplatz bekommen, sondern lediglich, dass sie diesen erst wesentlich später in Anspruch nehmen können als eigentlich gewünscht. Damit lohnt es sich für sie auch kaum, den Rechtanspruch einzuklagen, da sich die Kinder bis zum erwartbaren Abschluss des Verfahrens mit großer Wahrscheinlichkeit ohnehin in Betreuung befinden und sie meist auch nicht nur einen beliebigen Platz zugewiesen bekommen möchten.

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Seit dem Jahr 2013 ist der Ausbau der Betreuungsinfra-struktur kontinuierlich vorangeschritten und im Jahr 2023 wurde eine Gesamtzahl von 857.000 betreuten unter Dreijährigen erreicht. Gleichzeitig hat allerdings auch der Bedarf der Eltern zugenommen, sodass inzwischen für 49,1 Prozent der Kinder insgesamt 1,16 Millionen Plätze benötigt würden. So besteht eine Lücke von 299.000 Plätzen, was einem Anteil von 13,6 Prozent der unter Dreijährigen entspricht (BMFSFJ, 2023, Statistisches Bundesamt, 2023 a, b; eigene Berechnungen).

Allerdings gibt es dabei große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. So wird in Bayern nur für 42,4 Prozent und in Baden-Württemberg für 44,7 Prozent der unter Dreijährigen eine institutionelle Betreuung gewünscht, wohingegen die entsprechenden Anteile in Brandenburg bei 64,2 Prozent und in Sachsen-Anhalt bei 64,1 Prozent liegen. Insgesamt zeigt sich hier ein starkes Ost-West-Gefälle. Gleichzeitig ist im Osten allerdings auch nach wie vor der Ausbaustand sehr viel weiter fortgeschritten als im Westen, sodass hier nur für 6,6 Prozent aller unter Dreijährigen, im Westen aber für 14,0 Prozent Betreuungsplätze fehlen. Am größten sind die Betreuungslücken mit 20,0 Prozent in Bremen und mit 19,2 Prozent im Saarland. Absolut gesehen fehlen mit 87.400 am meisten Plätze im bevölkerungsstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen (BMFSJ, 2023, Statistisches Bundesamt, 2023a, b; eigene Berechnungen).

Dass es auf absehbare Zeit gelingen wird, die Kitalücke zu schließen, erscheint eher unwahrscheinlich, da derzeit im Betreuungsbereich massive Fachkräfteengpässe bestehen (Tiedemann / Malin, 2023), die einen weiteren Ausbau der Infrastruktur stark hemmen. Dabei ist die Zahl der pädagogischen Beschäftigten in den Kitas in den Jahren von 2014 bis 2023 von 503.000 auf 715.000 gestiegen (Statistisches Bundesamt, 2023b) und einer noch stärkeren Zunahme dürfte vorwiegend entgegenwirken, dass nicht noch mehr in den Ausbau der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher investiert wurde.

Jedoch dürfte die demografische Entwicklung zu einer langsamen Entspannung der Lage führen. Während die Geburtenzahlen in Deutschland in den 2010er-Jahren auf hohem Niveau lagen und im Jahr 2021 nochmals einen Spitzenwert von 795.000 erreicht hatten, kamen im Jahr 2022 nur noch 739.000 Kinder zur Welt und im ersten Halbjahr 2023 waren es mit 336.000 nochmals deutlich weniger als im ersten Halbjahr 2022 mit 357.000 (Statisches Bundesamt 2023b; eigene Berechnungen). Allerdings gibt es hier große regionale Unterschiede, die von Wanderungsbewegungen noch verstärkt werden. So sollten insbesondere die Kommunen, die aktuell einen starken Zuzug von Familien erleben, auch keinesfalls mit rückläufigen Kinderzahlen planen.

Zudem könnten sich die Eltern in Zukunft unter Umständen einen noch etwas früheren Betreuungsbeginn für ihre Kinder wünschen. War der dritte Geburtstag in der Vergangenheit die gängige Altersuntergrenze für den Besuch einer Kita, ist es inzwischen zum Normalfall geworden, dass auch die Zweijährigen institutionell betreut werden. Deutschlandweit liegt die Betreuungsquote für sie inzwischen bei 66,4 Prozent, wobei sich mit einem Anteil von 80,7 Prozent noch deutlich mehr Eltern für ihre Zweijährigen eine Betreuung wünschen (BMFSFJ, 2023). Dieses Niveau überschreitet neben den Bundesländern im Osten auch Hamburg bereits mit einer Betreuungsquote von 84,6 Prozent (Abbildung). Dabei erfolgt der Betreuungsbeginn sowohl in den ostdeutschen Bundesländern als auch in Hamburg in der Regel bereits früh im zweiten Lebensjahr des Kindes, sodass auch die Betreuungsquoten für die Einjährigen bei weit über 50 Prozent liegen. Hingegen sind die Werte in den übrigen westdeutschen Ländern deutlich niedriger. Beachtlich ist, dass Rheinland-Pfalz hier mit 20,2 Prozent auf den niedrigsten Wert kommt, wohingegen es bei den Zweijährigen mit 70,9 Prozent nach Hamburg im Vergleich der westdeutschen Länder auf dem zweiten Rang liegt. Zurückgehen dürfte dies auf den spezifischen institutionellen Rahmen in Rheinland-Pfalz, wo der Besuch der Kitas ab dem zweiten Geburtstag komplett beitragsfrei ist, für die Einjährigen aber substanzielle Gebühren erhoben werden (Rheinland-Pfalz, 2023).

Neben den Kosten dürften auch die zeitlichen Strukturen und die pädagogische Qualität der Angebote einen Einfluss darauf haben, ab welchem Alter und in welchem Umfang Eltern eine institutionelle Betreuung für ihre Kinder nachfragen. Zudem muss beim Betreuungsausbau im Blick behalten werden, dass eine institutionelle Betreuung in manchen Fällen für die Entwicklung der Kinder sehr wichtig ist, etwa weil sie nur hier die deutsche Sprache erwerben, aber nicht unbedingt den Lebensentwürfen der Eltern entspricht. Diese Familien für die Betreuung zu gewinnen, erfordert gerade vor dem Hintergrund der bestehenden Engpässe ein besonderes familienpolitisches Augenmerk.

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Betreuungssituation in den Bundesländern 2023

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