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Regina Schneider IW-Kurzbericht Nr. 7 1. März 2016 Spendenverhalten: Warum einer manchmal mehr zählt als viele

Naturkatastrophen wie Hurrikans, Erdbeben, Tsunamis, aber auch Terroranschläge erschüttern die Menschen und lösen weltweit Anteilnahme und Solidarität aus. Das Ausmaß dieser Anteilnahme hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, wie die Verhaltensökonomik zeigt.

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Warum einer manchmal mehr zählt als viele
Regina Schneider IW-Kurzbericht Nr. 7 1. März 2016

Spendenverhalten: Warum einer manchmal mehr zählt als viele

Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Naturkatastrophen wie Hurrikans, Erdbeben, Tsunamis, aber auch Terroranschläge erschüttern die Menschen und lösen weltweit Anteilnahme und Solidarität aus. Das Ausmaß dieser Anteilnahme hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, wie die Verhaltensökonomik zeigt.

Die Flutkatastrophe von 2002 in Deutschland hat viele Menschen betroffen gemacht und auch heute noch können sich die meisten daran erinnern. Dementsprechend hoch war die Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. Insgesamt wurden Spendeneinnahmen in Höhe von 230 Millionen Euro verzeichnet, die zum größten Teil an das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie Sachsen und das Städtische Spendenkonto Dresden gingen (Statistik in Dresden, 2016). 2013 gab es in Deutschland erneut eine Flutkatastrophe, die ähnlich viel Schaden angerichtet hat wie die Flut im Jahr 2002 (IKSE, 2004; BMI, 2013). Doch die Spendenbereitschaft der Deutschen hielt sich diesmal in Grenzen. Insgesamt wurden nur 22 Millionen Euro gespendet; 11 Jahre zuvor war die Spendenbereitschaft zehn Mal höher. Woraus resultiert dieser Unterschied?

Mehrere Gründe erklären, warum die Spendenbereitschaft der Deutschen 2013 geringer war. Im Jahr 2002 waren die Regenfälle kurz und stark und verteilten sich auf nur wenige Tage. Hingegen dauerten die Regenfälle 2013 länger, waren aber dafür weniger intensiv. Vor allem aber war die mediale Berichterstattung 2002 im Vergleich zu 2013 sehr emotionsgeladen und es wurde viel dramatischer über die Ereignisse berichtet. Beispielsweise wurde das tragische Schicksal eines Feuerwehrmanns bekannt, der beim Versuch, eine Frau zu retten, selbst Opfer des Hochwassers geworden ist.

Diese Berichterstattung hat dazu geführt, dass die Menschen sich mit den Betroffenen leichter identifizieren konnten und dies ihre Hilfsbereitschaft positiv beeinflusste. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen „Identifiable-Victim-Effekt“ (identifizierbares Opfer) genannt. Dieser Effekt beschreibt die Tendenz, dass Menschen hilfsbereiter sind, wenn es sich um eine spezielle Person handelt, die Opfer einer Naturkatastrophe oder eines Konfliktes geworden ist. Das Leid einer vage definierten Gruppe – sei sie auch sehr viel größer – oder einer abstrakten Zahl wirkt sehr viel weniger. Neurologische Scans zeigen, dass Zahlen ein anderes Gehirnareal aktivieren als Bilder von hilfsbedürftigen Menschen. Im letzteren Fall wird der Teil des Gehirns aktiv, der für Emotionen und Empathie verantwortlich ist. Unter dem Identifiable-Victim-Effekt haben Menschen außerdem das Gefühl, zu wissen, wem das gespendete Geld zugutekommt und dadurch tatsächlich etwas bewirken zu können.

Andere Faktoren verstärkten zusätzlich die Sorge und Anteilnahme der Deutschen. Das Hochwasser 2002 kam völlig unerwartet und niemand hat mit einer solchen Flutkatastrophe gerechnet, denn es hatte seit fast 50 Jahren keine so schwere Flut gegeben. 2013 war die letzte Flut noch im Gedächtnis und man erwartete, dass die Helfer die Situation diesmal besser im Griff hatten. Außerdem sind die Menschen in den letzten Jahren mit vielen anderen Naturkatastrophen konfrontiert worden, wie dem Tsunami im indischen Ozean und den Erdbeben in Fukushima und Haiti, sodass ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist. Verglichen mit diesen Ereignissen, die mehreren zehn- bis hunderttausenden Menschen das Leben gekostet haben, schien die Flutkatastrophe im Jahr 2013 weniger dramatisch.

Auch in den USA sind ähnliche Phänomene zu beobachten. Für die Opfer des Hurrikans Katrina und des Terroranschlags vom 11. September wurden jeweils rund 3 Milliarden Dollar gespendet (IU Center on Philanthropy, 2005). Dagegen liegt die kumulierte Spendensumme für die Bekämpfung von Malaria immer noch unter 3 Milliarden Euro (WHO, 2015). Angesichts der hohen jährlichen Zahl der Todesfälle, die durch Malaria verursacht werden, erscheint die Spendenbereitschaft sogar schwindend gering (siehe Abbildung).

Genau wie die Flutkatastrophe in Deutschland im Jahr 2002 waren die Ereignisse in den USA einzelne Geschehnisse, die es in dieser Form noch nicht gegeben hatte, sodass sie eine sehr große mediale Aufmerksamkeit erhielten. Dagegen wird über Infizierte und Tote durch Malaria eher in Form von Statistiken berichtet. Der Identifiable-Victim-Effekt kann diese Unterschiede gut erklären.

Es gibt also viele Gründe für die unterschiedliche Spendenbereitschaft und es ist nicht in erster Linie die Anzahl der Opfer, die bestimmt, wie solidarisch sich Menschen verhalten. Jede Spende hilft, doch manchmal lohnt es sich, mehr Informationen einzuholen und vielleicht auch Hilfsbedürftige zu unterstützen, dessen Leiden weniger präsent ist. Beispielsweise könnte der Spender darauf verzichten, einen expliziten Verwendungszweck anzugeben, sodass die Hilfsorganisationen das Geld sehr viel zielgenauer und effizienter verwenden können – für dringliche Hilfen, die weniger mediale Aufmerksamkeit erhalten.

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