Die Zinswende hinterlässt unübersehbare Spuren in den öffentlichen Haushalten. Inwieweit dadurch der Handlungsspielraum eingeschränkt wird, lässt sich an der Zins-Steuer-Quote ablesen. Im Zuge der Nullzinsphase waren die Zinsausgaben als Anteil der Steuereinnahmen so tief gefallen wie nie zuvor. Jetzt steigt der Wert wieder – beim Bund deutlich stärker als bei den Ländern.
Gründe für den starken Anstieg der Zinsausgaben beim Bund
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Zinswende hinterlässt unübersehbare Spuren in den öffentlichen Haushalten. Inwieweit dadurch der Handlungsspielraum eingeschränkt wird, lässt sich an der Zins-Steuer-Quote ablesen. Im Zuge der Nullzinsphase waren die Zinsausgaben als Anteil der Steuereinnahmen so tief gefallen wie nie zuvor. Jetzt steigt der Wert wieder – beim Bund deutlich stärker als bei den Ländern.
Der Effekt der seit Anfang des Jahres 2022 steigenden Zinsen springt im Bundeshaushalt sofort ins Auge. Im Jahr 2021 betrugen die Zinsausgaben des Bundes gerade einmal 4 Milliarden Euro, im Jahr 2023 werden es voraussichtlich 40 Milliarden Euro sein (Lindner, 2023). Diese Verzehnfachung innerhalb von zwei Jahren hat verschiedene Gründe: Zum einen sind der Marktzins und damit auch die Refinanzierungskosten des Bundes merklich gestiegen. Nachdem die Kupons sowohl kurzfristig (Anleihen mit einer Laufzeit von zwei bis fünf Jahren) als auch langfristig (Anleihen mit einer Laufzeit von zehn bis 30 Jahren) bis Ende des Jahres 2021 negativ waren, betragen die Renditen aktuell je nach Laufzeit 2 bis 3 Prozent (Bundesregierung, 2023). Zum anderen sind die Zinsausgaben gestiegen, weil die Verschuldung in den Krisenjahren deutlich zugenommen hat. Von 2019 bis 2022 ist der Schuldenstand des Bundes um 35 Prozent auf 1,78 Billionen Euro gestiegen. Bei den Ländern beträgt das Plus im gleichen Zeitraum gerade einmal 4 Prozent, so dass die Verschuldung Ende 2022 gut 0,64 Billionen Euro betrug. Insgesamt war der deutsche Staat zum 31.12.2022 mit 2,56 Billionen Euro verschuldet (Deutsche Bundesbank, 2023). Das Gros der krisenbedingten Schuldenaufnahme in den vergangenen Jahren hat damit der Bund geschultert. Angesichts der nationalen Tragweite von Corona-Pandemie und Krieg in Europa ist dies im Kern auch gerechtfertigt. Im Ergebnis vereint der Bund nun mehr als zwei Drittel der staatlichen Schulden auf sich.
Agio-Einnahmen haben Zinsausgaben gesenkt
Beide Entwicklungen können jedoch den aktuell gravierenden Anstieg der Zinsausgaben im Bundeshaushalt nicht vollumfänglich erklären. Ein weiterer Faktor sind die sogenannten Agien. Diese fallen an, wenn der Ausgabepreis einer Anleihe größer ist als ihr Nennwert. Dies ist der Fall, wenn der Marktzins unter dem Zinssatz der Anleihe liegt. In dem Fall sind Käufer bereit, einen höheren Ausgabepreis als den Nennwert zu zahlen, da die Rendite der Anleihe höher als marktüblich ist.
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Agio-Einnahmen treten nicht zuletzt bei Negativzinsen auf, da der minimale Zinssatz einer Anleihe null beträgt. Die Differenz zu einem negativen Marktzins wird durch die Zahlung eines Agios ausgeglichen. Auch wenn sich Agien auf die gesamte Laufzeit einer Anleihe beziehen, verbuchen Bund und Länder die Einnahmen ausschließlich im Jahr der Ausgabe der Anleihe und haben so erhebliche Einnahmen erzielt, die mit den Zinsausgaben verrechnet werden und diese so schmälern.
Aus ökonomischer Sicht wäre eine Verteilung auf die gesamte Laufzeit der Anleihe sachgerechter (Deutsche Bundesbank, 2021; Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2021). Der Effekt zeigt sich eindrücklich am Beispiel des Bundeshaushalts. Im Jahr 2021 wurden die Zinsausgaben um den Saldo aus Agio und Disagio in Höhe von rund 11 Milliarden Euro gemindert. Im Zeitraum von 2014 bis 2021 summierte sich der Saldo auf rund 47 Milliarden Euro, das heißt die originären Zinsausgaben des Bundes waren um diesen Betrag höher als im Haushalt ausgewiesen (Bundesrechnungshof, 2022a, 24). Die im Bundeshaushalt abgebildeten Zinsausgaben sind in den vergangenen Jahren folglich nach unten verzerrt gewesen. Jetzt hat sich das Blatt durch die Zinswende gewendet. Der Bund muss Disagien verbuchen, denn die gestiegenen Zinsen haben den Ausgabepreis unter den Nennwert einer Anleihe fallen lassen. Dies erhöht die Zinsausgaben des Jahres 2022 um 0,7 Milliarden Euro und des Jahres 2023 um 15,8 Milliarden Euro (Lindner, 2023).
Sofern Agio und Disagio auf die Laufzeit einer Anleihe periodengerecht verteilt würden, so wie dies beispielsweise in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) erfolgt, wäre eine stetige Entwicklung der Zinsausgaben möglich. So aber gerät der Bundeshaushalt in Jahren steigender Zinsen, die zu Disagien führen, enorm unter Druck, während sich in Jahren fallender Zinsen unverhoffte, aber keine nachhaltigen Ausgabenspielräume ergeben. Insbesondere im Rahmen der Schuldenbremse wird eine solide und verlässliche Haushaltspolitik dadurch erschwert. Dies lässt sich an der Zins-Steuer-Quote ablesen, die angibt, welcher Anteil der Steuereinnahmen durch Zinsausgaben gebunden ist. In Summe sind die Zinsausgaben als Anteil der Steuereinnahmen des Bundes nach der Finanzstatistik von 1,3 Prozent im Jahr 2021 auf 11,1 Prozent im Jahr 2023 gestiegen. Im kommenden Jahr wird der Wert voraussichtlich bei rund 10 Prozent liegen. Nach den VGR steigt die Zins-Steuer-Quote dagegen deutlich weniger stark (Abbildung).
Zwar haben auch die Bundesländer vor der Zinswende von Agio-Einnahmen profitiert, allerdings sind die Auswüchse weniger stark. Entsprechend fällt der negative Effekt der Disagien ebenfalls weniger stark aus. Immerhin verdoppeln sich jedoch beispielsweise die Zinsausgaben Nordrhein-Westfalens von 2022 zu 2023 auf voraussichtlich 2,8 Milliarden Euro (Ministerium der Finanzen des Landes NRW, 2022). Entsprechend steigt auch die Zins-Steuer-Quote der Bundesländer (gewichteter Durchschnitt) auf rund 3 Prozent, ist gleichzeitig jedoch weniger volatil als die des Bundes. Der Anstieg der Zinsausgaben von rund 9 Milliarden Euro in den Jahren 2020 und 2021 auf aktuell rund 12 Milliarden Euro wird durch gestiegene Steuereinnahmen teilweise aufgefangen.
Der enorme Anstieg der Zins-Steuer-Quote im Bundeshaushalt ist ein Zeichen dafür, dass sowohl die Große Koalition als auch die Ampel-Regierung es versäumt haben, die Niedrigzinsen langfristig im Sinne der Steuerzahler zu sichern (Bundesrechnungshof, 2022b). Zum 31.12.2022 hatte knapp ein Viertel des Kreditbestands des Bundes eine Restlaufzeit von weniger als einem Jahr, ein weiteres Viertel hatte eine Restlaufzeit von ein bis vier Jahren. Ein Grund für diesen hohen Anteil ist, dass die mittlere Zinsbindungsfrist der Bundesanleihen im Verlauf der Niedrigzinsphase von 2012 bis 2021 um lediglich 0,4 Jahre auf knapp sieben Jahre gestiegen ist (Finanzagentur, 2023). In den Jahren von 2020 bis 2023 wurde für mehr als 60 Prozent der Bundeswertpapiere sogar eine Laufzeit von weniger als zwei Jahren vereinbart (Kohlstruck/Drechsler, 2023, 19). Folglich muss der Bund jedes Jahr hohe Kreditvolumen über die Ausgabe neuer Anleihen finanzieren. Nach 450 Milliarden Euro im Jahr 2022 gibt der Bund in diesem Jahr Kreditemissionen in Höhe von voraussichtlich 540 Milliarden Euro aus (Deutsche Bundesbank, 2022; Finanzagentur, 2023). Damit unterliegen am Jahresende 2023 bereits rund 1 Billion Euro der insgesamt 1,8 Billionen Euro Schulden des Bundes dem höheren Zinsniveau der Jahre 2022 und 2023.
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