China dominiert den Handel mit den wichtigsten Ländern des Globalen Südens. Zwischen 2019 und 2023 stieg der Handel Chinas mit dem Globalen Süden stark um 47 Prozent auf über 1,9 Billionen US-Dollar an, sodass die EU und die USA als wichtigste Handelspartner abgelöst wurden.
Handel mit Globalem Süden: Deutschland stagniert, China und Russland expandieren
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
China dominiert den Handel mit den wichtigsten Ländern des Globalen Südens. Zwischen 2019 und 2023 stieg der Handel Chinas mit dem Globalen Süden stark um 47 Prozent auf über 1,9 Billionen US-Dollar an, sodass die EU und die USA als wichtigste Handelspartner abgelöst wurden.
Deutschlands Warentausch stagnierte in den vergangenen Jahren mit den strategisch bedeutsamen Ländern, zudem wird Deutschland von Russland als Handelspartner eingeholt. Überkapazitäten und Sanktionen verändern die globalen Warenströme, auch zum Nachteil Deutschlands.
Geopolitisch streben Deutschland und der Westen verstärkt danach, Länder des Globalen Südens auf ihre Seite zu ziehen, insbesondere im Kontext des Ukraine-Krieges und des Gaza-Krieges. Bundeskanzler Scholz betont den Fokus seiner Politik auf den Globalen Süden und die Partnerschaft auf Augenhöhe. Doch dieses Vorhaben erweist sich als komplex, da Länder wie Brasilien, Indien und Saudi-Arabien längst ihre eigenen Interessen verfolgen. Ein Grund dafür sind die verschobenen ökonomischen Gewichte und die veränderte Bedeutung der Handelspartner zum Westen und seinen Konkurrenten wie China und Russland.
Der Globale Süden als Schlüssel
Die Ausweitung des Handels von China mit Ländern des Globalen Südens lässt sich nicht allein durch das chinesische Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte und den wachsenden Anteil am Welthandel erklären (2022 entfielen 14,5 Prozent aller weltweiten Exporte auf China, im Vergleich zu 4 Prozent im Jahr 2002). Vielmehr muss die Ausweitung des chinesischen Handels auch als geopolitisch strategisches Projekt zur Erweiterung des chinesischen Einflusses verstanden werden. Ursprünglich als Instrument zur Förderung der Globalisierung gedacht, hat sich das Seidenstraßenprojekt unter Xi Jinping zunehmend zu einer geopolitischen Waffe entwickelt. Dabei wird politischer und militärischer Einfluss gestärkt, während China selbst gleichzeitig unabhängiger von globalen Wertschöpfungsketten wird. (Garcia Herrero 2024).
<iframe class="everviz-iframe" src="https://app.everviz.com/embed/TwceNt2p_/?v=14" title="Chart: Anteile ausgewählter Länder am Handel mit Ländern des Globalen Südens („Transactional 25“*)" style="border: 0; width: 100%; height: 500px"></iframe>
Die während der Corona-Pandemie organisierten und mit viel PR begleitete „Masken- und Impfdiplomatie“ Pekings ist dabei eines der präsenten jüngeren Beispiele, wie die chinesische Führung über Handelsbeziehungen versucht, geopolitisches Gewicht zu gewinnen. Auch Russland konnte sich während der Corona-Pandemie in einigen Ländern als generöser Lieferant seiner Sputnik-Vakzinen darstellen und positionierte sich mit seinen Lieferungen an Drittstaaten gegen den Westen (Suzuki, 2023). Vor diesem Hintergrund erscheint es politisch hoch relevant zu sein, wie sich die Handelsbeziehungen zu außereuropäischen Ländern gestalten und welche Bedeutung Deutschland und Europa als Handelspartner insbesondere in Abgrenzung zu geosystemischen Rivalen einnehmen.
Für Deutschland und die EU bedeutet dies, zu bewerten, welche Verschiebungen der Handelsströme aus marktwirtschaftlichen Gründen akzeptabel sind und welche Handelsbeziehungen eine größere geopolitische Bedeutung haben. Die Vernachlässigung letzterer könnte langfristig erhebliche volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Dies wird in Bezug auf einseitige Abhängigkeiten deutlich, insbesondere bei China (Matthes, 2024a). Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, über Handelsabkommen und politische Beziehungen mehr zur Diversifizierung beizutragen. Dazu gehört auch, den Handel mit dem Globalen Süden zu stärken, was jedoch aufgrund festgefahrener Verhandlungen bei Handelsabkommen und schwächelnder Weltwirtschaft ins Stocken geraten ist.
Dies wird vor allem mit Blick auf jene Länder interessant, die politisch weder eindeutig dem Westen noch China oder Russland als Partner oder Verbündete zugeordnet werden können. Der Economist hat diese Länder als „Transactional 25“ (T-25) identifiziert, die opportun je nach Interessenlage politische eher zum Westen oder zu China/Russland tendieren (The Economist, 2023).
Sichtbar wird dies in der für den Westen erratischen, aber bewusst ambivalenten Rhetorik des brasilianischen Staatspräsidenten Lula, der beim Ukraine-Krieg und im Nahostkonflikt eine dem Westen konträre Haltung einnimmt. Dabei ist klar, dass dies auch der wirtschaftlichen Bedeutung China und Russlands für Brasilien geschuldet ist (Brooks, 2024). Die T-25 sind demnach der Schlüssel für globale Einflusssphären und internationale Kooperation.
China überholt USA, Europa fällt zurück, Russland rückt näher an Deutschland
Die oben stehende Grafik zeigt die Entwicklung der zusammengefassten Export- und Importanteile der jeweiligen Staaten aus bzw. in die Staatengruppe der sogenannten T-25 (siehe Anmerkungen unter der Grafik zur Definition). Bis 2017/18 waren die EU und die USA die wichtigsten Handelspartner für diese Länder, dicht gefolgt von China. 2019 überholte China die EU schließlich und betreibt seit 2020 mehr Handel mit den T-25 als die USA. Rechnet man Mexiko aus der Staatengruppe heraus, das ein Freihandelsabkommen mit den USA unterhält, wird die Lücke eineinhalbmal größer.
Deutschlands Handel mit den T-25 verlief zwischen 2010 und 2020 nahezu unverändert. Im Gesamtvolumen stieg der Handel in den Jahren 2021 und 2022 um etwa 17 bzw. 12 Prozent, was aufgrund der deutlichen Steigerungen anderer Länder zu keiner Veränderung in den Anteilen mit den T-25 geführt hat, zumal die Importpreise stark gestiegen sind, was den Anstieg maßgeblich erklärt. Deutschlands Anteile gingen daher leicht zurück, anders als die von Russland, das seit dem Ukraine-Krieg aufgrund der Sanktionen des Westens den Handel mit den T-25 deutlich ausweiten konnte.
Chinas Handel mit den T-25 ist in den Pandemie-Jahren stark gewachsen und stärker als mit dem Rest der Welt. Selbst im Jahr 2020 mit strikter Null-Covid-Politik nahm der Handel zwischen China und den T-25 leicht zu und steigerte sich 2021 und 2022 deutlich um 34 bzw. 12 Prozent im Vergleich zu den jeweiligen Vorjahren. Gründe dafür sind erhebliche Anstiege bei wichtigen Exportgütern wie Mikrochips und anderen Halbleiterwaren, Fahrzeugen und Stahl. Auf der Importseite führte China zuletzt substanziell mehr Erdöl, Eisenerz, Braunkohle, Soja und Gold aus den T-25 ein. Diese Veränderungen in der Handelsstruktur Chinas korrespondieren mit dem Muster chinesischer Wirtschaftspolitik, Wertschöpfungsketten ins Inland zu verlagern, wozu deutlich mehr Rohstoffe aus dem Ausland benötigt werden. Auf der anderen Seite führt die Überproduktion bestimmter Waren wie E-Autos und Solarzellen auch durch massive Subventionen zu einer Schwemme auf den Weltmärkten (Matthes, 2024b).
Inwiefern die Ausweitung der chinesischen Exporte in den Globalen Süden deutsche Produkte auf diesen Märkten verdrängt, ist noch nicht eindeutig festzustellen. Zumindest ist das Wachstum der chinesischen Exporte von Elektroautos in die Länder des Globalen Südens deutlich um 373 Prozent (2022) und 130 Prozent (2023) gestiegen, gegenüber 132 Prozent bzw. 82 Prozent aus Deutschland. Da China bereits ein mehr als drei Mal so großes Exportvolumen wie Deutschland hat, vergrößert sich die bestehende Lücke zu den deutschen Exporten weiter. Deutlicher werden die kompetitiven Nachteile des deutschen Exports bei den chemischen Erzeugnissen, bspw. bei Exporten von Ethen, die 2022 um 22 Prozent zurückgingen, wohingegen China fünfmal mehr exportierte als 2021.
Vor diesem Hintergrund sollte Deutschland nicht überrascht sein, dass sein geopolitisches Gewicht im Globalen Süden abnimmt.
Mangelnder politischer Willen
Aktuell geht die Außenwirtschaftspolitik in die falsche Richtung, um an diesem Zustand etwas zu ändern. Anders als in China bleibt es in Deutschland der Privatwirtschaft zwar überlassen, in welche Länder sie investiert und welche Handelspartner sie findet. Dennoch kann die Bundesregierung einen Rahmen setzen, der den selbstgesetzten Zielen des Derisking und der Resilienz von Lieferketten entspricht und gleichzeitig Deutschlands Einfluss im Globalen Süden wieder stärkt. Der versprochene, jedoch nicht gelieferte Rohstofffonds ist dem Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse zum Opfer gefallen und die aktuellen Haushaltsberatungen lassen wenig Hoffnung auf Besserung erwarten. Die wirtschaftliche Bedeutung von Entwicklungshilfe sollte nicht vernachlässigt werden. Zudem ist der zeitnahe Abschluss von Handelsabkommen, bspw. mit Mercosur, drängender denn je.
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