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Ralph Henger / Maximilian Stockhausen IW-Kurzbericht Nr. 55 3. Juli 2022 Gefahr der Energiearmut wächst

Galoppierende Energiepreise setzen private Haushalte zunehmend unter finanziellen Druck. Hierdurch steigt die Gefahr von Energiearmut, die insbesondere Haushalte betrifft, die mehr als 10 % ihres Haushaltsnettoeinkommens für Heizen, Warmwasser und Strom ausgeben.

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Gefahr der Energiearmut wächst
Ralph Henger / Maximilian Stockhausen IW-Kurzbericht Nr. 55 3. Juli 2022

Gefahr der Energiearmut wächst

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Galoppierende Energiepreise setzen private Haushalte zunehmend unter finanziellen Druck. Hierdurch steigt die Gefahr von Energiearmut, die insbesondere Haushalte betrifft, die mehr als 10 % ihres Haushaltsnettoeinkommens für Heizen, Warmwasser und Strom ausgeben.

Neue Berechnungen zeigen, dass der Anteil der energiearmutsgefährdeten Haushalte, ohne Berücksichtigung staatlicher Hilfspakete, von 14,5 % im Jahr 2021 auf 25,2 % im Mai 2022 gestiegen ist. Aus diesem Grund sind die Maßnahmen der Bundesregierung in Form der Abschaffung der EEG-Umlage, der Energiepreispauschale und des Heizkostenzuschusses für Haushalte mit geringen Einkommen besonders wichtig.

Steigende Verbraucherpreise belasten die privaten Haushalte in Deutschland. Ein wesentlicher Teil dieser Belastung geht von enorm gestiegenen Energiepreisen aus (Beznoska et al., 2022). Hierdurch geraten Haushalte in Gefahr, ihre Ausgaben für Energie nicht mehr ohne fremde Hilfe decken zu können: Energiearmut droht, speziell für Geringverdienende oder Haushalte, die sich in schwierigen (Übergangs-)Phasen befinden (z.B. Arbeitslosigkeit, Renteneintritt, Alleinerziehende).

Konzepte zur Messung von Energiearmut

Sowohl in Deutschland als auch international besteht keine allgemeingültige Definition von Energiearmut. Objektive Maße setzen an den Ausgaben für Energie an, die oftmals ins Verhältnis zum Haushaltseinkommen gesetzt werden. So kann ein Haushalt als von Energiearmut bedroht gelten, wenn er mehr als 10 % seines Haushaltsnettoeinkommens für Energieausgaben aufwenden muss (Definition 1). Dazu zählen Ausgaben für Heizen, Warmwasseraufbereitung, Kochen und häufig auch Strom. Ausgaben für Pkw-Kraftstoffe zählen in aller Regel nicht dazu und werden auch hier nicht berücksichtigt (Broadman, 1991). Da neben der Ausgabenseite Energiearmut ein Einkommensproblem darstellt, wird die 10-%-Grenze häufig mit weiteren Kriterien kombiniert (Strünck et al., 2016). Naheliegend ist die Kombination mit der relativen Armutsrisikogrenze, die nach amtlicher Definition bei 60 % des mittleren bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommens der Bevölkerung liegt (Definition 2). Hierdurch gelingt es, Haushalte mit mittleren und hohen Einkommen auszublenden, die nicht einen Großteil ihres Einkommens für den Konsum und für Basisgüter wie Energie ausgeben müssen. Gleichwohl führt der Energiepreisanstieg auch zu hohen Belastungen bis weit in die Mittelschicht hinein. Daher wird hier ebenfalls eine weiter gefasste Abgrenzung betrachtet, in der die 10-%-Grenze neben den „Relativ Armen“ auch mit der „Unteren Mitte“ kombiniert wird (Definition 3, siehe Niehues/Stockhausen (2022) zur genauen Abgrenzung der Schichten).

Mit Hilfe der verschiedenen Messkonzepte lassen sich insbesondere Trends und Veränderungen über die Zeit aufzeigen. Zudem hat die Betrachtung von Energiearmut neben den etablierten Armutsdefinitionen speziell deswegen ihre Berechtigung, um gezielte Instrumente zum Einsatz bringen und untersuchen zu können (Strünck et al., 2016). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der alleinige Blick auf objektive Maße nicht abschließend sein kann. Speziell Berechnungen auf Basis von Verbrauchsausgaben haben den Nachteil, dass sie nicht immer den tatsächlichen Bedarf abbilden. So schränken sich Niedrigeinkommenshaushalte im Energieverbrauch häufig selbst ein, um ihre Kostenbelastung zu reduzieren, obwohl Energiebedarf und Ausgaben ohne finanzielle Einschränkungen höher ausfallen würden. Daher sollten neben objektiven Maßen auch subjektive Maße betrachtet werden (Drescher/Janzen, 2021).

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Datengrundlage

Datengrundlage ist die neueste Welle des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Diese enthält detaillierte Informationen zu den monatlichen Energieausgaben der Haushalte. Vergleichbare Informationen können ab 2016 genutzt werden. Ebenso enthält das SOEP Informationen zum Haushaltsnettoeinkommen (nach Steuern, Abgaben und Transferleistungen) im Befragungsjahr. Da für die Jahre 2021 und 2022 noch keine SOEP-Daten vorliegen, werden die aggregierten Gesamtausgaben für Energie (bestehend aus den monatlichen Ausgaben für Heizen, Warmwasser und Strom) der Haushalte mit dem Preisindex für Haushaltsenergie (Strom, Gas und andere Brennstoffe) des Statistischen Bundesamtes bis zum Mai 2022 mit einem Anstieg von 34,5 % (gegenüber 2021) bzw. 41,0 % (gegenüber 2020) fortgeschrieben. Für die Fortschreibung der monatlichen Haushaltsnettoeinkommen werden die geschätzten Veränderungsraten für das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte aus der Frühjahrsprognose 2022 der Bundesregierung verwendet. Unterschiede in den Veränderungsraten entlang der Einkommensverteilung bleiben dabei unberücksichtigt.

Betroffenheit von Energiearmut

Im Jahr 2016 gaben 18,3 % der Personen in Privathaushalten mehr als 10 % ihres Haushaltsnettoeinkommens für Energie aus (Abbildung). Dieser Anteil ist aufgrund fallender Energiepreise bis 2020 auf 13,6 % gesunken. 2020 ist das verfügbare Einkommen mit 0,8 % leicht gestiegen, während die Energiepreise mit -2,2 % leicht gesunken sind. 2021 stiegen die Einkommen um 2,5 % und damit weniger als die Energiepreise mit 4,7 %. Die Energiepreise zogen insbesondere zum Jahresende an und verteuerten sich zudem durch die 2021 eingeführte CO2-Bepreisung für Erdgas und Heizöl. Entsprechend stieg der Anteil der von Energiearmut bedrohten Personen im Jahr 2021 auf 14,5 %. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 beschleunigte sich die Dynamik weiter, so dass der Anteil auf 25,2 % im Mai 2022 stieg. Die enorme Zunahme verdeutlicht das erhöhte Energiearmutsrisiko. Gleichzeitig muss man sich bei der Interpretation der Daten bewusst machen, dass die Haushalte von den Energiepreissteigerungen sehr unterschiedlich betroffen sind, abhängig von der Beheizungsart, dem Energieversorger sowie der energetischen Qualität des Gebäudes. Hinzu kommt, dass Haushalte auch durch Verhaltensanpassungen reagieren, beispielsweise indem sie stärker auf das Einsparen von Energie achten. Die Quote kann daher eher als Obergrenze des Effekts steigender Energiepreise auf die Energiearmutsquote interpretiert werden.

Nach der 2. Definition liegt die Energiearmutsgefährdungsquote mit 8,3 % im Jahr 2016 auf einem niedrigeren Niveau als unter Definition 1. Das zeigt, dass ein Großteil der Personen mit hohen Energieausgaben nicht zwangsläufig aus dem Niedrigeinkommensbereich stammt. Nachdem die Quote bis 2019 auf 7,2 % sank, stieg sie bis zum Mai 2022 auf 10,4 % wieder an. Dabei nahm der Anteil von Personen aus dem Niedrigeinkommensbereich mit Energieausgaben über 10 % von 49 % (2021) auf 65 % (Mai 2022) stark zu. Nach der 3. Definition ergibt sich ein ähnliches Bild. Auch hier sank die Energiearmutsgefährdungsquote zwischen 2016 und 2020 von 13,4 auf 10,7 %. 2021 stieg die Quote leicht auf 11,3 %, ehe sie im aktuellen Jahr auf 16,8 % klettere. Hierbei hat sich der Anteil an Personen aus der „Unteren Mitte“ mit Energieausgaben über 10 % nahezu verdoppelt (von 21 % (2021) auf 41 % (Mai 2022)).

Gezielt entlasten

Die Ergebnisse zeigen, dass von den Energiepreisanstiegen alle Haushalte negativ betroffen sind. Dabei gilt grundsätzlich, dass die absoluten Energieausgaben mit dem Einkommen ansteigen. Der Unterschied zwischen den Klassen ist dabei jedoch geringer als in der öffentlichen Debatte suggeriert wird. Wie beschrieben, bestehen die Unterschiede vor allem innerhalb der Klassen und nicht zwischen den Klassen. Viel wichtiger und unterschiedlicher sind die relativen Energieausgaben, die mit steigendem Einkommen sinken. Während Personen aus armutsgefährdeten Haushalten im Mai 2022 im Durchschnitt 15,1 % ihres Einkommens für Energie ausgeben mussten, sind es in der „Unteren Mitte“ 10,2 % bei den „Relativ Reichen“ (Einkommen ≥250 % des Medians) nur 3,3 %. Gerade diese relativen Ausgabenanteile sind in den unteren Einkommensgruppen zwischen 2021 und Mai 2022 stärker gestiegen.

Insgesamt zeigt der Vergleich unterschiedlicher Armutsmaße, dass es schwer möglich ist, den Kreis der von Energiearmut bedrohter Personen einzugrenzen. Nichtsdestotrotz zeigen sich für alle Maße ähnliche zeitliche Veränderungen, die ein Handeln der Politik in dieser besonderen Zeit untermauern. Zudem wurde der Zusammenhang zwischen Energiearmut und Einkommensarmut deutlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Grundsicherungsempfänger im Rechtskreis des SGB II und XII bei steigenden Heizkosten in aller Regel nicht belastet sind, da die Mehrkosten über die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) erstattet werden. Beim Haushaltsstrom ist das anders, da er mit dem Regelbedarf abgedeckt wird. Hier gilt es, kurzfristige Hilfen anzubieten, bis die Regelsätze an das neue Preisniveau angepasst werden. Im besonderen Fokus stehen Haushalte oberhalb der Grundsicherungsgrenze. Da diese in der Regel wohngeldberechtigt sind, ist der einmalige Heizkostenzuschuss eine adäquate Maßnahme. Zudem sollte jedoch das Wohngeldsystem durch eine dauerhafte Bezuschussung der Heizkosten gestärkt werden, damit das Wohngeld zielgerichtet einen größeren Empfängerkreis unterstützen kann. Darüber hinaus ist es richtig, durch die Abschaffung der EEG-Umlage und der zu versteuernden Energiepreispauschale, besonders einkommensschwache Haushalte zu unterstützen.

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