Zum 1.1.2020 wird das Wohngeld nach vier Jahren wieder angehoben. Zudem kommt eine Dynamisierung, anhand der die Leistungen alle zwei Jahre automatisch an die Mieten- und Verbraucherpreisentwicklung angepasst werden. Die Reform stärkt dieses wichtige wohnungspolitische Instrument auf die richtige Weise. Jedoch sollte das Wohngeld in Zukunft noch weiter gestärkt werden, da es weiterhin gegenüber der Grundsicherung schwach ausgestaltet ist.
Wohngeldreform 2020: Stärkung eines vernachlässigten Instruments
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Zum 1.1.2020 wird das Wohngeld nach vier Jahren wieder angehoben. Zudem kommt eine Dynamisierung, anhand der die Leistungen alle zwei Jahre automatisch an die Mieten- und Verbraucherpreisentwicklung angepasst werden. Die Reform stärkt dieses wichtige wohnungspolitische Instrument auf die richtige Weise. Jedoch sollte das Wohngeld in Zukunft noch weiter gestärkt werden, da es weiterhin gegenüber der Grundsicherung schwach ausgestaltet ist.
Dem Wohngeld kommt im Kanon der verschiedenen sozialpolitischen Instrumente eine besondere Aufgabe zu. Zusammen mit dem Kinderzuschlag fungiert es als „Netz vor dem Netz“, mit dem der Bezug von Grundsicherungsleistungen vermieden werden soll. Die Grundsicherung ist vorgesehen für alle Haushalte, die mit ihrem verfügbaren Einkommen ihren für den allgemeinen Lebensunterhalt einschließlich Miete erforderlichen Bedarf nicht decken können. Wohngeld ist für all diejenigen, die über ein wenig mehr als dieses Einkommen verfügen, also Haushalte mit geringem Erwerbseinkommen, kleinen Altersrenten oder Beziehern von Arbeitslosengeld I (ALG I). Während Ende 2017 1,31 Mio. Personen Wohngeld bezogen, erhielten 5,98 Mio. Personen Leistungen nach SGB II (Arbeitslosengeld II) und 2,54 Mio. Personen nach SGB XII (Sozialhilfe) (Bundesagentur für Arbeit; Statistisches Bundesamt). Das entspricht insgesamt einer Quote von 10,3 Prozent. Wohngeld führt mit einer Quote von 1,6 Prozent im Vergleich zur Grundsicherung ein Nischendasein.
Die Höhe des Wohngeldes ist nach dem Wohngeldgesetz abhängig von der Haushaltsgröße, der Wohnkostenbelastung und dem Einkommen. Es steigt mit der zu berücksichtigenden Miete und sinkt mit dem anrechenbaren Einkommen. Vielen unbekannt ist, dass Wohngeld nicht nur die Miete bezuschusst, sondern auch die Belastungen für selbst genutztes Wohneigentum. Das Wohngeld berücksichtigt regionale Mietunterschiede durch die so genannten Höchstbeträge, die je nach Zugehörigkeit einer Kommune zu den aktuell sechs Mietenstufen unterschiedlich hoch sind. Übersteigt die tatsächliche Miete oder Belastung den Höchstbetrag, dann wird nur der Höchstbetrag zur Berechnung des Wohngeldes herangezogen. Das bedeutet, dass das Wohngeld mit zunehmender Miete solange steigt, bis der Höchstbetrag erreicht ist.
Reformbestandteile. Bei steigenden Mieten und Verbraucherpreisen muss das Wohngeld nach einer gewissen Zeit an die neuen Verhältnisse angepasst werden. Dies ist zuletzt in den Jahren 2001, 2009 und 2016 geschehen (BBSR, 2016). Aufgrund der starken Mietdynamiken in vielen Großstädten werden nun nach einem relativ kurzen zeitlichen Abstand wieder folgende Änderungen vorgenommen (Kabinettsbeschluss vom 8.5.2019; BMI, 2019):
1) Den Zusammenhang zwischen Wohngeldanspruch, Wohnkosten und Einkommen beschreibt die Wohngeldformel (§ 19 WoGG). Die Parameter dieser Formel werden angepasst, sodass sich die Zahl der Wohngeldempfänger erhöht, sich die Arbeitsanreize verbessern und insgesamt die Leistungen angehoben werden. Konkret wird der Parameter b um die voraussichtliche Entwicklung der Bruttokaltmieten abgezinst (8,71% vom 31.12.2015 bis 31.12.2019). Um die Reichweite des Wohngelds zu erhöhen und die Arbeitsanreize zu verbessern wird der Parameter c nicht nur um die voraussichtliche Entwicklung der Verbraucherpreise abgezinst (entspricht 6,17%), sondern um 17 Prozent.
2) Die Miethöchstbeträge werden nach den erwarteten Mietentwicklungen in den einzelnen Mietenstufen angehoben. Die Anhebungssätze liegen zwischen 8,22 Prozent (Mietenstufe I) und 10,16 Prozent (Mietenstufe VI). Hierdurch wird den stärker wachsenden Mieten in den Ballungszentren Rechnung getragen. Zudem wird eine weitere Mietenstufe für Städte und Gemeinden mit besonders hohen Mietenniveaus eingeführt (Mietniveau >135%). Die Höchstbeträge dieser neuen Mietenstufe VII liegen 10 Prozent über den Höchstbeträgen der Mietenstufe VI. Alle Kommunen werden den Mietenstufen neu zugeordnet. Der Höchstbetrag liegt bei einem Einpersonenhaushalt in Mietenstufe I beispielsweise bei 312 Euro, in Mietenstufe VI (z.B. Köln) bei 522 Euro. Ab nächstem Jahr steigt der Höchstbetrag in Mietenstufe I auf 338 Euro und in Mietenstufe VI auf 575 Euro. In der neuen Mietenstufe VII (z.B. München) werden 633 Euro Bruttokaltmiete pro Monat anerkannt.
3) Das Wohngeld wird ab dem 1.1.2022 automatisch alle zwei Jahre an die Preis- und Mietentwicklung angepasst. Hierdurch bleibt die Leistungsfähigkeit des Wohngeldes über die Zeit erhalten. Mit jedem Jahr, in dem die Wohngeldparameter unverändert bleiben, wachsen Wohngeldempfänger bei nominal steigenden Einkommen aus dem Wohngeldbezug heraus oder wechseln aufgrund der jährlich steigenden Regelsätze zur Grundsicherung.
Reformwirkungen. Durch die Reform steigt das Wohngeld für die bestehenden Empfängerhaushalte. Gleichzeitig weitet sich auch der Empfängerkreis aus. Ohne Reform würde die Zahl der reinen Wohngeldhaushalte nach dem IW-Mikrosimulationsmodell auf 449.000 bis zum Jahr 2020 sinken (Die Berechnungen wurden im Auftrag des BMI/BBSR durchgeführt, siehe Abbildung). Durch die Reform werden die Wohngeldhaushalte um 178.000 (+40%) steigen. Die Ausgaben für Bund und Länder werden etwas stärker auf vorraussichtlich 1,19 Mrd. Euro (+38%) zulegen. Für reine Wohngeldhaushalte, die bereits vor der Reform wohngeldberechtigt waren, wird das Wohngeld ab 2020 um durchschnittlich 49 auf 196 Euro im Monat steigen. Die Wirkungen sind dabei je nach Haushaltsgröße sehr unterschiedlich. Von den neuen Wohngeldhaushalten haben 24.000 zuvor SGB II oder SGB XII bezogen. Diese Wechsler können mit einem durchschnittlichen Wohngeld in Höhe von 155 Euro rechnen. Die neuen Haushalte am oberen Einkommensrand erhalten aufgrund des relativ hohen Einkommens mit durchschnittlich 46 Euro relativ wenig Wohngeld. Insgesamt steigt das Wohngeld für alle Haushalte von 147 auf 158 Euro.
Beurteilung. Mit der Anhebung der Wohngeldleistungen werden zwei Ziele erreicht. Als erstes wird die Realwertsicherung gewährleistet. Diese leitet sich aus der Logik der Wohngeldformel ab, die an der Wohnkostenbelastung der Haushalte ansetzt. Dementsprechend sind die inflationsbedingten Realwertverluste des – nach Miete und Wohngeld – verbleibenden Einkommens auszugleichen. Als zweites wird das Wohngeld gestärkt, indem die Transferentzugsrate von 45 auf 41 Prozent gesenkt wird, sodass sich die positiven Arbeitsanreize erhöhen. Hierdurch verbessert sich das Wohngeld insbesondere im Vergleich zur Grundsicherung, in der durch den Erwerbstätigenfreibetrag eine Transferentzugsrate von 80 auf 90 Prozent wirkt. Zudem wird die Reichweite des Wohngeldes erhöht, da durch die Abflachung der Transferentzugsrate auch höhere Einkommen Wohngeld erhalten. Durch die Anhebung der Höchstbeträge und der Einführung einer siebten Mietenstufe wird den starken Mietpreissteigerungen der letzten Jahre Rechnung getragen. Insbesondere reflektiert die Einführung einer siebten Mietenstufe die zunehmende regionale Spreizung der bundesdeutschen Mietlandschaft. Die Höchstbeträge können damit die regionalen Mietniveaus besser abbilden. Auch dürfte die Zahl der Haushalte weiter sinken, deren tatsächliche Miete die anerkannte Miete übersteigt. Bei der nächsten Reform ist es jedoch erforderlich, die Mietenstufensystematik konzeptionell neu zu kalibrieren, um die Einteilung der Mietenstufen und die Höhe und Relation der Höchstbeträge auf Basis der Statistik der Wohngeldhaushalte festzulegen, was zuletzt in den 1990er Jahren geschah. Mit der Dynamisierung wird die beschriebene Realwertsicherung aufrechterhalten. Dies dürfte zu erheblichen Einsparungen bei den Behörden und weniger Ärger bei den Antragstellern führen. Schließlich war es bislang so, dass das System bis zur nächsten Reform enorm an Reichweite verlor, sodass die Wohngeldbehörden Personal auf- und abbauen und viele Haushalte zwischen der Grundsicherung und dem Wohngeld hin- und herwechseln mussten. Ein Turnus von zwei Jahren erscheint sachgemäß, um den Verwaltungsaufwand der Behörden zu begrenzen, die das Wohngeld in jedem Einzelfall neu ermitteln müssen. In Zukunft sollte das Wohngeld weiter gestärkt werden. Ziel muss es sein, insbesondere Haushalte, die ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften und nur wegen ihrer Wohnkosten auf aufstockende Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, in das Wohngeldsystem zu integrieren. Aufgrund der relativ schlanken Verwaltung des Wohngeldes hätte dies sowohl Vorteile für den Staat als auch die Antragsteller, die vielfach aufgrund des hohen Aufwands die Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Ein Problem ist hierbei, dass das Wohngeld und der Kinderzuschlag von Familien unabhängig voneinander beantragt werden müssen. Beide Systeme sollten zukünftig deutlich besser aufeinander abgestimmt oder zusammengeführt werden, damit mehr Menschen diese Leistungen erhalten.
Ralph Henger / Judith Niehues: Wohngeldreform 2020 – Stärkung eines vernachlässigten Instruments
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