TikTok folgt nicht den Gesetzmäßigkeiten inhaltlicher Virulenz. Themen, wie Wirtschafts- oder Migrationspolitik, die junge Menschen zuletzt umgetrieben haben, spielen im Europawahlkampf eine untergeordnete Rolle.
Strack-Zimmermann schlägt AfD – Der TikTok-Europawahlkampf
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
TikTok folgt nicht den Gesetzmäßigkeiten inhaltlicher Virulenz. Themen, wie Wirtschafts- oder Migrationspolitik, die junge Menschen zuletzt umgetrieben haben, spielen im Europawahlkampf eine untergeordnete Rolle.
Stattdessen dominiert neben clownesker Selbstdarstellung das Blame-Game mit der AfD. Ausschlaggebend für Erfolge bei den Followern sind häufig einzelne Accounts. Meisterhaft bedient etwa Marie-Agnes Strack-Zimmermann das Spiel mit den Videos. Die FDP schlägt damit sogar eine gedrosselte AfD.
Nur ein einziges Video reichte Donald Trump, um aus dem Stand eine Followerschaft von über 3 Millionen Menschen für seinen neu angelegten TikTok-Account zu gewinnen. Auch der 28-jährige Jordan Bardella, Europawahl-Spitzenkandidat der französischen rechtspopulistischen Partei Rassemblement National, ist ein Superstar auf der Videoplattform. Sein Account weist 1,3 Millionen Follower auf; seine Videos haben 30 Millionen Likes erzielt. Tatsächlich erfreut sich der junge Franzose gerade bei den Jüngeren einer besonderen Beliebtheit. Bis zu 40 Prozent der 18- bis 34-Jährigen würden ihm ihre Stimme geben (Meister, 2024). Maximilian Krah, der auf Platz 1 der AfD-Europaliste steht, eifert diesem Erfolg nach. Von sich selbst, behauptet er, er sei der „vermutlich beliebteste Politiker der jungen Deutschen“ (Krah in Frasch, 2024). Mäße sich diese Beliebtheit an den Followerzahlen auf TikTok, läge er mit dieser Aussage nicht ganz daneben. Damit hat Krah unter den EP-Kandidierenden der großen Parteien mit 49.000 die meisten Followern auf der Videoplattform – auch wenn er damit weit von Trump oder Bardella abfällt.
Im Vorfeld der Europawahl bleibt aufgrund methodischer Unterschiede bei den Befragungen unscharf, wie stark die AfD in den jüngeren Bevölkerungskohorten abschneidet (Schieritz, 2024). Unstrittig ist jedoch, dass die Partei bei den Erstwählenden, die in der Bundestagswahl 2021 noch klar von FDP und Grünen dominiert wurde, deutlich an Zuspruch gewonnen hat. Damals hatten gerade einmal 6 Prozent dieser Gruppe der AfD ihre Stimme gegeben. Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern waren es 15 bzw. 16 Prozent. Neben vielen relevanten sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Charakteristika unterscheiden sich die demographischen Gruppen nach ihrem Mediennutzungsverhalten. Dies gilt auch für TikTok, das in Deutschland von über 20 Millionen Menschen monatlich genutzt wird, bei jüngeren Alterskohorten aber deutlich beliebter ist: Unter Jugendlichen zählt jeder Vierte TikTok unter seine drei beliebtesten Apps; jeder Zweite gibt an, TikTok täglich oder mehrmals die Woche zu nutzen; 30 Prozent nutzen die dortigen Informationen, um sich „über das Weltgeschehen“ zu informieren (mpfs, 2023).
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Bekannt ist, dass insbesondere die AfD die Klaviatur der sozialen Medien beherrscht (Hillje, 2024). Einer Untersuchung harren jedoch bislang der Europawahlkampf sowie die unterschiedlichen inhaltlichen Einschläge der Parteien in ihren Videobotschaften. In welchem Ausmaß spielen politische Botschaften dort überhaupt eine Rolle? Stellvertretend für diese Frage steht nicht zuletzt das am meisten gelikte Video des deutschen Europawahlkampfs, in dem die liberale Spitzenkandidatin, Marie-Agnes Strack-Zimmermann klarstellt, dass Pommes mit Ketchup ihr persönliches „Kartoffel-Rating“ anführen; ein Gnocchi Gericht landet auf Platz 10.
Dabei hatte zuletzt die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ (Schnetzer, 2024) für Aufmerksamkeit gesorgt. Neben der methodisch kontroversen hohen AfD-Wahlneigung der 14- bis 29-jährigen, lassen sich unter den wichtigsten Themen mit Inflation, Wohnraum, Altersarmut, Wirtschaftskrise und Renten gleich fünf Politikfelder mit wirtschaftlichem Bezug identifizieren. Die Liste komplettiert sich durch die Themen Krieg, Klimawandel, Rechtsextremismus und Migration.
Im Rahmen der vorliegenden Analyse wurde die TikTok-Präsenz der jeweils ersten zehn Kandidierenden auf den Europa-Wahllisten während des Europawahlkampfes untersucht (siehe Methodik). Im Untersuchungszeitraum entfallen mit 272 von insgesamt 774 Videos die meisten auf die SPD – allein die Spitzenkandidatin Katarina Barley ist für 112 Uploads verantwortlich. Es folgen die Kandidierenden von den Grünen mit 153 Videos, den Linken mit 132 Videos, der FDP mit 107 Videos und der AfD mit 72 Videos. Die wenigsten Videos (38) entfallen auf die Unionsparteien.
Inhaltlich werden verschiedene Themen adressiert. Mit Abstand die meisten Videos (177 / 23 Prozent) befassen sich mit der AfD. Entweder werden Vorwürfe gegen die Partei vorgetragen („populistischer Nationalismus“, „Korruptionsskandal“, „faschistische Partei“) oder AfD-Politiker verteidigen sich gegen diese Vorwürfe („wahnsinnige Unterdrückung jeglicher Opposition“, „Schauprozess“, „die wahren Faschisten sind die SPDler“). An zweiter Stelle steht der Themenkomplex EU mit (93 / 12 Prozent), gefolgt vom Thema Klimawandel (76 / 10 Prozent). Persönliches zu den Kandidierenden – wie das beschriebene Kartoffelrating – machen 9 Prozent aller Uploads aus. Der Krieg in Europa und Nahost ist mit 8 Prozent auf dem fünften Platz vertreten, während Wirtschaftsthemen mit 6 Prozent lediglich auf Platz sechs folgen, vor identitätspolitischen Statements mit 5 Prozent. Auf dem letzten Platz liegt das Thema Migration mit gerade einmal 20 Videos. Knapp ein Drittel lässt sich keiner Kategorien zuordnen.
Schon der Blick auf die Anzahl der Videos zeigt, dass der Streit um die AfD im Vergleich zu den laut Trendstudie für die Jugend als wichtig identifizierten Themen überwiegt. Diese Lesart verschärft sich noch, nimmt man die Beliebtheit der Videos („Likes“) in den Blick: Entgegen den Erwartungen liegt nicht die AfD, sondern die FDP vorne. Das liegt an der bereits benannten liberalen Frontfrau, Strack-Zimmermann, die über 95 Prozent der insgesamt 183.000 FDP-Likes auf sich versammelt. Dabei erreicht sie ihre Anhängerschaft nicht nur mit humoristischen Beiträgen über ihre eigene Person, sondern ebenso mit ihren Botschaften zum russischen Krieg in der Ukraine. Videos, die sich kritisch mit der AfD auseinandersetzen, bekommen insgesamt 56.000 Likes. Die AfD folgt auf dem zweiten Platz mit 147.000 Likes. Der vormalig so erfolgreiche TikToker Maximilian Krah kann mit seinen 31 Videos zusammengenommen nicht einmal 7.000 Likes beisteuern. Hintergrund ist eine Reichweiteneinschränkung aufgrund von Verstößen gegen die TikTok-Plattformregeln. Inhaltlich erzielt die Partei fast 86 Prozent ihrer Resonanz (127.000 Likes) mit dem Verteidigen der eigenen Legitimität. Thematisiert wird die Presselandschaft, die Verfassung der Demokratie und die vermeintliche Diffamierung von Partei und Anhängerschaft. Das zweiterfolgreichste TikTok-Video stammt von AfD MdB Petr Bystron, in dem dieser einem SPIEGEL-Journalisten vorwirft, von Bill Gates bezahlt zu werden. Des Weiteren stechen nur die Videos, die sich mit dem russischen Krieg in der Ukraine befassen mit 10.000 Likes heraus.
Bei Grünen und SPD ist auffällig, wie stark die Präsenz auf TikTok über die Diskussion um die AfD getrieben ist. 72 Prozent bzw. 46 Prozent der Likes gehen auf entsprechende Videos zurück. Mit dem traditionellen Schwerpunktthema Klimawandel, dringen die Grünen ebenso wenig durch, wie die SPD mit Wirtschaftsfragen. SPD-TikToker dominieren dafür den Themenkomplex Europäische Union (7.000 Likes). Das liegt auch an der Präsenz der Spitzenkandidatin Katharina Barley, auf die rund die Hälfte der SPD-Likes zurückgehen. Die Linke dominiert den Themenbereich "Krieg in Europa und Nahost" (28.000 Likes). Die Union findet nicht statt.
Für die Untersuchung der Aktivitäten von Politikerinnen und Politikern auf TikTok während des Europawahlkampfs wurden zunächst die TikTok-Accounts der ersten zehn Listenkandidatinnen und -kandidaten der relevanten Parteien gesammelt. Eine Ausnahme bildet hier die CDU/CSU, die mit 16 Landeslisten für die Europawahl angetreten ist. Hier wurde jeweils die erste Kandidatin bzw. der erste Kandidat der Landeslisten betrachtet. Über die „TikTok Research API“ wurden dann generelle Informationen zu den Accounts (z. B. Followerzahl oder die gesamte Anzahl an Likes) und spezifische Informationen über die geteilten Inhalte erhoben (z. B. Anzahl an Likes, Beschreibung der Videos oder verwendete Hashtags). Während die Account-übergreifenden Informationen live mitgeschrieben werden, hat der API-Endpunkt für die Videoinhalte und Statistiken 48 Stunden Verzug. Die Videos wurden für den Zeitraum vom 1.01.2024 bis zum 23.05.2024 untersucht. Für die Zuordnung der einzelnen Videos zu den verschiedenen Themengruppen wurde auf die Transkription der Videos in Textform zurückgegriffen. Diese ist teilweise über die TikTok-Research-API abrufbar, wird aber nur zur Verfügung gestellt, wenn die Nutzerinnen und Nutzer dies explizit erlauben. Da bei knapp 43 Prozent der Videos keine Transkription abrufbar war, wurden alle Videos heruntergeladen und über eine Machine Learning Pipeline mit Whisper von OpenAI transkribiert. Im Anschluss wurden alle Videos manuell den verschiedenen Themen zugeordnet und die entsprechenden deskriptiven Statistiken berechnet.
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