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Markos Jung IW-Kurzbericht Nr. 12 15. Februar 2018 Hat die EU ein digitales Handelsdefizit gegenüber den USA?

Laut US-Handelsstatistik hatte die EU 2014 ein digitales Handelsbilanzdefizit gegenüber den USA von rund 56,5 Milliarden US-$. Europäische Handelsstatistiken geben jedoch einen digitalen Überschuss der EU von 13,8 Milliarden US-$ gegenüber den USA an. Eindeutige Ergebnisse, die politisch im Handelsstreit für die deutsche Seite Entlastung versprechen, lassen sich derzeit nicht mit der gebotenen Solidität gewinnen.

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Hat die EU ein digitales Handelsdefizit gegenüber den USA?
Markos Jung IW-Kurzbericht Nr. 12 15. Februar 2018

Hat die EU ein digitales Handelsdefizit gegenüber den USA?

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Laut US-Handelsstatistik hatte die EU 2014 ein digitales Handelsbilanzdefizit gegenüber den USA von rund 56,5 Milliarden US-$. Europäische Handelsstatistiken geben jedoch einen digitalen Überschuss der EU von 13,8 Milliarden US-$ gegenüber den USA an. Eindeutige Ergebnisse, die politisch im Handelsstreit für die deutsche Seite Entlastung versprechen, lassen sich derzeit nicht mit der gebotenen Solidität gewinnen.

Die zunehmende Digitalisierung der Dienstleistungsbranchen stellt Handelsstatistiker vor besondere Herausforderungen. Während klassische Dienstleistungen eine physische Präsenz beim Konsumenten voraussetzen, ist dies in der digitalen Ökonomie nicht mehr vonnöten. So kamen laut US-Handelsstatistik im Jahr 2016 rund 54 Prozent der Dienstleistungsexporte und 48 Prozent der Dienstleistungsimporte der USA aus dem Bereich der potentiell durch Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) gestützten Dienstleistungen. Im Jahr 2000 waren es noch 42 Prozent der Exporte bzw. 33 Prozent der Importe.

Digitale Dienstleistungen rücken damit in den Fokus handelspolitischer Debatten. So war in letzter Zeit vermehrt von einem durchaus beachtlichen digitalen Handelsdefizit der EU gegenüber den USA die Rede. (Fratzscher und Hommels, 2017, Pflüger, 2017). Insbesondere in Bezug auf die Debatte um die deutsche Exportstärke scheint eine eklatante Schwäche in zukunftsträchtigen Bereichen als ein gutes handelspolitisches Argument zu dienen.

Bei der Erfassung des Umfangs digitaler Dienstleistungen steckt die Handelsstatistik jedoch in den Kinderschuhen. Die diesbezüglichen Herausforderungen erstrecken sich von der Definition digitaler Dienstleistungen über Messprobleme bis hin zu Widersprüchen zwischen verschiedenen Datenquellen.

Keine eindeutige Definition

Die UNCTAD definiert digitale Dienstleistungen als alle Dienstleistungen, die tatsächlich über IKT-Netzwerke erbracht werden (Sturgeon et al., 2015). In die UNCTAD-Klassifizierung der potentiell IKT-gestützten Dienstleistungen fließen aber zusätzlich alle Dienstleistungen mit ein, die digital erbracht werden könnten . Dies beinhaltet neben den klassischen IKT-Sektoren beispielsweise auch sämtliche Dienstleistungen des Finanz- oder Bildungswesens. Die Gruppe der potentiell IKT-gestützten Dienstleistungen stellt somit lediglich eine Potentialabschätzung des digitalen Handels dar, wohingegen die IKT-Sektoren den tatsächlichen Umfang unterschätzen.

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Hier zeigen sich zwei grundlegende Probleme der definitorischen Abgrenzung des digitalen Handels: Erstens umfassen einige Kategorien der Klassifikation des Dienstleistungsverkehrs sowohl digitale als auch klassische Dienstleistungen, zum Beispiel Ingenieurdienstleistungen. Zweitens ist die Grenze zwischen digitalen Waren und Dienstleistungen zum Teil fließend, insbesondere im Bereich der Softwareentwicklung (Kuhn, 2003).

Nicht alle Dienstleistungen erfasst

Ein Großteil der Dienstleistungen wird nicht von der Handelsstatistik erfasst, weil er über ausländische Firmensitze in der EU bzw. den USA erbracht wird. So wurden laut Eurostat im Jahr 2013 rund 69 Prozent aller Dienstleistungen von EU-Unternehmen, die außerhalb der Europäischen Union erbracht wurden, durch Handelsniederlassungen im Ausland erbracht.

Hier offenbart sich ein grundlegendes Problem der Zuordnung von Gewinnen innerhalb multinationaler Unternehmen, das sich aber insbesondere bei immateriellen Gütern stellt. Zugrunde liegt die Frage, an welchem Ort Wertschöpfung entsteht: beim Hauptsitz, bei den Produktionsstandorten, beim Verkaufsort, beim Sitz des Konsumenten oder der Forschungsabteilung? Dieses Thema, vornehmlich eine Angelegenheit der Verbuchung von Verrechnungspreisen in der Steuerpolitik, betrifft durch die zunehmende Digitalisierung nun mehr und mehr auch die Handelsstatistik.

Bei einer korrekten Abbildung der Wertschöpfungsanteile durch entsprechende Verrechnungspreise würden Umsätze von Auslandsniederlassungen nicht ins Gewicht fallen, da alle innerbetrieblichen Vorleistungen entsprechend von den Handelsstatistiken erfasst würden. Allerdings sind digitale Vorleistungen schwer quantifizierbar und digitale Dienstleistungen oftmals leicht und kostengünstig skalierbar. Es ist daher fraglich, ob heutige Transferpreise die innerbetrieblichen Wertschöpfungsanteile in der digitalen Ökonomie vollumfänglich abbilden (Olbert und Spengel, 2017).

Widersprüchliche Handelsstatistiken

Deutlich werden die oben beschriebenen Definitions- und Messungenauigkeiten beim Vergleich der verschiedenen Handelsstatistiken: Insbesondere die EU-Angaben der Exporte in die USA im Bereich potentiell IKT-gestützter Dienstleistungen unterscheiden sich grundlegend von den US-Angaben der Importe aus der Europäischen Union. Die Gründe hierfür liegen vor allem darin, dass ein Export leichter zu kategorisieren ist als ein Import. Hinzu kommen unterschiedliche Klassifizierungen und Messmethoden der statistischen Behörden (Nicholson, 2016).

Hat die EU ein digitales Handelsdefizit gegenüber den USA?

Gemäß Fratzscher und Hommels (2017) betrug das digitale Handelsdefizit der EU mit den USA 2014 ca. 68 Milliarden US-$. Laut Bureau of Economic Analysis lag das EU-US-Handelsdefizit im Bereich potentiell IKT gestützter Dienstleistungen jedoch nur bei 56,5 Milliarden US-$. Betrachtet man lediglich die tatsächlichen IKT-Dienstleistungen, so schrumpft der US-Handelsüberschuss gegenüber der EU auf 11,7 Milliarden US-$. Laut EU-Angaben in der OECD-Handelsstatistik hatte die EU gegenüber den USA 2014 im Bereich potentiell IKT-gestützter Dienstleistungen sogar einen Überschuss von 13,8 Milliarden US-$. Ist davon auszugehen, dass Exportdaten eine höhere Qualität als Importdaten haben, so beträgt der EU-Überschuss 36,7 Milliarden US-$ (Abbildung).

Hinzu kommen Dienstleistungen, die über Niederlassungen im Ausland erbracht werden und deren Vorleistungen nicht korrekt durch Transferpreise erfasst sind. Die Datenlage hierzu ist naturgemäß bruchstückhaft. Jedoch betrugen laut BEA 2014 die Umsätze von US-Niederlassungen in der EU alleine im Bereich Informationsdienste rund 157,7 Milliarden US-$. Im selben Jahr verkauften EU-Niederlassungen in den USA lediglich Informationsdienstleistungen im Wert von rund 55,3 Milliarden US-$, sodass sich hier ein theoretisches EU-Defizit von 102,4 Milliarden US-$ ergäbe. Laut Eurostat hatte die EU gegenüber den USA im Bereich der über Auslandsniederlassungen erbrachten Informations- und Kommunikationsdienstleistungen sogar ein Defizit von 152,8 Milliarden US-$. Welcher Anteil hiervon tatsächlich einer Wertschöpfung in den USA zugerechnet werden kann, ist unklar (OECD, 2016).

Insgesamt ergibt sich für die Frage des digitalen Handelsdefizits der EU eine heterogene Datenlage. Eindeutige Ergebnisse, die politisch im Handelsstreit für die deutsche Seite Entlastung Versprechen, lassen sich nicht gewinnen.

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