Grünes Ammoniak gilt als Wegbereiter für den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Importiert aus wind- und sonnenreichen Regionen kann es im Zielland etwa die fossile Ammoniakproduktion ersetzen oder wieder in Wasserstoff aufgetrennt werden. Anhand der heutigen Handelsmengen und angekündigter Projekte kann das zukünftige Potenzial abgeschätzt werden.
Welche Rolle kann grünes Ammoniak bei der Dekarbonisierung Deutschlands spielen?
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Grünes Ammoniak gilt als Wegbereiter für den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Importiert aus wind- und sonnenreichen Regionen kann es im Zielland etwa die fossile Ammoniakproduktion ersetzen oder wieder in Wasserstoff aufgetrennt werden. Anhand der heutigen Handelsmengen und angekündigter Projekte kann das zukünftige Potenzial abgeschätzt werden.
Ammoniak (NH3) ist einer der wichtigsten Grundstoffe der chemischen Industrie und Ausgangsstoff vor allem für Dünger aber auch für Kühlmittel oder Arzneien. Produziert wird die Stickstoffverbindung bisher über den Einsatz fossiler Energieträger wie Erdgas und – vor allem in China – besonders emissionsintensiver Kohle. Die energieintensive Ammoniakproduktion verursacht pro Tonne deutlich mehr CO2 als etwa Stahl oder Zement und ist für circa 1 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Durch die wachsende Weltbevölkerung und die steigende Nachfrage nach Düngemitteln wird in Zukunft eine weiter zunehmende Produktion erwartet.
Direkte Nutzung als Substitut
Die Dekarbonisierung der Ammoniakproduktion ist eine der zentralen Aufgaben auf dem Weg zur Einhaltung der Pariser Klimaziele. Der vielversprechendste Lösungsansatz ist die Substitution des bisherigen fossilen („grauen“) Ammoniaks durch klimafreundliches („grünes“) Ammoniak. Für dessen Produktion wird zunächst grüner Wasserstoff per Wasserelektrolyse unter Einsatz erneuerbaren Stroms erzeugt und dieser im Anschluss zusammen mit Stickstoff aus der Luft zu Ammoniak synthetisiert. Das auf diese Weise hergestellte grüne Ammoniak kann im Anschluss dort eingesetzt werden, wo heute fossiles Ammoniak zur Produktion von Folgeprodukten wie Harnstoff eingesetzt wird. Da für die Harnstoffproduktion zusätzlich CO2 benötigt wird, welches bisher als Nebenprodukt der fossilen Wasserstoffproduktion anfällt, müssen bei der Substitution von Ammoniak in integrierten Produktionsanlagen neue CO2-Quellen bereitgestellt werden. Welche Auswirkungen diese Umstellung auf die notwendige CO2-Transportinfrastruktur, die Lagerhaltung und die Kosten der Produktion an den verschiedenen Standorten hat, ist noch nicht absehbar.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Debatte um die Zukunft der energieintensiven Grundstoffproduktion in Deutschland wird das Thema grüne Ammoniakimporte in den nächsten Jahren weiter an Relevanz gewinnen. Eine Studie von Bähr et al. (2023) erwartet etwa langfristige Energiekostennachteile der deutschen Grundstoffproduktion gegenüber anderen Ländern, die eine Erhöhung energieintensiver Vorleistungsimporte erforderlich machen könnten.
<iframe class="everviz-iframe" src="https://app.everviz.com/embed/J0_u_vZLV/?v=20" title="Chart: Projekte für grünes Ammoniak " style="border: 0; width: 100%; height: 500px"></iframe>
Indirekte Nutzung als Wasserstoffträger
Neben der direkten Nutzung des grünen Ammoniaks als Substitut, erfährt die indirekte Nutzung als Wasserstoff-träger seit einigen Jahren zunehmende Aufmerksamkeit. Dafür wird das grüne Ammoniak verschifft und im Zielland in einem Ammoniakcracker wieder in Stickstoff und Wasserstoff aufgespalten, der so erhaltene Wasserstoff kann im Anschluss in ein Wasserstoffnetz eingespeist werden. Großtechnische Ammoniakcracker sind bisher zwar noch nicht kommerziell verfügbar, europaweit sind aber zwei Großprojekte geplant: ein Cracker im Hafen von Rotterdam und ein Cracker in Wilhelmshaven, dessen anvisierte Kapazität knapp dem vierfachen der heutigen deutschen Ammoniakimporte entsprechen würde (Irena, 2022).
Wie groß die Erwartungen an Ammoniak als Wasserstoffträger sind, zeigt sich in der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (Juli 2023), in der die langfristige Umrüstung der geplanten LNG-Terminals auf Ammoniak ebenso diskutiert wird wie der Aufbau inländischer Transportrouten. Besonders in der Wasserstoffhochlaufphase bis 2030 könnte Ammoniak nach Ansicht der Bundesregierung der entscheidende Wegbereiter für erste schiffsbasierte Wasserstoffimporte sein. Angekündigte Kooperationen zwischen deutschen und australischen Unternehmen zur Lieferung von grünem Ammoniak sowie Pläne zum Bau geeigneter Importterminals in Brunsbüttel und Hamburg untermauern diese politischen Ambitionen. Für Ammoniak als Wasserstoffträger spricht dabei vor allem die weltweit etablierte Transportinfrastruktur. Unsicherheiten hinsichtlich des zukünftigen Potenzials ergeben sich dagegen durch die heute nur moderaten weltweiten Handelsmengen und die geringe Anzahl angekündigter Projekte zur Erzeugung von grünem Ammoniak.
Handelsmengen sind überschaubar
Die weltweite Ammoniakproduktion lag im Jahr 2021 bei rund 185 Millionen Tonnen (Deutschland: 2,5 – 3,0 Mio. t). Nennenswerte Exporteure waren Russland, Trinidad und Tobago sowie Saudi-Arabien; wesentliche Importeure neben der EU die USA und Indien. Ein Rückgang der Ammoniakproduktion in Deutschland ist daher auch mit der Frage nach neuen kritischen Importabhängigkeiten verbunden. Bisher importierte Deutschland etwa ein Viertel bis ein Fünftel seines Bedarfs, das meiste davon aus den Niederlanden, Trinidad und Tobago sowie Russland.
Seit 2010 wurden jährlich etwa 10 bis 12 Prozent der weltweiten Ammoniakproduktion gehandelt, die Weiterverarbeitung vor Ort zu Folgeprodukten ist im Vergleich zum internationalen Handel weit bedeutsamer und der Handelsanteil von Folgeprodukten wie Dünger etwa doppelt so hoch. Ammoniaktransporte bedeuten dabei vor allem Stickstofftransporte (Wasserstoffgehalt in Ammoniak: 0,178 Prozent). Die derzeit weltweit gehandelten Mengen Ammoniak entsprechen so knapp 3 Millionen Tonnen Wasserstoff (100 Terawattstunden). Zum Vergleich: die Nationale Wasserstoffstrategie erwartet allein in Deutschland bis 2030 einen Gesamtwasserstoffbedarf von 95 bis 130 Terawattstunden. Dies wirft die Frage auf, inwiefern die derzeitige Infrastruktur eine ausreichend schnelle Steigerung von Handelsmengen nach Deutschland erlaubt.
Grünes Ammoniak bleibt vorerst knapp
Weltweit entstehen zunehmend Projekte zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Während viele dieser Anlagen ausschließlich Wasserstoff produzieren, gehen andere Projekte einen Schritt weiter und setzen direkt auf Derivate wie Ammoniak. Um einen Überblick über die zukünftig zu erwartende Produktion an grünem Ammoniak zu bekommen, wurde die Wasserstoffprojektdatenbank der IEA ausgewertet (siehe Abbildung). Im Ergebnis zeigt sich, dass insgesamt Projekte mit einer Leistung von 73,5 Gigawatt (41 Gigawatt bis 2030) angekündigt sind, die auf Ammoniak als einziges Produkt setzen. Mit Blick auf den Status der identifizierten Projekte zeigt sich, dass die Projekte in Betrieb, im Bau und mit positiver Investitionsentscheidung zusammen weniger als 0,5 Prozent ausmachen. Für 35 Prozent der Projekte liegt zumindest eine Machbarkeitsstudie vor, 65 Prozent existieren bisher nur als Konzept.
Falls alle diese Anlagen zur grünen Ammoniakerzeugung realisiert werden würden, was angesichts des überwiegend unverbindlichen Projektstatus nicht wahrscheinlich ist, könnten im Jahr 2030 bis zu 14,4 Millionen Tonnen grünes Ammoniak (8 Prozent der heutigen weltweiten Produktion) produziert werden. Berücksichtigt man auch die Projekte die erst nach 2030 fertiggestellt werden, läge die jährliche Produktion bei 26,7 Millionen Tonnen (für Annahmen siehe Abbildung). Auch wenn die IEA Datenbank aufgrund der dynamischen Marktentwicklung nur eine Momentaufnahme darstellt, passen die Zahl doch zu früheren Studien. So prognostizierte die IEA selbst vor zwei Jahren noch eine Produktionskapazität für grünes Ammoniak in Höhe von 8 Millionen Tonnen im Jahr 2030 (IEA, 2021). Die Ergebnisse aus dieser Rechnung spiegeln das Marktwachstum der vergangenen beiden Jahre wider, legen aber auch nahe, dass die zu erwartenden grünen Ammoniakmengen nicht ausreichen werden, um neben der Substitution der konventionellen Ammoniakproduktion auch noch nennenswerte Mengen als Wasserstoffträger zur Verfügung zu stellen.
Ausblick
Grünes Ammoniak hat das Potenzial, eine zentrale Rolle bei der Dekarbonisierung Deutschland zu spielen. Als Substitut (direkter Einsatz) der heutigen erdgasbasierten fossilen Ammoniakproduktion in Deutschland wird es aufgrund der hierzulande absehbar höheren Energiepreise wohl zunehmend eine wichtige Rolle spielen. Aktuelle Studien zeigen, dass Importe grüner Vorprodukte langfristig erforderlich sein könnten, um die Grundstoffproduktion hierzulange wettbewerbsfähig zu gestalten (Bähr et al., 2023). Zu klären sein wird dabei unter anderem die Versorgung mit Kohlenstoff für die nachgelagerte Herstellung von Harnstoff und die Frage möglicher neuer Lieferkettenabhängigkeiten.
Als Wasserstoffträger (indirekter Einsatz) könnte grünes Ammoniak den dringend benötigten Wasserstoffhochlauf in Deutschland unterstützen und den Weg zu ersten nennenswerten Importmengen bereiten. Die heute bereits vorhandene Transportinfrastruktur steht einer zeitnahe Umsetzbarkeit erster grüner Ammoniakimporte nicht im Wege, die Skalierbarkeit der Importmengen könnte aber aufgrund der bisher moderaten weltweiten Handelsmengen und der nur schrittweise entstehenden Erzeugungskapazität für grünes Ammoniak insbesondere bis 2030 limitiert bleiben.
Welche Rolle kann grünes Ammoniak bei der Dekarbonisierung Deutschlands spielen?
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Erstes Kölner Transformationsforum am IW
Am 30. Oktober 2024 wurde einmal mehr interdisziplinär über den Tellerrand hinausgeblickt – und das in einem neuen Format: Mit der Großkanzlei Luther und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton als Partner erörterte der Leiter des Clusters ...
IW
Herausforderungen der Transformation für die Unternehmen in Deutschland
Die deutsche Volkswirtschaft steht vor großen Herausforderungen, die durch den Krieg in der Ukraine, die Konflikte im Nahen Osten, die Energiepreiskrise und geopolitische Unsicherheiten verstärkt werden.
IW