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Klaus-Heiner Röhl / Gerit Vogt IW-Kurzbericht Nr. 82 10. November 2023 Mehr Dynamik in der Unternehmenslandschaft notwendig

Die wirtschaftliche Transformation hin zur Klimaneutralität erfordert auch einen Wandel in der Unternehmenslandschaft, der neben umfassenden Umstellungen in Bestandsfirmen mit Gründungen und Schließungen verbunden ist.

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Mehr Dynamik in der Unternehmenslandschaft notwendig
Klaus-Heiner Röhl / Gerit Vogt IW-Kurzbericht Nr. 82 10. November 2023

Mehr Dynamik in der Unternehmenslandschaft notwendig

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die wirtschaftliche Transformation hin zur Klimaneutralität erfordert auch einen Wandel in der Unternehmenslandschaft, der neben umfassenden Umstellungen in Bestandsfirmen mit Gründungen und Schließungen verbunden ist.

Die Dynamik in diesem Bereich war jedoch in den letzten Jahren gering. Nun steigen die Insolvenzzahlen an, doch auch im Bereich Unternehmensgründungen müsste mehr passieren. Die Politik sollte das Gründungsumfeld spürbar verbessern.

Die im Klimaschutzgesetz der Bundesregierung angestrebte Transformation der Wirtschaft in Richtung einer vollständigen Treibhausgasneutralität innerhalb von nur 22 Jahren erfordert starke Umbrüche in allen Bereichen. Von der Elektrifizierung der Prozessketten über die Kreislaufwirtschaft und eine wasserstoffbasierte Grundstoffindustrie bis hin zu digitalen und KI-basierten Vernetzungen sind Innovationen erforderlich, die einen grundlegenden Wandel der Unternehmenslandschaft mit sich bringen. Ein solch starker Wandel lässt sich nicht allein im vorhandenen Unternehmensbestand bewältigen, sondern geht im Erfolgsfall mit einer Vielzahl an Neugründungen im Schumpeterschen Sinne einer schöpferischen Zerstörung einher. Gleichzeitig scheiden Unternehmen, die den Wandel nicht bewältigen, durch Insolvenz oder anderweitige Schließung aus dem Markt aus. Diese Marktaustritte sind nicht nur negativ zu sehen, setzen sie doch dringend benötigte knappe Ressourcen – wie etwa Fachkräfte – für die wachsenden Bereiche frei.

Geringe Turbulenzrate

In den letzten 10 bis 15 Jahren war der Wandel in der Unternehmenslandschaft aber eher gering. Nicht nur die Insolvenzen waren über Jahre rückläufig, auch die Anzahl der Gründungen von Unternehmen in Deutschland sank seit dem Hochpunkt im Jahr 2005 infolge der Agenda-Reformen nahezu kontinuierlich. Dies bewirkte, dass die sogenannte Turbulenzrate, die die Veränderung im Unternehmensbestand als Summe der Gründungen und Schließungen bezogen auf den Bestand aller Unternehmen in Prozent misst (Fritsch/Niese, 2004, 29), ebenfalls bis 2021 kontinuierlich gefallen ist (Abbildung). Für die Turbulenzrate wird anstelle der niedrigeren Insolvenzzahl, die nur einen Teil der Marktabgänge erfasst, die Gesamtanzahl der Schließungen gewerblicher Unternehmen verwendet, um das Ausscheiden von Unternehmen aus dem Markt umfassend abzubilden. Die Insolvenzquote ist 2021 mit 46 Fällen je 10.000 Unternehmen erheblich unter ihren langjährigen Mittelwert von 70 Fällen gesunken (Röhl/Vogt, 2023), die Turbulenzrate erreichte mit 15 Prozent ebenfalls 2021 ihren Tiefpunkt. Der Anstieg beider Quoten fällt seither sehr verhalten aus.

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Rückläufige Dynamik im Unternehmenssektor

Die geringe Turbulenz weist auf eine zunehmend statische Unternehmenslandschaft hin, die mit einem eher verhaltenen sektoralen Strukturwandel in Deutschland im Laufe des zurückliegenden Jahrzehnts korrespondiert. Das über Jahre rückläufige und immer noch sehr niedrige Insolvenzniveau deutet darauf hin, dass immer weniger dauerhaft ertragsschwache Unternehmen aus dem Markt ausgetreten sind. Diese binden aber wichtige Ressourcen, die von neuen, innovativen Firmen benötigt werden – die ebenfalls nicht in ausreichender Anzahl gegründet werden.

Fallende Gründungszahlen

Die Anzahl der Gründungen von Unternehmen sinkt bereits seit längerer Zeit. So ist die Zahl der gewerblichen Existenzgründungen in Deutschland nach Angaben des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn (2023) von rund 418.000 im Jahr 2010 kontinuierlich auf etwa 235.000 2020 gesunken. Sie hat sich damit binnen eines Jahrzehnts nahezu halbiert. Dem jüngsten „Global Entrepreneurship Monitor“ (GEM, 2023, 136) zufolge belegt Deutschland beim Anteil der Menschen, die eine Gründung verfolgen, unter 49 einbezogenen Staaten den 42. Platz. Die Option einer Gründung spielt in den Karrierewünschen junger Menschen in Deutschland eine untergeordnete Rolle. Einer aktuellen Studie zufolge halten zwar fast 80 Prozent der befragten Jugendlichen eine erfolgreiche Karriere zu starten für eher wichtig oder sehr wichtig. In Hinblick auf die Aussage „Ich kann mir vorstellen mich selbständig zu machen, bzw. später ein Unternehmen zu gründen“ stimmten hingegen lediglich rund 20 Prozent der Umfrageteilnehmer vollkommen zu (Habich/Remete, 2023, 2 ff.).

Aus den genannten Gründen gilt weiterhin, dass eine „sinkende Insolvenzzahl, der eine ähnliche Abnahme der Gründungszahlen gegenübersteht, …, nicht nur positiv zu bewerten [ist]. … Neuerungen setzen sich immer langsamer durch“ (Röhl/Vogt, 2016, 34). Die schwache Dynamik korrespondiert mit wachsenden Sorgen um die Innovationskraft und Produktivität der deutschen Wirtschaft (Vogt, 2021, 5-6). Die Coronapandemie führte allerdings in den letzten drei Jahren zu Verwerfungen in der Unternehmenslandschaft mit Marktaustritten, die offenbar weder in der Insolvenzstatistik noch in der Statistik der Gewerbeschließungen erfasst wurden: Sowohl in der Umsatzsteuerstatistik als auch im Unternehmensregister fiel die Anzahl der Einheiten 2020 kräftig, im Unternehmensregister um rund 185.000 und in der Umsatzsteuerstatistik um circa 260.000 Unternehmen. Es ist bislang unklar, ob hierdurch eventuell eine Marktbereinigung in überbesetzten oder im Strukturwandel nicht mehr in gleichem Umfang benötigten Wirtschaftsbereichen stattgefunden hat. Sollte dies der Fall sein, so stehen den zunehmenden Schließungen allerdings trotzdem noch keine steigenden Gründungszahlen neuer Unternehmen gegenüber, die den „positiven“ Teil der Turbulenzrate als Maß für die Dynamik der Wirtschaft bilden.

Gründungen besser fördern

Unternehmensgründungen werden in Deutschland durch ein hohes Maß an Bürokratie und Regulierung behindert, deren Abbau eine Aufgabe der Politik darstellt (Röhl, 2023). Ein Fortschritt in diesem Zusammenhang wäre beispielsweise, wenn ein Gründungsvorgang künftig online innerhalb eines Tages machbar wäre. Dies ist bereits in anderen Staaten wie etwa in Estland und Dänemark möglich (Vogt, 2021, 6).

Bereits ab 2012 hat die Bundesregierung die Zuschüsse für Gründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus stark eingeschränkt, nachdem die Arbeitslosigkeit rückläufig war. Angesichts derzeit wieder steigender Arbeitslosenzahlen, auch im Kontext einer verstärkten Zuwanderung, sollte hier umgesteuert werden. Eine Wiederbelebung der Gründungsförderung für Arbeitssuchende in Kombination mit mehr Schulungen, auch durch Online-Tools, könnte auch die Integration fördern (Röhl, 2023). In vielen Herkunftsländern der Migranten spielt die Selbstständigkeit eine größere Rolle als in Deutschland, so dass die Bereitschaft zur Gründung eines Unternehmens oft gegeben sein dürfte.

Auch im Bereich der innovativen Start-ups könnte trotz Einrichtung des positiv zu bewertenden Zukunftsfonds vor zwei Jahren (Röhl, 2021) mehr getan werden. Dies gilt nicht nur für die Gründungsfinanzierung, die stark unter dem durch die hohe Inflation ausgelösten Zinsanstieg leidet, sondern betrifft auch die wachsende Regulierungsdichte und das innovationsfeindliche öffentliche Auftragswesen. In der Digitalisierung fällt Deutschland im EU-Vergleich eher weiter zurück, statt aufzuholen; Potenziale digitaler Start-ups werden im E-Government aufgrund restriktiver staatlicher Vorgaben nicht genutzt. Mehr digitale Start-ups und mehr Offenheit gegenüber den von ihnen angebotenen Lösungen könnten bei der Modernisierung der staatlichen Verwaltung helfen, die Produktivität steigern und die klimaneutrale Transformation voranbringen.

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