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Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 92 6. Dezember 2023 De-Risking von China im Licht aktueller Unternehmensumfragen: Nur begrenzte Lichtblicke

De-Risking zur Minderung von Abhängigkeiten ist Aufgabe der Unternehmen. Umfragen zeigen jedoch, dass eine Mehrheit der deutschen Firmen mit hohen China-Abhängigkeiten keine Maßnahmen dagegen ergreift oder Chinas Relevanz teils sogar noch erhöht.

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Nur begrenzte Lichtblicke
Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 92 6. Dezember 2023

De-Risking von China im Licht aktueller Unternehmensumfragen: Nur begrenzte Lichtblicke

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

De-Risking zur Minderung von Abhängigkeiten ist Aufgabe der Unternehmen. Umfragen zeigen jedoch, dass eine Mehrheit der deutschen Firmen mit hohen China-Abhängigkeiten keine Maßnahmen dagegen ergreift oder Chinas Relevanz teils sogar noch erhöht.

Damit ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu fragen, ob eine Art Marktversagen vorliegt, wenn es um den Abbau geostrategisch kritischer Abhängigkeiten von China geht. Sollten sich die Hinweise darauf verdichten, ist zu erörtern, ob und wie der Staat sinnvoll eingreifen kann.

Nach dem russischen Gasembargo sind auch kritische Abhängigkeiten von China in den Fokus gerückt. Unternehmen scheinen sich anzupassen und Risiken stärker zu beachten. Medienberichte dazu häufen sich und auch Umfragen haben gezeigt, dass hier ein Umdenken stattzufinden scheint. Doch wie konsequent setzen deutsche Firmen auf Diversifizierung und De-Risking von China? Untersuchungen zur Importabhängigkeit bei Produkten mit hohem Einfuhranteil aus China deuten hier bislang nur auf wenig Fortschritt hin. In diesem Kurzbericht wird dargelegt, was sich aus aktuellen Unternehmensumfragen ablesen lässt, und es werden neue Daten präsentiert.

Eine Umfrage unter rund 4.000 deutschen Firmen hat das ifo-Institut im April 2022 publiziert. Demnach waren knapp 46 Prozent der befragten Industriefirmen auf Vorleistungen aus China angewiesen. Von diesen Firmen des Verarbeitenden Gewerbes beabsichtigten 45 Prozent, in Zukunft ihre Importe aus China zu reduzieren, 52 Prozent planten keine Änderung und 4 Prozent wollten Einfuhren aus China sogar erhöhen. Doch da die Umfrage im Februar 2022 – und damit zum Großteil vor dem russischen Angriff auf die Ukraine – durchgeführt wurde, ist hier die Reaktion der Unternehmen auf die damit einhergehende Zeitenwende noch nicht abgebildet. Vielmehr dürfte es sich in erster Linie um ein Reagieren auf die Corona-Pandemie handeln. Daher wird die Betrachtung dieser Umfrage nicht weiter vertieft.

Eine weniger breit angelegte Umfrage wurde durch den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) im März 2023 durchgeführt und im Handelsblatt publiziert. Gefragt wurden 45 Großunternehmen mit einem großen Einkaufsvolumen zu ihren Beschaffungsplänen. Von den Konzernen wollten zum damaligen Zeitpunkt 13 Prozent weniger in China beschaffen, 31 Prozent ihre Beschaffung dort stabil halten und 56 Prozent diese weiter ausbauen. Im September 2022 hatten nur 34 Prozent solche Ausbaupläne.

Eine monatliche Unternehmensumfrage der Deutschen Bundesbank unter rund 3.000 deutschen Firmen hat im Zeitraum April bis Juni 2023 einen Fokus auf China-Abhängigkeiten gelegt. Laut des Monatsberichts (21 f.) im September 2023 waren rund 29 Prozent aller Firmen und fast die Hälfte der Industriefirmen auf kritische Vorleistungsgüter aus China angewiesen. Damit ist gemeint, dass ohne diese Vorleistungen ein relevanter Teil des Produktionsprozesses oder der Geschäftstätigkeit ausfallen, erheblich verzögert oder stark an Qualität verlieren würde. Von den abhängigen Industriefirmen haben gut zwei Fünftel Maßnahmen ergriffen, um den Vorleistungsbezug aus China zu verringern. Ebenfalls mehr als zwei Fünftel ergriffen aber keine Maßnahmen, rund 15 Prozent haben noch nicht gehandelt, werden aber möglicherweise bis Ende 2024 etwas unternehmen. Eine Mitursache für das hohe Maß an bisheriger Untätigkeit dürfte darin liegen, dass rund 80 Prozent der Industriefirmen mit China-Abhängigkeiten sagten, dass der Ersatz chinesischer Vorleistungen schwierig oder sehr schwierig sei. Dies trifft vor allem auf größere Unternehmen zu.

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Weitere Evidenz liefert eine Studie der IHK NRW, der ZENIT GmbH und dem IW vom Oktober 2023. Dafür wurden im Juni 2023 rund 400 Unternehmen in NRW befragt. Gut 40 Prozent aller Firmen sind auf Vorleistungen aus China angewiesen („stimme voll zu“ und „stimme eher zu“), eine ähnliche Größenordnung wie zuvor. Die Firmen wurden auch danach gefragt, wie sich die Bedeutung verschiedener Länder in ihrer importseitigen Lieferkette in den kommenden fünf Jahren entwickelt. Unter allen Firmen sagten 36 Prozent, dass China in Zukunft eine geringere Bedeutung haben wird, 26 Prozent sehen eine höhere Bedeutung, 38 Prozent keine Veränderung (Abbildung, links).

Zuvor noch nicht publizierte Zahlen zeigen ein noch größeres Ungleichgewicht. Wenn man nur die zwei Fünftel der Firmen mit hoher Vorleistungsabhängigkeit von China betrachtet, rechnen 19 Prozent mit einer geringeren Bedeutung Chinas, 48 Prozent mit einer höheren und 33 Prozent mit einer gleichbleibenden (Abbildung, rechts). Damit setzen mehr als 80 Prozent der NRW-Firmen mit hohen China-Abhängigkeiten zukünftig genauso stark oder noch stärker auf China.

Fazit und Einordnung

Die Evidenz zum bisherigen De-Risking bei Importabhängigkeiten von China ist auch bei Unternehmensumfragen gemischt. Ein Teil der Firmen mit hohen China-Abhängigkeiten strebt zwar eine Verringerung an. Eine je nach Umfrage unterschiedlich große Mehrheit tut dies jedoch nicht. Ein zuweilen beträchtlicher Anteil will die Einkäufe aus China sogar noch ausbauen.

Auch beim Blick auf Chinas Rolle als Absatzmarkt zeigen Umfragen aus dem Jahr 2023 der AHK Greater China, von PwC und Kantar Public ein ähnliches Bild. Beispielsweise wollen laut der AHK Greater China 55 Prozent der deutschen Firmen in China in den nächsten zwei Jahren dort mehr investieren und nur 18 Prozent weniger.

Es stellt sich aus gesamtwirtschaftlicher Sicht die Frage, ob die Unternehmen mit der Aufgabe des De-Risking von China überfordert sein könnten. Möglicherweise ist eine Art Marktversagen nicht auszuschließen. Denn China ist in vielen Bereichen der günstigste Lieferant – auch weil es umfangreiche Subventionen vergibt. Wenn Vorleistungen aus anderen Quellen als China bezogen werden, steigen sehr wahrscheinlich die Kosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen sinkt. Vor diesem Hintergrund könnte unternehmerisches Handeln im marktwirtschaftlichen Rahmen allein möglicherweise nicht ausreichen, um strategische Abhängigkeiten von China hinreichend zu reduzieren. Folgende Aspekte können diese Sichtweise aus theoretischer Sicht untermauern, sind aber auf ihre Praxisrelevanz zu prüfen:

  • Unternehmen kennen ihre Abhängigkeiten womöglich nicht genug, da ihre Lieferkette zu komplex ist.
  • Grundsätzlich sind viele Firmen bereit, eine Art Versicherungsprämie in Form höherer Kosten zu zahlen, um Lieferkettenrisiken zu mindern. Doch je mehr sie auf kurzfristige Gewinne fokussiert sind, desto weniger werden sie dazu in der Lage sein. Börsennotierte Firmen, die quartalsweise ihren Aktionären berichten müssen, sehen sich vermutlich eher zu einer Kurzfristorientierung gezwungen als eigentümergeführte Mittelständler.
  • Eine Art von Gefangenendilemma mag das De-Risking behindern. Falls ein Unternehmen sich von China als wichtigem Lieferanten trennt, ein enger Konkurrent aber nicht, könnte das Unternehmen entscheidend an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und damit Markteinbußen hinnehmen müssen. Das gilt zumindest, falls die Vorleistungen aus China einen relevanten Kostenanteil ausmachen.
  • Bei großen Firmen könnte ein Too-Big-to-Fail-Problem drohen. Das Management könnte zu hohe Risiken – also eine zu große China-Abhängigkeit – eingehen, wenn es für den Fall größerer Verluste mit einer staatlichen Rettung rechnet.
  • Wenn viele Unternehmen nur begrenzte Abhängigkeiten bei einem Produkt haben, könnte gleichwohl in der Summe ein Klumpenrisiko für die Volkswirtschaft entstehen – eine Art externer Effekt.
  • Es gibt möglicherweise so gut wie keine alternativen Lieferanten, weil chinesische Unternehmen den Markt allein dominieren und es auch aufgrund der chinesischen Subventionen neuen Konkurrenten in anderen Ländern schwerfällt, sich zu etablieren. Mit Blick auf China als sehr großes Industrieland weist die Rhodium Group in einer aktuellen Studie zu Recht darauf hin, dass ein De-Risking Zeit kostet.

Es stellt sich die Frage, ob der marktwirtschaftliche Rahmen die Unternehmen de facto dazu zwingt, China weiterhin eine wichtige Rolle einzuräumen. Wenn chinesische Produkte – auch wegen der Subventionierung – besonders günstig und zudem gut sind, werden sie in den globalen Lieferketten weiter wichtig bleiben. Daher ist zu fragen, ob der Staat die Rahmenbedingungen ohne zu tiefe Interventionen geschickt anpassen kann.

Im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung sollten Informations- und Hilfsangebote über Diversifizierungsmöglichkeiten noch leichter zugänglich sein. Zudem sind Freihandelsabkommen essenziell. Im Rahmen eines breit angelegten Friendshoring sollte Partnerländern beim Aufbau industrieller Ökosysteme geholfen werden, damit möglichst bald neue Alternativen zu China entstehen. Wie in Japan könnten Firmen finanziell gefördert werden, wenn sie weitreichende Diversifizierungspläne vorlegen oder Vorräte von hochkritischen Produkten über den eigenen Bedarf hinaus anlegen. Bei ganz besonders kritischen Produkten (z. B. lebenswichtige Medikamente) ist zudem eine staatliche Vorratshaltung sinnvoll. Im Fall ernster Sorgen vor einem Too-Big-to-Fail-Problem sollten Firmen zu hinreichender Risikovorsorge angehalten werden. Bei großen subventionsbedingten Marktverzerrungen können im Einzelfall Handelsschutzinstrumente oder regulatorische Nachhaltigkeitsvorgaben für Produktionsprozesse sinnvoll sein, dürfen aber nicht protektionistisch missbraucht werden. So starke Markteingriffe bedürfen aber einer besonderen Rechtfertigung. Dabei sind das Ausmaß der kritischen Abhängigkeit, die Existenz komparativer Vorteile und Möglichkeiten zum breit gestreuten Friendshoring ausschlaggebende Kriterien.

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