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Jochen Pimpertz IW-Kurzbericht Nr. 66 3. Juni 2020 Corona-Update: Kosten der Entgeltfortzahlung

Aufgrund des sprunghaften Anstiegs des Krankenstands im März müssen die Arbeitgeber in diesem Jahr rund 1,6 Milliarden Euro zusätzlich für die Entgeltfortzahlung bei Krankheit schultern. Auch damit leisten die Unternehmen einen Beitrag zur Abfederung der Pandemie-Folgen.

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Kosten der Entgeltfortzahlung
Jochen Pimpertz IW-Kurzbericht Nr. 66 3. Juni 2020

Corona-Update: Kosten der Entgeltfortzahlung

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Aufgrund des sprunghaften Anstiegs des Krankenstands im März müssen die Arbeitgeber in diesem Jahr rund 1,6 Milliarden Euro zusätzlich für die Entgeltfortzahlung bei Krankheit schultern. Auch damit leisten die Unternehmen einen Beitrag zur Abfederung der Pandemie-Folgen.

Das Coronavirus hält die deutsche Wirtschaft in Atem. Das spiegelt sich auch im Krankenstand der Belegschaften wider, der im März außergewöhnlich stark angestiegen ist (BMG, 2020; BKK-Dachverband, 2020). Dieser einmalige Effekt ist vor allem im Kontext der Sonderregelung zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) einzuordnen. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen hatte am 20. März beschlossen, dass rückwirkend zum 9. März und verlängert bis Ende Mai eine AU-Bescheinigung aufgrund von Erkrankungen der oberen Atemwege auch nach telefonischer Anamnese durch den Arzt ausgestellt werden kann(G-BA, 2020).

Inzwischen liegen aktuelle Daten zur Krankenstandentwicklung vor, die eine Einordnung dieser Sonderregelung erlauben. Nach der Versichertenstatistik der Gesetzlichen Krankenversicherung ist der Krankenstand der arbeitsunfähigen, krankengeldberechtigten Mitglieder von 4,5 Prozent am 1. März auf 6,5 Prozent am 1. April gestiegen (BMG, 2020). Die stichtagsbezogene Erhebung gibt allerdings keinen Aufschluss über mögliche Erkrankungsursachen.

Alternativ dazu erhebt der Dachverband der Betriebskrankenkassen in seiner monatlichen Stichprobe den durchschnittlichen Krankenstand in Prozent der beschäftigten BKK-Mitglieder. Dabei werden Krankschreibungen über den gesamten Beobachtungsmonat erfasst. Historische Betrachtungen stehen zwar unter dem Vorbehalt, dass sich die Struktur der versicherten Belegschaften ändern kann. Gleichwohl liefern die Daten Indizien für die Einordnung der aktuellen Entwicklung des Krankenstands.

Auch in den Daten des BKK-Dachverbands zeigt sich im März ein signifikanter Anstieg der attestierten Fehlzeiten. Deuten die monatlichen Werte der Jahre 2017 bis 2019 darauf hin, dass der Krankenstand typischerweise im Frühjahr nach Abklingen grippaler Infektionswellen sinkt, so ist er nun gegenüber Februar 2020 um 1,2 Punkte auf gut 6,7 Prozent gestiegen. Damit lag er um 1,5 Prozentpunkte über dem Vergleichsmonat 2019 und um 2,3 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Märzwerte 2017 bis 2019 (BKK-Dachverband, 2020a). Mit der Folgeauswertung relativiert sich das Bild wieder. Für den Monat April wird ein Krankenstand von 4,6 Prozent berichtet, der damit lediglich um 0,1 Prozentpunkte über dem Wert des Vorjahresmonats liegt beziehungsweise um knapp 0,3 Punkte über dem mittleren Aprilwert der Jahre 2017 bis 2019 (BKK-Dachverband, 2020b).

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Es liegt nahe, den erhöhten Krankenstand im März nicht allein vor dem Hintergrund möglicher Covid-19-Erkrankungen zu interpretieren. Denn im März wurde vor allem eine Häufung von AU-Bescheinigungen aufgrund von Atemwegserkrankungen beobachtet. Nur 0,3 Prozent aller Fälle waren auf Covid-19-Erkrankungen zurückzuführen. Dieser Anteil ist zwar im April auf 1 Prozent aller Fälle gestiegen, fällt damit aber immer noch relativ niedrig aus (BKK-Dachverband, 2020b).

Dieser Befund legt nahe, dass vor allem eine erhöhte Sensitivität der Ärzte gegenüber potenziellen Symptomen einer Corona-Infektion (Husten, Schnupfen, Fieber etc.) eine besondere Rolle gespielt hat. Demnach – so eine erste Interpretation – hat nicht nur der Shutdown, sondern auch ein umsichtiger Umgang der ambulant praktizierenden Ärzte mit den erleichterten Regelungen zur Krankschreibung einen substanziellen Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens geleistet (Pimpertz, 2020a, 14 ff.). Durch das Vermeiden von „Präsentismus“ konnten Infektionsrisiken in den Belegschaften der Betriebe reduziert werden. Befürchtungen, die Regelung könne missbräuchlich in Anspruch genommen werden, scheinen sich dagegen vor dem Hintergrund des Aprilwerts nicht zu bestätigen.

Im Fall einer attestierten Arbeitsunfähigkeit greift die Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers. Damit stellt sich die Anschlussfrage nach den finanziellen Folgen für die Unternehmen. Auf der bislang vorliegenden Datenbasis lassen sich zwar keine Prognosen zur Entwicklung des Krankenstands anstrengen. Unterstellt man aber in einem Szenario für den weiteren Jahresverlauf eine Entwicklung wie im Vorjahr, dann ist für das Jahr 2020 insgesamt mit einem um gut 2 Prozent oder 0,1 Prozentpunkte erhöhten Krankenstand zu rechnen.

Der Einfluss der Pandemie erscheint damit überschaubar – für die Entwicklung der Entgeltfortzahlungskosten bei Krankheit ist der Effekt gleichwohl nicht zu vernachlässigen. Dies verdeutlicht eine Szenario-Rechnung: Betrugen die Aufwendungen der Arbeitgeber im Jahr 2018 geschätzt 61,9 Milliarden Euro (Pimpertz, 2020b), so muss diese Summe unter der Annahme eines ansonsten unverändert verteilten Krankheitsgeschehens mit der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttolöhne und -gehälter des vergangenen Jahres um plus 3,1 Prozent fortgeschrieben werden (Statistisches Bundesamt, 2020).

Gleichzeitig legen die Monatsdaten des BKK-Dachverbands für 2019 einen Anstieg des jährlichen Krankenstands um rund 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr nahe. Unter dieser Annahme ergibt sich ein geschätzter Anstieg der Entgeltfortzahlungskosten für das Jahr 2019 auf 67,2 Milliarden Euro. Abstrahiert man von der Entgeltentwicklung im laufenden Jahr sowie Einflüssen durch den angespannten Arbeitsmarkt, dann sattelt der Corona-bedingte Sondereffekt mit zusätzlich 1,6 Milliarden Euro auf. Zum Jahresende drohen damit die Kosten der Entgeltfortzahlung bei Krankheit auf knapp 69 Milliarden Euro zu steigen.

Angesichts der Dimensionen des Corona-bedingten Einbruchs der Wirtschaftsleistung scheint diese Zusatzlast kaum ins Gewicht zu fallen. Gleichwohl gilt es in Erinnerung zu behalten, dass die Unternehmen auch damit zur Abfederung der Pandemie-Folgen beitragen, wenn über eine Neujustierung des Verhältnisses von Markt und Staat diskutiert wird. Auch mit Blick auf die Entgeltfortzahlungsverpflichtung der Arbeitgeber haben sich die Regeln der Sozialen Marktwirtschaft in der Krise bewährt.

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