Für ihre erkrankten Mitarbeiter haben Arbeitgeber im Jahr 2020 insgesamt 74,3 Milliarden Euro an Bruttogehältern und darauf fällige Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Bis 2025 wird die Summe voraussichtlich auf über 84 Milliarden Euro steigen.
Entgeltfortzahlung bei Krankheit kostet gut 74 Milliarden Euro
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Für ihre erkrankten Mitarbeiter haben Arbeitgeber im Jahr 2020 insgesamt 74,3 Milliarden Euro an Bruttogehältern und darauf fällige Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Bis 2025 wird die Summe voraussichtlich auf über 84 Milliarden Euro steigen.
Legt ein Mitarbeiter krankheitsbedingt ein ärztliches Attest vor, zahlt der Arbeitgeber das Gehalt für bis zu sechs Wochen (§3 EFZG). Bei noch längerer Erkrankung springt anschließend die gesetzliche Krankenkasse ein. Allerdings beträgt deren Krankengeld nur 70 Prozent des regelmäßigen Bruttoentgelts (§47 SGB V). Kürzere Fehlzeiten, die auf dieselbe Erkrankung zurückzuführen sind, werden dabei innerhalb von zwölf Monaten summiert. Bei anderen Erkrankungsursachen beginnt die 6-wöchige Fortzahlungsfrist von neuem. Das Entgelt wird auch während des Mutterschutzes gezahlt (§ 19 MuSchG), also sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin sowie acht Wochen nach der Geburt.
Die Höhe der Aufwendungen werden im Sozialbudget dokumentiert, mit dem die Bundesregierung jährlich über die gesetzlich veranlassten und freiwilligen Sozialleistungen berichtet (BMAS, 2021). Neben den Fürsorgeleistungen des Staates, den Leistungen der Sozialversicherungen und vergleichbarer Einrichtungen werden hier zum Beispiel auch Arbeitgeberleistungen erfasst - unter anderem die Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Mutterschaft. Sieht man von Zeiten des Mutterschutzes ab, zahlten die Arbeitgeber für ihre erkrankten Mitarbeiter im Jahr 2020 geschätzt 61,9 Milliarden Euro (BMAS, 2021, T 12).
Das Rechenwerk weist allerdings nur Bruttoentgelte aus und greift damit zu kurz (BMAS, 2021, 283). Denn Arbeitgeber müssen auch ihren darauf entfallenden Anteil an den Sozialversicherungsbeiträgen entrichten. Eine Hinzuschätzung durch eine einfache Hochrechnung mit dem anteiligen Beitragssatz würde die zusätzlichen Arbeitgeberaufwendungen allerdings überschätzen. Denn die Sozialversicherungsbeiträge werden nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze fällig.
Näherungsweise kann der beitragspflichtige Gehaltsanteil mithilfe der Versichertenstatistik der Gesetzlichen Rentenversicherung geschätzt werden (Pimpertz, 2017). Dabei wird unterstellt, dass Unternehmen für privat krankenversicherte Mitarbeiter einen Arbeitgeberzuschuss zahlen, der dem Anteil bei gesetzlicher Krankenversicherungspflicht entspricht. Neben den Beitragsanteilen zur Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung zahlen die Unternehmen auch den Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung. Dazu wird ein fiktiver Satz errechnet, der sich als durchschnittlicher Prozentwert aus Beitragssoll und Entgeltsumme für die Gewerbliche Wirtschaft ergibt (DGUV, 2020).
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Für die krankheitsbedingt ausfallenden Mitarbeiter sind demnach im Jahr 2020 weitere 12,4 Milliarden Euro an Arbeitgeberbeiträgen gezahlt worden. In der Summe betrugen die Aufwendungen der Arbeitgeber also 74,3 Milliarden Euro – ein Plus von 4,1 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr.
Ein noch deutlicherer Sprung zeichnet sich zwischen den Jahren 2018 und 2019 ab. Der ist zum einen darauf zurückzuführen, dass seit dem 1.1.2019 auch der Zusatzbeitrag zur Gesetzlichen Krankenversicherung paritätisch finanziert wird. Den mussten die Mitglieder der gesetzlichen Kassen zuvor ohne Beteiligung ihrer Arbeitgeber entrichten. Zum anderen ist das aktuelle Sozialbudget 2020 in die im vierjährigen Turnus erscheinende Sozialberichtserstattung eingebettet (BMAS, 2021). In dem Zuge ist eine überarbeitete Rückrechnung bis 1991 aktuell nicht verfügbar. Deshalb basieren die Werte bis 2018 auf den Angaben des Sozialbudgets 2019 (BMAS, 2020), danach auf den Angaben aus dem aktuellen Sozialbericht 2021 (BMAS, 2021). Eine spätere Revision der Zeitreihe kann möglicherweise zu einer Glättung der Sprungstelle führen.
Im Rahmen der Sozialberichtserstattung legt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auch eine Modellrechnung zur weiteren Entwicklung bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode vor. Unter den gegebenen Annahmen zur Lohn- und Beschäftigungsentwicklung (BMAS, 2021, 237 ff.) sowie bei einer unveränderten Verteilung der Aufwendungen für erkrankte Mitarbeiter und bei Mutterschaft werden die Arbeitgeber für die Bruttoentgeltfortzahlung im Krankheitsfall demnach im Jahr 2025 schätzungsweise 70,3 Milliarden Euro aufwenden müssen (BMAS, 2021, T 6). Konstante Beitragssätze zur Sozialversicherung vorausgesetzt kämen dann weitere 14,1 Milliarden Euro an Arbeitgeberbeiträgen hinzu. Sollten die Beitragssätze in Summe über die 40-Prozentmarke steigen, fiele der Posten noch höher aus. Aber auch ohne Beitragssatzanstieg drohen die Kosten für die krankheitsbedingte Gehaltsfortzahlung damit bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode auf insgesamt 84,4 Milliarden Euro zu steigen.
Dazu ist allerdings festzuhalten, dass bei einer konstanten Fehlzeitenquote die Aufwendungen auch deshalb zulegen, weil sowohl die annahmegemäß günstige Beschäftigungsentwicklung als auch die unterstellte Lohnentwicklung zu höheren nominalen Aufwendungen führen. Über die Entwicklung des Krankenstands kann man dagegen nur mutmaßen.
Dieser ist allerdings selbst unter der Corona-Pandemie nicht gestiegen, sondern sogar leicht gesunken (Pimpertz, 2021; BKK-Dachverband, 2021). Doch ist das kein Grund zur Entwarnung, da mit dem demografischen Wandel auch die Belegschaften altern. Typischerweise treten aber mit steigendem Alter schwerwiegendere und langwierige Erkrankungen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf. Deutlich wird dies zum Beispiel in dem altersabhängigen Fehlzeitenprofil der beschäftigten Mitglieder der Betriebskrankenkassen (BKK-Dachverband, 2020, 91). Deshalb sind präventive Anstrengungen unverzichtbar - sowohl im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements und Arbeitsschutzes als auch im Zusammenwirken von Krankenkassen und ihren Mitgliedern. Neben der Hoffnung, den Zusammenhang von steigendem Durchschnittsalter der Mitarbeiter und Erkrankungswahrscheinlichkeit möglichst abzumildern, braucht es aber auch Geduld. Denn mögliche Erfolge werden sich erst langfristig auswirken (Pimpertz, 2017).
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