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Janik Leiß / Jochen Pimpertz IW-Kurzbericht Nr. 22 18. März 2023 Atemwegserkrankungen sorgen für hohen Krankenstand 2022

Das Niveau der Atemwegserkrankungen lag im Jahr 2022 weit über dem der Vorjahre. Dafür waren neben der Omikron-Variante vor allem die Influenza und RS-Viren verantwortlich. Die Fortzahlung der Entgelte für ihre erkrankten Mitarbeiter kostete die Arbeitgeber voraussichtlich einen zweistelligen Milliardenbetrag zusätzlich.

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Atemwegserkrankungen sorgen für hohen Krankenstand 2022
Janik Leiß / Jochen Pimpertz IW-Kurzbericht Nr. 22 18. März 2023

Atemwegserkrankungen sorgen für hohen Krankenstand 2022

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Das Niveau der Atemwegserkrankungen lag im Jahr 2022 weit über dem der Vorjahre. Dafür waren neben der Omikron-Variante vor allem die Influenza und RS-Viren verantwortlich. Die Fortzahlung der Entgelte für ihre erkrankten Mitarbeiter kostete die Arbeitgeber voraussichtlich einen zweistelligen Milliardenbetrag zusätzlich.

Mit dem weitgehenden Wegfall der Masken- und Testpflicht sind die Atemwegserkrankungen wieder zurückgekehrt. Das spiegelt sich sowohl in den Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI, 2022) als auch in den Daten zum monatlichen Krankenstand des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK-Dachverband, 2023), die einen deutlich erhöhten Krankenstand unter den beschäftigten Mitgliedern für das vergangene Jahr ausweisen. Gleichzeitig wird in der medialen Berichterstattung immer wieder von Lieferengpässen bei Medikamenten berichtet. Beide Phänomene gilt es sowohl medizinisch als auch volkswirtschaftlich einzuordnen.

Medizinische Lage

Das RKI veröffentlicht Daten der Infektionslage in seinem wöchentlichen Bericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza. Danach führten in den vergangenen Monaten Influenza- und Respiratorische Synzytialviren (RS-Viren) zu einem starken Anstieg des Krankheitsgeschehens. Das RS-Virus sorgte für Schlagzeilen, weil es insbesondere bei Kindern unter zwei Jahren zu akuten Be-schwerden führt. Bei Erwachsenen traten in den Vor-Corona-Jahren Atemwegsinfektionen typischerweise in den Wintermonaten gehäuft auf. Im vergangenen Jahr setzte die „Grippewelle“ dagegen bereits im September ein und stieg stärker an als vor der Pandemie.

Aus medizinischer Perspektive kann das mit einer erwartbar abnehmenden Bevölkerungsimmunität gegen Atemwegserkrankungen erklärt werden. Die ist Folge der Kontaktbeschränkungen während der ersten beiden Pandemiejahre und der damit einhergehenden geringeren Ansteckungsgefahr bei Atemwegserkrankungen (RKI, 2022; 2023a). Mit dem Wegfall der Maskenpflicht haben sich die Viren ab April 2022 wieder stärker verbreiten können. Zu erwarten ist, dass mit zunehmender Verbreitung des Krankheitsgeschehens die Bevölkerungsimmunität nun wieder steigt. So flachte die Zahl der Grippefälle zum Jahreswechsel wieder ab. Aber die weiterhin erhöhte Zirkulation verschiedener Atemwegserreger lässt noch nicht auf eine kurzfristige Abnahme des Infektionsgeschehens hoffen (RKI, 2023a).

Hinzu kommt eine erhöhte Zahl an COVID-19-Infektionen. Diese gehen zwar mit vergleichsweise milden Verläufen einher, sind aber deutlich häufiger in der jüngeren Bevölkerung im Erwerbs- und Kindesalter verbreitet als noch während der ersten vier Coronawellen. Experten deuten dies immer häufiger als Indiz für den Übergang der Pandemie in eine Endemie (RKI, 2023b).

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Krankenstand in Unternehmen

In der monatlichen Stichprobe des BKK-Dachverbands wird die Entwicklung des Krankenstands unter den beschäftigten Mitgliedern zeitnah dokumentiert (BKK-Dachverband, 2023). Danach stieg der Krankenstand im Jahr 2022 um rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr und erreichte damit ein Fünf-Jahres-Hoch. Im Mittel fehlten den Unternehmen rund 6 Prozent aller Beschäftigten; in den vorherigen Jahren waren es stets deutlich weniger als 5 Prozent. Bemerkenswert ist, dass auch im Sommer ein signifikant höheres Niveau beobachtet werden konnte. Über das gesamte Jahr hinweg übertraf der monatliche Krankenstand die Vergleichswerte des Vor-Coronajahres 2019 im Durchschnitt um 1,3 Prozentpunkte.

Zerlegt man die Krankenstandsquote in den Beitrag einzelner Krankheitsarten, dann wird deutlich, dass mit jahresdurchschnittlich 1,35 Prozentpunkten vor allem die Atemwegserkrankungen zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Der Anteil dieser Diagnosegruppe am gesamten Krankenstand lag im vergangenen Jahr bei 23 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie 2021. Auch die Zahlen der „übrigen Diagnosegruppen“, unter denen diagnostizierte Corona-Infektionen erfasst werden, haben sich gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt. Dieser Omikron-Effekt (Pimpertz, 2022) trägt mit einem Plus von 0,3 Prozentpunkten aber vergleichsweise wenig zur Erhöhung des Krankenstands bei.

Ökonomische Implikationen

Unternehmen belastet der höhere Krankenstand unmittelbar, weil der Arbeitgeber das Gehalt im Krankheitsfall bis zu sechs Wochen weiterzahlt. Die Aufwendungen betrugen im Jahr 2021 schätzungsweise 77 Milliarden Euro (Pimpertz, 2022). Aufgrund des erhöhten Krankenstands ist für 2022 mit einer deutlichen Steigerung zu rechnen. Allerdings lässt sich der zusätzliche Aufwand nicht mit dem Verhältnis des zuletzt erfassten Krankenstands von 6 Prozent zum Vorjahreswert hochrechnen. Denn zum einen ist offen, ob die Entwicklung auch bei den Mitgliedern anderer Krankenkassen aufgetreten ist. Zum anderen ist unklar, ob der Krankenstand gleich verteilt über die Entgeltgruppen gestiegen ist. Hinzu kommen weitere Treiber wie die Beschäftigungsentwicklung oder die jährlichen Bruttolohn-erhöhungen. Vorsichtig geschätzt muss aber davon auszugegangen werden, dass die Arbeitgeber in Deutschland zuletzt einen zweistelligen Milliardenbetrag zusätzlich für die Fortzahlung des Entgelts ihrer erkrankten Mitarbeiter aufwenden mussten.

Medikamentenengpässe

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist verantwortlich für die kontinuierliche Überprüfung von Lieferengpässen in Deutschland. Im Dezember 2022 gab es demnach zum Beispiel Knappheiten bei schmerzmittelhaltigen Fiebersäften, insbesondere für Kinder. Außerdem wurde eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Antibiotika festgestellt. In beiden Fällen wurden die Engpässe im Wesentlichen auf eine stark gestiegene Nachfrage aufgrund überdurchschnittlich hoher Fallzahlen bei den Atemwegsinfektionen zurückgeführt (BfArM, 2022).

Die außergewöhnlich hohe Nachfrage hat grundlegende strukturelle Problem offenbart: Für Hersteller vor allem generischer Arzneimittel ist eine kostendeckende Produktion aufgrund des immer größer werdenden Wirtschaftlichkeitsdrucks im Gesundheitssystem oftmals kaum noch möglich. Je weniger Anbieter aber auf dem globalen Markt verbleiben, desto schwieriger wird es, mit den bestehenden Produktionskapazitäten etwa auf eine akut erhöhte Nachfrage zu reagieren. Als kurzfristige Reaktion wurden daher Apotheken aufgerufen, die betreffenden Produkte maßvoll abzugeben respektive einzusetzen (BfArM, 2022; vfa, 2023).

Politikinstrumente maßvoll und treffsicher

Die Ursachen des Problems lassen sich damit aber nicht beheben. Für Abhilfe hätten vielmehr eine frühzeitig aufgestockte Vorratsbewirtschaftung auf unterschiedlichen Stufen der Produktionskette (Francas et al., 2022) sowie ein Frühwarnsystem, Stresstests für Lieferketten und Reservekapazitäten in der Produktion sorgen können. Längerfristig ist insbesondere die technologische Souveränität am Standort entscheidend. Vor diesem Hintergrund bleibt fraglich, ob mit kurzfristigen Eingriffen in die Preisregulierung generischer oder frei verkäuflicher Arzneimittel auf eine zwar langwierige, aber absehbar vorübergehende Nachfrageerhöhung adäquat reagiert werden kann. Denn umgekehrt würde eine staatlich initiierte Aufstockung von Produktionskapazitäten am Standort zusätzliche Kosten verursachen, die kaum zu rechtfertigen sind, wenn der Sondereffekt wieder entfällt.

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